Foodwatch-Bericht Lebensmittelampel soll überwiegend auf Grün stehen

Foodwatch warnt, dass stark zuckerhaltiger Traubensaft in Zukunft die beste statt die schlechteste Bewertung bei der Lebensmittelampel erhalten könnte
Foto: foodwatchDie Verbraucherorganisation Foodwatch warnt, dass die Lebensmittelampel Nutri-Score verwässert werden könnte. Die Berechnungsgrundlage des Nutri-Score solle auf Druck vor allem des Lebensmittelverbandes so verändert werden, dass zucker- und fetthaltige Produkte besser abschneiden, teilt Foodwatch mit. Dies belegten interne Dokumente des staatlichen Max Rubner-Instituts (MRI), die Foodwatch analysiert hat, die Ergebnisse liegen dem SPIEGEL vor. Das Bundesernährungsministerium hatte das MRI mit der Prüfung der Reformforderungen beauftragt.
"Erst wollte die Lebensmittellobby den Nutri-Score verhindern, jetzt will sie ihn möglichst unschädlich machen. Eine Ampelkennzeichnung, die selbst zuckrigen Getränken ein grünes Licht gibt, verkommt zu einem Marketinginstrument", sagte Luise Molling von Foodwatch.
Konkret nennt die Organisation einen Traubensaft: Dieser enthalte 60 Prozent mehr Zucker als Coca-Cola, solle aber trotzdem ein grünes A bekommen - wie sonst nur Wasser. Bislang ist er mit der schlechtesten Kategorie, einem roten E bewertet. Denn während der Nutri-Score bislang Getränke gesondert berechnet - ein hoher Zucker- und Kaloriengehalt fällt besonders negativ ins Gewicht -, sollten sie künftig wie feste Lebensmittel betrachtet werden. Doch Ernährungsempfehlungen zufolge soll Saft nur in kleinen Mengen oder verdünnt getrunken werden. Foodwatch liegt auch die interne MRI-Bewertung vor: Demnach solle die Bewertung von Fruchtsäften als Getränk bleiben.

Auch Salami soll laut Lebensmittelverband-Forderung positiver berechnet werden, schreibt Foodwatch
Foto: foodwatchAuch salzige Wurst oder fetthaltiges Grillgut soll Foodwatch zufolge "besser abschneiden": Aus den Unterlagen gehe die Forderung des Lebensmittelverbandes hervor, dass der Proteingehalt in Fleisch- und Wurstwaren stärker gewichtet werden solle, was zu einer besseren Bewertung führen würde. "Und das, obwohl in Deutschland etwa doppelt so viel Fleisch gegessen wird, wie von der DGE empfohlen", schreibt Foodwatch. Doch auch hier sehe zumindest das MRI "kein(en) Handlungsbedarf".
Außerdem sollten stark zuckerhaltige Fertig-Kaffeegetränke besser bewertet und der Nutri-Score anhand von Portionsgrößen berechnet werden, schreibt Foodwatch, was ebenfalls zu einer Aufwertung führen könnte. Insgesamt listet die Organisation acht möglicherweise verwässernde Bestrebungen seitens der Lebensmittellobby für die Lebensmittelampel auf.
"Wir arbeiten nicht daran, den Nutri-Score aufzuweichen"
Auf die Vorwürfe angesprochen, bestätigt der Lebensmittelverband "Forderungen zur 'Nachbesserung' des Nutri-Score", die bereits seit letztem Jahr öffentlich seien . Dabei gehe es vor allem darum, "dass die Nutri-Score-Bewertungen allgemeinen Ernährungsempfehlungen entsprechen und ihnen nicht widersprechen", sagt Geschäftsführer Peter Loosen auf SPIEGEL-Anfrage. "Wir arbeiten nicht daran, den Nutri-Score aufzuweichen, vielmehr sollen die entsprechenden Anpassungen von einem unabhängigen Wissenschaftlergremium beraten werden." Ihm sei nicht klar, woher die Forderungen rund um die Neubewertung von Getränken und Fleischprodukten kämen, sagt Loosen.
Tatsächlich sollen im nächsten Jahr die Algorithmen, die dem Nutri-Score zugrunde liegen, auf europäischer Ebene überprüft werden. Doch zunächst soll die Ampel in Deutschland in wenigen Monaten auf freiwilliger Basis eingeführt werden und auf der Verpackungsvorderseite zu finden sein. Einige Firmen wie Iglo führen die Ampel bereits. Die EU-Kommission will im vierten Quartal 2022 ein verpflichtendes europäisches Nährwertlogo für Lebensmittel vorschlagen.
"Kein Kennzeichnungssystem ist perfekt, und auch der Nutri-Score kann verbessert werden. Bundesernährungsministerin Julia Klöckner muss sicherstellen, dass der Nutri-Score-Algorithmus allein auf Basis unabhängiger wissenschaftlicher Einschätzungen und nicht aufgrund eines Wunschkonzerts der Lebensmittelindustrie weiterentwickelt wird", sagt Molling.
Andere Kennzeichnungssysteme drohen, Verbraucher zu verwirren
Foodwatch zufolge wolle die Lebensmittellobby auch andere europäische Kennzeichnungsmodelle einführen. Darum war jahrelang gestritten worden, bis auch Bundesernährungsministerin Klöckner und Teile der Industrie ihren Widerstand im letzten Jahr aufgegeben hatten. Klöckner hatte lange ein anderes, komplizierteres Bewertungssystem favorisiert. Foodwatch befürchtet: "Die zentrale Funktion des Nutri-Scores - der schnelle Vergleich von Produkten - wird durch die Verwendung unterschiedlicher Modelle unmöglich gemacht." Der Lebensmittelverband entgegnet, andere Modelle wie die britische Lebensmittelampel seien in Europa verwendete, zulässige Systeme, die auch in anderen europäischen Ländern eingesetzt werden sollten.
Für die Berechnung des Nutri-Score werden günstige Nährstoffe wie Ballaststoffe, Proteine, Obst oder Gemüse mit ungesunden Bestandteilen wie gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz verrechnet. Das Ergebnis zeigt sich in einer fünfstufigen Farbskala von Grün bis Rot, die mit A bis E beziffert ist. Fettige Snacks bekommen ein rotes E.