Hunderte Euro jährlich Gaskunden müssen ab Herbst Extra-Umlage zahlen

Gaszähler: Die Uniper-Rettungskosten werden umgelegt, die Endverbraucher wird es hart treffen
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Die Bundesregierung rettet den Gashändler Uniper vor der Pleite, und das wird teuer. Laut Wirtschaftsminister Robert Habeck drohen voraussichtlich Belastungen von jährlich mehreren Hundert Euro pro Haushalt – eine geplante Umlage für alle Endverbraucher soll voraussichtlich ab dem 1. Oktober gelten.
»Wir rechnen damit, dass es zwischen 1,5 und fünf Cent pro Kilowattstunde sein wird«, sagt der Grünenpolitiker. Wenn der durchschnittliche Verbrauch bei 20.000 Kilowattstunden Gas pro Jahr liege, liege man demnach in einem mittleren dreistelligen Eurobereich – wobei sich fünf Cent in diesem Beispiel auf 1000 Euro summieren. Man wisse nicht genau, so Habeck, wie hoch die Gasbeschaffungskosten im November und Dezember seien. »Aber die bittere Nachricht ist: Es sind sicherlich einige Hundert Euro pro Haushalt.«
Die genaue Höhe der Umlage soll bis Mitte oder Ende August im Internet veröffentlicht werden, wie es aus Kreisen des Bundeswirtschaftsministeriums hieß.
Kanzler Olaf Scholz hatte in der vergangenen Woche eine Erhöhung der Gaspreise um zwei Cent pro Kilowattstunde genannt. Der SPD-Politiker sprach von zusätzlichen Belastungen von jährlich 200 oder 300 Euro für eine vierköpfige Familie. Es könnten bei extrem steigenden Importpreisen aber auch bis zu 1000 Euro sein.
Das Vergleichsportal Check24 hat bei einem Jahresverbrauch von 20.000 Kilowattstunden und zwei Cent Umlage Mehrkosten von 476 Euro vorgerechnet; darin ist dann auch die Mehrwertsteuer enthalten. Die Umlage soll eineinhalb Jahre, also bis Ende März 2024, gelten. Etwa die Hälfte aller Wohnungen in Deutschland wird mit Gas beheizt.
Wirtschaftsforscher rechnet mit Verdreifachung der Heizkosten
Hintergrund ist, dass Importeure wie Uniper die ausgefallenen Russlandlieferungen kurzfristig und teuer am Markt kaufen müssen. Wegen der bestehenden Verträge mit den Kunden dürfen sie diese Mehrkosten aber bisher nicht weitergeben. Das hat vor allem Uniper in Existenznöte gebracht. Der Staat hat deswegen ein milliardenschweres Hilfspaket geschnürt und steigt mit 30 Prozent dort ein . Dies kann allerdings nicht auf Dauer die täglich auflaufenden Verluste absichern. Daher die Umlage.
Notfallplan Gas
Der Notfallplan Gas basiert auf einer EU-Verordnung von 2017, die Maßnahmen festlegt, um die Gasversorgung im Fall einer Krise zu sichern. Er sieht drei Eskalationsstufen vor: die Frühwarnstufe, die Alarmstufe und die Notfallstufe.
90 Prozent der Extrakosten der Importeure können weitergegeben werden – und zwar mit einem gleichen Betrag pro Kilowattstunde für alle Kunden, unabhängig davon, wo sie ihren Vertrag abgeschlossen haben. In einem dritten Schritt ist auch eine Entlastung bedürftiger Haushalte etwa über eine Wohngeldreform geplant. Viele können den Anstieg der Preise und die Umlage nicht mehr stemmen.
Bis Ende September müssen die Importeure ihre Kosten noch selbst tragen. Zahlen müssen die Umlage Firmen wie Privathaushalte. Sie kommt zu den normalen Preiserhöhungen dazu, die nach und nach greifen.
Die Umlage sei angesichts der angespannten Lage auf dem Gasmarkt notwendig, um die Gasversorgung auch im kommenden Winter aufrechtzuerhalten. »Ohne sie wären Gasversorgungsunternehmen in der gesamten Lieferkette gefährdet«, hieß es aus dem Ministerium. Die Umlage soll für alle Lieferanten gleich hoch sein. Damit gebe es eine faire Verteilung der Lasten auf viele Schultern.
Angesichts der geplanten Umlage rechnet der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, mindestens mit einer Verdreifachung der Heizkosten. Zugleich warnte der Ökonom vor sozialen Verwerfungen, wenn weitere Entlastungen ausblieben: »Die Weitergabe der wirklichen Kosten an die Kunden muss zwingend mit einem dritten Entlastungspaket für Menschen mit mittleren und geringen Einkommen einhergehen – ansonsten würde diese Weitergabe zur sozialen Katastrophe führen«, so Fratzscher.
Trotzdem hält er die geplante Umlage für einen notwendigen Schritt. »Niemand in Deutschland kann die Kosten der Importe von Gas und anderer Energieträger senken.« Die Weitergabe der wirklichen Kosten an alle Kunden sei richtig, »damit vor allem Unternehmen und auch Bürgerinnen und Bürger dort, wo es möglich ist, dringend notwendige Einsparungen vornehmen«. Nur mit »starken Einsparungen« werde man in Deutschland und Europa den Winter ohne Knappheit bei Gas und Energie durchstehen können, so Fratzscher.
Forderung: 100 Euro extra in der Sozialhilfe
Verbraucherschutz-Chefin Ramona Pop dringt bei der Ampelkoalition wegen der drohenden Gaskrise bereits auf neue Hilfspakete. »Die Bundesregierung soll aufhören zu streiten und stattdessen neue Hilfspakete schnüren«, sagt Pop, die seit Anfang Juli den Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) leitet, der Funke Mediengruppe.
Der Bundeskanzler habe die Weitergabe der höheren Gaspreise ab September oder Oktober an die Verbraucher angekündigt, mögliche Hilfen dafür aber erst fürs nächste Jahr in Aussicht gestellt – und bisherige Hilfen wie das 9-Euro-Ticket liefen im Herbst aus, beklagte Pop. »Da klafft eine große Gerechtigkeitslücke, so geht das nicht.« Diskussionen, in denen Arbeitsplätze gegen kalte Wohnungen ausgespielt würden, seien »brandgefährlich«, warnte sie – und mahnte Solidarität auch beim Energiesparen an.
DIW-Chef Fratzscher verlangte von der Bundesregierung, umgehend die Sozialleistungen um 100 Euro pro Person und Monat dauerhaft zu erhöhen und eine ähnliche Summe für alle Haushalte mit weniger als 40.000 Euro Einkommen im Jahr bis Ende 2023 auszuzahlen. »Zudem sollte ein Gaspreisdeckel für 80 Prozent des Grundverbrauchs von Haushalten mit geringen und mittleren Einkommen festgesetzt werden und jeglicher weiterer Verbrauch zu den vollen Kosten berechnet werden«, sagte er der »Rheinischen Post«.
»Fehler der ersten Entlastungspakete nicht wiederholen«
»Die Bundesregierung muss unbedingt die Fehler die ersten beiden Entlastungspakete vermeiden und nicht wieder ineffiziente Maßnahmen umsetzen, die privilegierte Menschen mit höheren Einkommen zugutekommen – so wie beim Tankrabatt«, sagte er außerdem. Die Bundesregierung solle zudem von einer Absenkung der Einkommensteuer absehen, da diese zum größten Teil den Gutverdienern zugutekomme und Menschen mit geringen Einkommen so gut wie nicht davon profitierten.
Die Einzelheiten der neuen Umlage sollen in einer Rechtsverordnung auf Grundlage des Energiesicherungsgesetzes geregelt werden. Geplant ist, dass die Verordnung in Kürze vom Kabinett verabschiedet wird. Organisiert werden sollen die Erstattungen für die Importeure durch den sogenannten Marktgebietsverantwortlichen Trading Hub Europe. Das Unternehmen ist für die Organisation des deutschen Gasmarktes zuständig. Die Importeure sind dabei verpflichtet, ihre Mehrkosten genau darzulegen. Die Mehrkosten werden über die Versorger dann auf die Endkunden umgelegt.