Studie zu Geräte-Verschleiß Der kaputte Konsum

Kaufen wir Produkte, die planmäßig kaputtgehen? Was Otto Normalverbraucher schon lange vermutet, soll ein Gutachten im Auftrag der Grünen belegen. Es enthält eindrucksvolle Beispiele für die Wegwerfgesellschaft - aber keine Beweise für eine große Verschwörung.
Sammlung von Elektroschrott in Berlin: Kabelbruch inklusive

Sammlung von Elektroschrott in Berlin: Kabelbruch inklusive

Foto: Sean Gallup/ Getty Images

Hamburg - Es gibt Theorien, die werden regelmäßig durch die eigene Alltagserfahrung belegt: Die Supermarktschlange, in der man selbst steht, ist immer die langsamste. Der Bus fährt immer dann ab, wenn man gerade um die Ecke kommt. Oder auch: Produkte gehen heute immer schneller kaputt.

Für letzteres Phänomen gibt es unter dem Stichwort "geplante Obsoleszenz" eine aufsehenerregende Erklärung. Demnach konstruieren Hersteller ihre Produkte von vornherein so, dass deren Lebensdauer begrenzt ist. Der Vorteil: Schon nach wenigen Jahren können sie dem Kunden ein neues Handy oder einen neuen Handmixer andrehen.

Indizien für eine solche Strategie dürfte fast jeder Verbraucher gesammelt haben. Schließlich kommen Produkte heute schon allein durch die rapide technologische Entwicklung in immer kürzeren Zyklen und zu immer günstigeren Preisen auf den Markt. Sich diesem Kreislauf zu entziehen, ist schwer - denn oft mangelt es schon bei wenige Jahre alten Geräten an Ersatzteilen. Den wachsenden Frust über diese Zustände machen sich inzwischen wachstumskritische Unternehmen zunutze, die gezielt mit langlebigen Produkten und gutem Kundenservice werben.

Doch führt die herkömmliche Industrie den schnellen Tod ihrer Erzeugnisse tatsächlich absichtlich herbei? Mit dieser These beschäftigt sich ein Gutachten im Auftrag der Grünen-Bundestagsfraktion, das am Mittwoch vorgestellt wurde. Auf hundert Seiten nennen die Autoren Beispiele für vermeidbaren Verschleiß bei Geräten und sehen angesichts eines auf mehr als 100 Milliarden Euro geschätzten Schadens "umgehenden Handlungsbedarf".

Das Ergebnis ist nicht überraschend, schließlich ist Co-Autor Stefan Schridde Initiator des Verbraucherportals "Murks? Nein Danke" , das sich gegen geplante Obsoleszenz einsetzt. Die Plattform wird im Gutachten mit einem eigenen Abschnitt gewürdigt, dort gesammelte Erfahrungen dienen als Quelle für viele Fallbeispiele. Ein unabhängiger Gutachter sieht anders aus.

Die Autoren nennen zahlreiche Anhaltspunkte dafür, dass Produkte schneller kaputtgehen als sie müssten: Selbst bei teuren Kopfhörern würden minderwertige Verbindungsstellen verwendet, die frühzeitig zu Kabelbruch führen. Der Laugenbehälter bestünde heute bei den meisten Waschmaschinen aus Kunststoff und ginge damit schneller kaputt als bei den früher üblichen Edelstahlbottichen. Bei elektrischen Zahnbürsten und anderen Geräten seien die Akkus fest eingebaut - und das Gerät bei einem Batterieschaden damit Schrott.

Verschwörungen aus dem vergangenen Jahrhundert

All das sind eindrucksvolle Beispiele und gute Anregungen für die Auswahl der nächsten Großanschaffung. Wirklicher Vorsatz der Hersteller aber, das räumen die Autoren selbst ein, "ist nur sehr schwer nachweisbar". Auch nach Auskunft von Ingenieuren mit jahrzehntelanger Erfahrung sei "bewusst gewollter vorzeitiger Verschleiß von Produkten durch Einbau von Schwachstellen sehr selten".

Als Beispiele für geplanten Verschleiß "in der jüngeren Geschichte" nennen die Autoren ein im Jahr 1924 aufgedecktes Glühbirnen-Kartell, die Strategie des US-Motorbauers General Motors   in den zwanziger Jahren, die verkürzte Haltbarkeit von Taschenlampen der US-Konzerns General Electric   in den dreißiger sowie die mutmaßlich bewusst verkürzte Haltbarkeit von Nylon-Strümpfen in den vierziger Jahren. Als Unternehmen der Gegenwart wird allein Apple   genannt. Der Computerkonzern hatte sich außergerichtlich mit Klägern geeinigt, die Apple vorwarfen, seine Akkus hielten nicht so lange wie angegeben.

Ansonsten sind konkrete Beispiele für vorsätzlichen Verschleiß in dem Papier Mangelware. Stattdessen liefern die im Gutachten zitierten Ingenieure für viele Fälle eine weit simplere Erklärung: Durch den enormen Wettbewerbsdruck stünden "praktisch alle Neuentwicklungen unter sehr starkem Kostendruck". Und das billigere Teil ist nun einmal selten das langlebigere.

Damit wäre die Theorie von der Obsoleszenz aber weniger ein Beleg für eine großangelegte Verschwörung als vielmehr eine Kritik der Wegwerfgesellschaft - und damit auch ein Appell an die Verbraucher. Schließlich ist die Sparmentalität gerade unter deutschen Konsumenten stark ausgeprägt.

Die Studienautoren und ihre Auftraggeber glauben allerdings, dass Konsumenten mehr Hilfe bei der Auswahl langlebiger Produkte brauchen. Nicole Maisch, verbraucherpolitische Sprecherin der Grünen, fordert angesichts der Ergebnisse unter anderem " klare Vorgaben für die Reparierbarkeit und Austauschbarkeit von Einzelteilen und die Überarbeitung des Gewährleistungs- und Garantierechts".

Als ein Beispiel nennt das Gutachten das sogenannte EU-Label. Auf diesen müssen schon heute verschiedene Angaben zum Energieverbrauch von Kühlschränken, Glühbirnen oder auch Autos gemacht werden. Künftig könnte der Aufkleber einen weiteren Wert enthalten: die geplante Lebensdauer in Monaten.

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