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Trend in Griechenland: Patriotismus im Supermarkt

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Patriotische Konsumenten Die Griechen werden Selbstversorger

In der Krise kommen bei griechischen Konsumenten zwei Dinge zusammen: wachsende Not und wiedererwachter Stolz auf heimische Produkte. Vom lokalen Bauern bis zur Supermarktkette boomen Lebensmittel aus der Heimat.

Die ersten sind frühmorgens da, Stunden bevor die Aktion vor einem Park in Athen beginnt. Menschen wie der arbeitslose Kostas. "Ich habe kein Geld", beantwortet der 63-Jährige knapp die Frage, was ihn herführt. Gleich wird Kostas eine Pappkiste überreicht bekommen, mit Tomaten, Paprika, Auberginen. Alles aus Kreta, alles umsonst, gestiftet von Bauern auf der Insel. Die Nachfrage ist enorm, Hunderte von Griechen warten in der Mittagshitze.

Die Essensausgabe in Athen zeigt zweierlei: Angesichts der Kürzungen bei Löhnen und Renten können sich die Griechen immer weniger leisten, die Not wächst. Zugleich entdeckt das Land in dieser Lage heimische Produkte neu. Die Landwirte verteilen ihr Gemüse auch als Werbung. "Das sind unsere Kunden von früher", sagt Adonis Zachariadakis, Chef einer Bauernvereinigung aus Südkreta. "Wir haben dieselben Probleme zu überleben."

Die Konsumenten sehen das offenbar ähnlich. Sie würden in der Krise verstärkt griechische Produkte kaufen, sagt Fotis Spyropoulos vom griechischen Verbraucherverband Inka. "Und griechische Firmen werben mehr mit der Herkunft ihrer Waren."

Statistiken, welche den Trend belegen, kann Spyropoulos auf Anhieb nicht vorlegen. Elias Tsolakidis dagegen rattert aus dem Kopf eine ganz Reihe von Zahlen herunter: "120 Tonnen Olivenöl haben wir verkauft, 110 Tonnen Mehl, 67 Tonnen Reis, 275 Tonnen Kartoffeln und 24 Tonnen Zwiebeln."

Tsolakidis gehört zu den Initiatoren der sogenannten Kartoffelbewegung, die Ende 2011 mit einer ähnlichen Aktion wie der in Athen begann: Bauern verteilten am Weißen Turm, dem Wahrzeichen von Thessaloniki, kostenlos Kartoffeln. Ihre Gewinnspanne war so weit gesunken, dass sich ein Verkauf kaum noch lohnte.

Aus Verzweiflung wurde ein neues Verkaufskonzept: Verbraucher ordern Lebensmittel im Internet. Wenn genügend Bestellungen beisammen sind, werden diese direkt vom Lastwagen herunter verkauft. So werden Zwischenhändler ausgeschaltet, die bislang einen großen Teil des Verkaufspreises einstrichen - was Kartoffeln aus Ägypten günstiger machte als solche aus Griechenland. "Unser Ziel ist, die lokale Wirtschaft zu stärken", sagt Tsolakidis. Zugleich profitierten die Käufer. "Wir schätzen, dass jeder Verbraucher bei unserer Kartoffelaktion 120 Euro gespart hat."

Vor der Krise floss viel Geld in Importe

Kaufen die Griechen mehr heimische Lebensmittel, so stärken sie einen der wenigen Wirtschaftszweige, in denen ihr Land als wettbewerbsfähig gilt. Griechenland ist weltweit Nummer zwei bei der Produktion von Schafsmilch, Nummer drei bei Oliven, Nummer vier bei Kiwis, Nummer fünf bei Pfirsichen und Nektarinen. Doch der Anteil der Landwirtschaft an der Wirtschaftsleistung ist stetig zurückgegangen: Von 14 Prozent zu Beginn der neunziger Jahre auf derzeit nur noch drei Prozent.

An mangelnder Kauflaune lag das nicht, im Gegenteil: Mit 77 Prozent macht der private Konsum den weitaus größten Anteil der griechischen Wirtschaftsleistung aus - in Deutschland sind es 20 Prozentpunkte weniger. Doch ein großer Teil des Geldes floss vor der Krise in importierte Waren - auch in Lebensmittel, die eigentlich in Griechenland angebaut werden.

Nun überlegen sich Verbraucher offenbar genauer, wofür sie ihre Euro ausgeben. "In Krisenzeiten wollen die Menschen mehr griechische Erzeugnisse", sagt Yota Tsionopoulou, die in einem Feinkostladen im Athener Stadtteil Pangrati arbeitet. Dort gibt es nur Lebensmittel aus Griechenland - von Reis aus der Region Mazedonien bis zu Honig aus Kreta. Die Geschäfte liefen gut, erzählt die 50-Jährige. Mitten in der Krise habe der Besitzer einen zweiten Laden eröffnet.

Noch deutlicher ist der Andrang bei Sklavenitis, einer griechischen Supermarktkette. Nicht weniger als 51 Kassen gibt es in der riesigen Filiale, vor allen stehen Kunden an. Ganz anders in einem nahegelegenen Supermarkt der französischen Kette Carrefour  : Wo es noch vor wenigen Jahren regelmäßig zu Staus auf dem Parkplatz kam, verlieren sich nun wenige Kunden in den Gängen. Bei dem Anblick verwundert kaum, dass der bisherige Marktführer Carrefour kürzlich den Rückzug aus Griechenland bekanntgab.

Auch bei Sklavenitis gibt es viele griechische Spezialitäten, etwa an der umfangreichen Käsetheke. Fragt man die Kunden, warum sie hier einkaufen, nennen die meisten vor allem die Preise. Doch die griechische Herkunft des Eigentümers und seine Personalpolitik sind zusätzliche Argumente. "Sklavenitis stellt Leute ein", sagt Yannnis Athanasopoulou, der zusammen mit seiner Frau Anastasia einkauft. Trotz der Krise hat die Kette zudem nicht die Gehälter gekürzt.

Boykottaufrufe gegen Deutschland

Die Sicherung von Arbeitsplätzen ist auch auf Seiten der Erzeuger ein wichtiges Argument. Trotz ihrer schwindenden Bedeutung stellt die Landwirtschaft neun Prozent der Jobs in Griechenland - doppelt so viel wie im EU-Schnitt. In der Krise werden es sogar mehr: Laut der Panhellenischen Vereinigung der Agrarkooperativen schuf der Sektor zwischen 2008 und 2010 rund 32.000 neue Arbeitsplätze.

Zum Teil schlägt die Unterstützung der eigenen Wirtschaft auch in aggressive Töne um. So rief der Verbraucherverband Inka schon vor zwei Jahren zum Boykott deutscher Produkte auf. Hauptgrund war ein Titelbild des Magazins "Focus", das die Venus von Milo mit ausgestrecktem Mittelfinger zeigte.

Heute begründet Inka-Vertreter Spyropoulos, im Hauptberuf Wirtschaftsanwalt, die Boykottforderungen anders. Ländern wie Deutschland oder auch den Niederlanden wolle man zeigen, dass ihre harten Sparforderungen kontraproduktiv seien. Vor allem will Spyropoulos den Aufruf aber als Ermutigung verstanden wissen. "Wir versuchen die Griechen zu überzeugen, dass es eine andere Art des Konsumierens gibt."

Bei Georgios, einem Kunden im Supermarkt Sklavenitis, scheint die Botschaft bereits angekommen zu sein. "Bis jetzt haben wir viele fremde Produkte gekauft", sagt der bärtige ältere Herr. "Aber wenn man selbst nicht an seine Leute glaubt, warum sollten es dann andere tun?"

Mitarbeit: Lamprini Thoma und Georgios Christidis
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