

Verschleppte Preissenkungen Warum Kunden oft zu viel für Gas bezahlen

Gaszähler
Foto: Jens Büttner/ picture alliance / dpaAuf einem Markt, der Kunden wirklich Vorteile bringt, werden die Preise so lange günstiger, bis es sich auch für die besten Anbieter nicht mehr lohnt, noch günstiger zu werden. Nicht einmal, um Marktanteile zu gewinnen.
Auf dem Gasmarkt steigen aber im Augenblick die Preise für Sie als Kunden, während die Einkaufskosten für die Anbieter sinken - nicht nur in dem im Frühling üblichen Maße, sondern deutlich stärker. Mehr als 380 Anbieter haben trotzdem seit Januar die Preise erhöht, dabei auch die ganz Großen der Branche wie E.on. Damit steigen bei all diesen Unternehmen zwar die Gewinne, der Markt wird aus Sicht der Kunden aber schlechter. Sie sollten sich deshalb wehren.
Die Ungleichzeitigkeit zwischen der Preisentwicklung für die Unternehmen und für die Kunden auf dem Gasmarkt erinnert so ein bisschen an den Zinsmarkt für Bankkunden. Auch dort fallen die Sparzinsen sehr schnell, wenn der Leitzins der Zentralbank sinkt. Wenn der Leitzins aber wieder steigt, zögern Banken gern die Anpassung heraus.
Einige Kunden sind wegen der Zinsen verärgert vor Gericht gezogen. Das Urteil der Richter: Wenn bei variablen Sparverträgen der Zins zeitnah fällt, muss er auch zeitnah wieder steigen. Schon beachtlich, wenn Richter Unternehmen an die Gesetze des Marktes erinnern müssen.
Solche Gerichtsurteile haben Kunden von Gasversorgern noch nicht erstritten. Allerdings haben Sie als Kunden bereits ein probates Rechtsmittel in der Hand: Sie haben ein Sonderkündigungsrecht, sobald der Gasanbieter den Preis erhöht. Auf dieses Recht muss Sie der Anbieter übrigens schriftlich hinweisen. Agile Kunden, so die Logik des Gesetzgebers, können so reagieren und den Vertrag beenden, ehe der neue Preis gilt.
So weit die Theorie. In der Praxis ist die Lektüre von Anbieterpost leider keine Offenbarung - und viele Kunden heften sie ungelesen ab oder werfen sie gar in den Papierkorb. Dabei lohnt es sich, die Briefe zu öffnen und sorgfältig zu studieren. Achten Sie genau darauf, ob der Anbieter nicht auf Seite 2 des Schreibens doch noch eine Preiserhöhung versteckt hat.

Finanztip
Hermann-Josef Tenhagen, Jahrgang 1963, ist Chefredakteur von »Finanztip«. Der Geldratgeber ist Teil der gemeinnützigen Finanztip Stiftung. »Finanztip« refinanziert sich über sogenannte Affiliate-Links. Mehr dazu hier.
Tenhagen hat zuvor als Chefredakteur 15 Jahre lang die Zeitschrift »Finanztest« geführt. Nach seinem Studium der Politik und Volkswirtschaft begann er seine journalistische Karriere bei der »Tageszeitung«. Dort ist er heute ehrenamtlicher Aufsichtsrat der Genossenschaft. Auf SPIEGEL.de schreibt Tenhagen wöchentlich über den richtigen Umgang mit dem eigenen Geld.
Auf eine Preiserhöhung zu reagieren, ist also eigentlich nicht schwer. Unübersichtlicher wird es, wenn die Einkaufspreise der Gasanbieter fallen - also aktuell. Solange sich der Preis für die Kunden nicht ändert, müssen die Anbieter diese nicht informieren. Konsequenz: Viele Unternehmen geben diese fallenden Preise nicht oder nur verzögert an ihre Kunden weiter.
Und die besonders unverschämten Anbieter erhöhen sogar noch. Klaus Landwehr, Vertriebschef der Gasversorgung Unterfranken, die die Gastiefstpreise der Jahre 2015 bis 2017 schon nicht an ihre Kunden weitergegeben hatte, argumentiert unter anderem mit erhöhten Beschaffungspreisen. Und die Stadtwerke Bonn wollten mir diese Woche aus "Wettbewerbsgründen" keine Auskunft zur neuen "Preisfindung" geben.
Wenn die Kosten für die Konzerne sinken, ist das für die Kunden meist nicht sichtbar. Kaum jemand wird den Gaspreisindex über dem Küchenherd hängen haben. Das Potenzial für Extra-Profite aus diesem Informationsungleichgewicht ist beträchtlich. Je mehr Anbieter ihre niedrigeren Einkaufspreise nicht weitergeben, desto deutlicher wird der Eindruck: Dieser Markt funktioniert nicht.
Vertreter der Gaskonzerne sagen gern, man wolle nicht hektisch an den Preisen schrauben. Stattdessen gebe man den Kunden ja eine Preisgarantie. Es könne schließlich auch passieren, dass die Rohstoffpreise wieder steigen und dann hat der Kunden wenigstens für zwölf Monate den Preis garantiert.
Das stimmt zwar. Aber auch diese Garantie nützt dem Kunden nur bei real steigenden Preisen.
So kommen Sie an die günstigen Preise
Fast schon perfide ist die Argumentation des Branchenriesen E.on. Man habe doch die Erdgaspreise in der Grundversorgung in der Vergangenheit stabil gehalten, heißt es dort. Und jetzt erst erhöht. Tatsächlich blieb der Preis zum Beispiel in Hamburg seit 2014 bei zunächst fallenden, dann leicht steigenden Importpreisen stabil. Im April 2019 stieg er dann, dabei haben die Preise am Terminmarkt inzwischen wieder das niedrige Niveau des Jahres 2017 erreicht. Antwort von E.on auf Nachfrage: "Die Entwicklung des Großhandelspreises in den vorangegangenen Monaten ist nur einer von diversen Einflussfaktoren auf unseren am Markt gebildeten Preis."
Die Aufgabe ist also klar: Bei fallenden Preisen für die Anbieter ist der Kunde ganz besonders auf gute Informationen angewiesen. Also auf uns Journalisten.
Und dann können Sie handeln:
Es ist nämlich vergleichsweise einfach. Mit einem Gaspreis-Vergleichsrechner einen günstigeren Vertrag suchen, dann zur Sicherheit mit dem günstigsten Tarif vergleichen, den das eigene Stadtwerk anbietet - manche Stadtwerke machen inzwischen sehr günstige Angebote für lokale Kunden. Und dann günstiger abschließen.
Dabei sollten sie sich aber eines vorher klarmachen: Tarife, die durch Boni, also zum Beispiel einen Sofortbonus beim Abschluss und einen Neukundenbonus für die erste Jahresabrechnung, besonders preiswert gemacht werden, können anschließend ganz schön teuer sein.
Bei Vergleichen haben meine Kollegen festgestellt, dass viele Tarife nach Wegfall der Boni sogar teurer sind, als das Angebot, das Kunden vorher nutzten. Gemein aus der Sicht der Kunden ist vor allem: Manche von den mit Bonus preiswerten Verträgen haben eine Mindestlaufzeit von zwei Jahren. Im ersten Jahr ist das Gas also billig, im zweiten Jahr steigen die Kosten für den Kunden durch den Wegfall der Boni, teilweise um ein Drittel oder mehr. Dieser Preisanstieg ist aber rechtlich keiner, weil ja nur der Bonus entfällt, Arbeitspreis und Grundpreis bleiben konstant. Der Kunde hat also nicht einmal ein Sonderkündigungsrecht.
Sonderangebote mit Boni waren in den vergangenen fünf Jahren tatsächlich der Standardweg für Anbieter, neue Kunden zu finden. Als Verbraucher sollten Sie deshalb den Preis ohne Boni mit ihrem aktuellen Preis vergleichen - dann wissen sie, ob der neue Anbieter tatsächlich günstig ist und wie er langfristig kalkuliert. Und dann entscheiden Sie, ob Sie für zwei bis dreihundert Euro Bonus gleich mehrfach wechseln wollen.
Sie können es sich aber auch von vorneherein einfacher machen und gleich nur zu Anbietern gehen, die auch ohne Bonus preiswerter sind. Von denen gibt es viele. Und bei denen ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass sie gleich im nächsten Jahr wieder wechseln müssen. Der Gaspreis-Rechner meiner Kollegen ist sogar für so gemächliche Kunden voreingestellt.
Am Ende haben Sie es als Kunde also in der Hand, ob der Markt tatsächlich funktioniert.