Henrik Müller

Geldpolitik Angriff auf die Notenbanken

Euro, Dollar und Co. werden von unabhängigen Notenbanken gemanagt - das ist eine Säule unserer Wirtschaftsordnung. Doch die Fundamente bröckeln. Schuld daran sind auch die Notenbanken selbst.
Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main

Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main

Foto: Thomas Lohnes/ Getty Images

Notenbanken sollen unabhängig sein - wenn es so etwas wie einen ökonomischen Katechismus gäbe, dann wäre dieser Satz Bestand des unantastbaren Glaubensfundaments unserer Wirtschaftsordnung.

Doch in einer Zeit, in der diverse Gewissheiten ins Rutschen geraten, sind auch scheinbar ewige Wahrheiten nicht mehr sicher. Entsprechend sind unabhängige Notenbanken heftigen Angriffen ausgesetzt:

  • In den USA übt der Präsident heftigen Druck auf die Federal Reserve aus: Donald Trump droht Chairman Jerome Powell schon mal mit Entlassung, obwohl das gesetzlich gar nicht möglich ist. (Achten Sie Mittwoch auf den Washingtoner Zinsentscheid.) Das Ziel der Attacken ist offensichtlich: Die Fed soll die Zinsen senken und den Außenwert des Dollar schwächen, damit der US-Aufschwung bis ins Wahljahr 2020 anhält.
  • In Japan ist die Notenbank schon seit Jahren eingebunden in das groß angelegte Stimulierungsprogramm von Premier Shinzo Abe ("Abenomics"). Die Bank von Japan kauft Wertpapiere in Größenordnungen auf, die die quantitativen Lockerungsübungen anderswo weit in den Schatten stellen.
  • In vielen Schwellenländern ist es mit der Autonomie der Notenbanken nicht mehr weit her. In der Türkei hat Präsident Recep Tayyip Erdogan die Notenbank auf Regierungskurs gebracht. In Indien hat Narendra Modi kritische Köpfe an der Spitze der Reserve Bank of India aus dem Amt gedrängt.
  • In der Eurozone, immerhin, genießt die Europäische Zentralbank (EZB) formal größtmögliche Unantastbarkeit. Aber auch hier ist die tatsächliche Unabhängigkeit in Gefahr, sollten hoch verschuldete Staaten willfährige Kandidaten in den EZB-Rat entsenden, die sich vor allem um die öffentlichen Finanzen ihres jeweiligen Heimatstaats sorgen. Die neue Präsidentin der Eurobank, Christine Lagarde, die Freitag ihr Amt antritt, hat einiges zu tun.

Es sieht so aus, als gehe die Ära der unabhängigen Notenbanken zu Ende. Es stellen sich zwei Fragen: Woher rührt die Trendwende? Und: Wäre es eigentlich schlimm, wenn Notenbanken künftig weniger unabhängig sind?

Pusher und Bremser

Dass Notenbanken unabhängig von der Politik agieren, ist kein Naturgesetz, sondern eine Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte. Bis Anfang der Siebzigerjahre waren die Währungen der westlichen Länder an den Dollar gebunden, der wiederum durch Gold gedeckt war. Als dieses Währungssystem zerfiel, begann die Phase der großen Inflation, die bis in die Achtzigerjahre, in einigen Ländern bis in die Neunzigerjahre anhielt.

Gerade politisch abhängige Notenbanken erwiesen sich als unfähig, die davongaloppierende Preisentwicklung einzubremsen. Um die Inflation zu brechen, bedurfte es zuweilen unpopulärer Entscheidungen, insbesondere deutlich steigender Leitzinsen. Banken konnten sich nicht mehr so billig refinanzieren. Deshalb wurden Kredite teurer, Investitionen und Konsumausgaben waren nun schwieriger zu finanzieren. Im Endeffekt dämpften die Notenbanken die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und senkten so die Inflationsraten.

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Institut für Journalistik, TU Dortmund

Henrik Müller ist Professor für wirtschaftspolitischen Journalismus an der Technischen Universität Dortmund. Zuvor arbeitete der promovierte Volkswirt als Vizechefredakteur des manager magazin. Außerdem ist Müller Autor zahlreicher Bücher zu wirtschafts- und währungspolitischen Themen. Für den SPIEGEL gibt er jede Woche einen pointierten Ausblick auf die wichtigsten Wirtschaftsereignisse der Woche.

Allerdings hatte dieses Vorgehen erhebliche Nebenwirkungen: Notenbanken lösten immer wieder Rezessionen und steigende Arbeitslosigkeit aus. Effekte, die sich rechtfertigen ließen, weil späteres Eingreifen noch drastischere Anpassungskrisen bedeutet hätte. Unpopulär waren harte Notenbanken dennoch.

Das längerfristige geldpolitische Ziel der Geldwertstabilität kollidierte regelmäßig mit der kurzfristigen politischen Logik des Machterhalts. Gerade vor Wahlen erwies es sich in Staaten mit politisch abhängigen Notenbanken als fast unmöglich, die Zinsen anzuheben und damit die Konjunktur zu dämpfen. Entsprechend litten Länder wie Italien und Großbritannien über viele Jahre unter relativ hohen Inflationsraten.

Und jetzt? Wozu noch Unabhängigkeit?

Wo die Notenbanken hingegen unabhängig waren - wo also, wie in den USA oder der Bundesrepublik, das Management der Geldangelegenheiten an unabhängige Technokraten delegiert war -, erzielten sie deutlich bessere Ergebnisse, also niedrigere Inflationsraten. So entstand im Wettbewerb der Institutionen ein neuer Standard: Notenbanken wurden per Gesetz darauf verpflichtet, für Preisstabilität zu sorgen. Mit welchen Mitteln sie dieses Ziel erreichten, blieb ihnen selbst überlassen. Sie wurden insofern unabhängig von politischen Weisungen.

All das ist Geschichte. Spätestens seit der Finanzkrise von 2008 haben wir es mit ganz anderen Problemen zu tun. Von Inflation ist wenig zu sehen (Mittwoch gibt's neue Zahlen für Deutschland). In Deutschland verzeichneten die Konjunkturforscher in den vergangenen Jahren einen Boom mit überausgelasteten Produktionskapazitäten und akuter Arbeitskräfteknappheit, allerdings bei stabilen Preisen und nur moderat steigenden Löhnen, während die Leitzinsen bei null lagen und die EZB auch noch für Billionen Euro Wertpapiere aufkaufte - früher eine unvorstellbare Konstellation.

Offenkundig haben sich die Wirtschaftsstrukturen durch Globalisierung, Digitalisierung und die Folgen der Finanzkrise von 2008 derart verändert, dass Inflation für die absehbare Zukunft kein Thema ist. Wenn dem aber so ist, dann entfällt die wichtigste Rechtfertigung für die Unabhängigkeit der Notenbanken - dass sie nämlich besser in der Lage sind, die Preise stabil zu halten. Was jetzt?

Notenbanken als Staatenretter

Heute beschäftigen neue Fragen die Wirtschaftspolitiker. Insbesondere: Wie lassen sich eigentlich noch Rezessionen bekämpfen? Schließlich liegen bereits bei normaler Konjunktur die Zinsen bei null oder darunter. Noch niedriger geht's kaum. Zinssenkungen, um die Konjunktur zu stabilisieren, waren früher ein machtvolles Instrument. Heute ist es ausgereizt.

Die Kombination aus Nullzinsen und Fast-Nullinflation verändert die finanziellen Bedingungen für die Wirtschaftspolitik tief greifend. Wenn diese Konstellation lange anhält, ist staatliches Sparen sinnlos. Vielmehr sollten Parlamente und Regierungen die Gelegenheit nutzen, um Zukunftsinvestitionen zu Premiumbedingungen zu finanzieren. Das Festhalten an der in Deutschland so populären schwarzen Null ist unter diesen Bedingungen unsinnig.

Wenn hoch verschuldete Staaten auf diesem Kurs an den Rand der Pleite geraten, könnten die Notenbanken ihnen beispringen und nach Belieben Staatsschulden aufkaufen. Wie in Japan, wo die Finanzpolitik und die Geldpolitik im Tandem die Verschuldung und die Bilanzsumme der Notenbank aufblähen - und die Geldpolitik längst unter das Primat der Finanzpolitik geraten ist.

Ich sehe nach wie vor starke Argumente für die Unabhängigkeit der Notenbanken - allerdings andere als früher.

Finanzmärkte brauchen neutrale Schiedsrichter

Als Inflationsbekämpfung noch Priorität hatte, war es die Aufgabe der Notenbanken, über den Umweg der Kreditinstitute mittelbar auf die reale Wirtschaft einzuwirken. Heute sollte es vor allem darum gehen, Übertreibungen an den Finanzmärkten einzubremsen. Denn schuldengetriebene Booms werden durch niedrige Inflationsraten und Zinsen wahrscheinlicher. Es fehlen die traditionellen Korrektive.

Finanzmärkte neigen dazu, sich in kollektive Euphorie hineinzusteigern, die irgendwann, wenn wieder mal eine Blase geplatzt ist, in kollektive Depression mündet. Um die Wirtschaft dauerhaft halbwegs stabil zu halten - und negative Auswirkungen von Booms und Crashs auf das Leben der normalen Bürger zu begrenzen -, braucht es Akteure, die außerhalb des großen Finanztheaters stehen.

Die Politik kann diese Rolle schwerlich einnehmen. Sie profitiert im Zweifel von Boomphasen, wenn Jobs entstehen und Steuereinnahmen sprudeln. Unabhängige Notenbanken hingegen sollten sich in solchen Phasen "gegen den Wind lehnen", wie William White, der frühere Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, das genannt hat.

Die Instrumente dafür gibt es längst: Im Werkzeugkoffer der "makroprudenziellen Regulierung" liegen diverse Vorschriften, mittels derer sich die Kreditvergabe durch die Banken erschweren lässt. Und bei Nullzinsen ersetzen diese Instrumente inzwischen teilweise die traditionelle Zinspolitik.

Doch bei der makroprudenziellen Regulierung haben unabhängige Notenbanken keineswegs allein das Sagen. Regierungsleute entscheiden mit. So sitzen im deutschen Ausschuss für Finanzstabilität (AfS) gleichberechtigt Vertreter der Bundesbank, des Bundesfinanzministeriums und seiner nachgeordneten Aufsichtsbehörde BaFin. Die Gefahr besteht, dass die Aufseher kreditgetriebenen Booms zu lange untätig zuschauen.

Der alte Rahmen passt nicht mehr

In der Eurozone kommt ein weiteres Problem hinzu: Makroprudenzielle Steuerung begünstigt eine zunehmende Fragmentierung des Binnenmarktes. Jeder der 19 Mitgliedstaaten macht sein eigenes Ding. Dadurch droht womöglich eine unterschiedliche Ausrichtung der Geldpolitik, die innerhalb der Währungsunion ja eigentlich einheitlich sein soll. Das European System Risk Board überwacht lediglich das Geschehen und spricht Empfehlungen aus. Es ist Zeit, dass die Notenbanken die Federführung übernehmen.

Wenn die Notenbanken ihre Unabhängigkeit wahren wollen, dann müssen sie selbst ein realistisches Bild von ihrer heutigen Rolle und ihren Möglichkeiten zeichnen. Bislang sind sie immer noch auf ihr tradiertes Inflationsziel fixiert: Die Verbraucherpreise sollen jährlich um rund zwei Prozent steigen. Liegen die Werte darunter, drehen die Notenbanken die Geldhähne auf. So läuft es bei der Fed, bei der EZB, bei der Bank von Japan. Wenn sie damit an den Finanzmärkten ungesunde Booms produzieren, gilt das als zweitrangiges Problem.

Es wird Zeit, dass die Notenbanken ein neues Framework entwickeln: einen aktualisierten intellektuellen Rahmen, innerhalb dessen sie nachvollziehbar agieren. Der alte Rahmen passt nicht mehr. Je länger sie daran festhalten, desto mehr leidet ihr Ruf.

Der EZB beispielsweise vertrauen nur noch 43 Prozent der Euro-Bürger; ebenso viele misstrauen ihr, wie Umfragen zeigen. Das macht die Selbstbehauptung als unabhängige Institution nicht gerade leichter.

Notenbanken, die von der Bevölkerung nicht respektiert werden, können sich kaum gegen Übergriffe zur Wehr setzen.

Die wichtigsten Wirtschaftsereignisse der bevorstehenden Woche

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