Grundsteuer vor dem Verfassungsgericht Unter jedem Dach droht ein Ach

Seit Jahrzehnten bekommt die Politik keine Reform der völlig veralteten Grundsteuer hin. Jetzt zieht das Bundesverfassungsgericht die Sache an sich. Für Hausbesitzer und Mieter könnte das massive Steuererhöhungen bedeuten.
Bauarbeiten in Frankfurt

Bauarbeiten in Frankfurt

Foto: Christoph Schmidt/ picture alliance / Christoph Sch

Es gibt etwas, das verbindet den Bewohner einer Einzimmerwohnung in der Großstadt mit der Villenbesitzerin auf dem Lande: Beide zahlen Grundsteuer. Hausbesitzer müssen die Steuer direkt abführen, auf Mieter wird sie über die Nebenkosten abgewälzt.

Doch wer wie viel bezahlt, könnte sich bald ändern. Denn die Grundsteuer ist in Karlsruhe gelandet. Am Dienstag verhandelt das Bundesverfassungsgericht mündlich über mehrere Verfassungsbeschwerden und Vorlagen des Bundesfinanzhofs zur Steuer. Damit ziehen die Richter eine Reform an sich, die bereits seit Jahrzehnten angemahnt wird und in der es um Bewertungsmaßstäbe geht, die zum Teil noch aus der NS-Zeit stammen.

Wieso hat das so lange gedauert? Wie könnte eine Reform aussehen? Wer muss sie fürchten, wer könnte profitieren? Die wichtigsten Fragen und Antworten:


Was ist die Grundsteuer?

Über die Grundsteuer besteuert der Staat Grundstücke und darauf gebaute Häuser. Für Grundstücke der Land- und Forstwirtschaft gilt die sogenannte Grundsteuer A, deutlich wichtiger ist die Grundsteuer B auf normale Baugrundstücke.

Die Einnahmen stehen allein den Gemeinden zu, die auch über ihre jeweilige Höhe mitbestimmen (siehe nächsten Punkt). Die Grundsteuer gehört für sie zu den wichtigsten Einnahmequellen, das Aufkommen hat sich seit Anfang der Neunzigerjahre nahezu verdreifacht:

Die Zuständigkeit für die Grundsteuer hat der Bund an sich gezogen, die Länder jedoch müssen Änderungen im Bundesrat zustimmen. Dieser Kompetenzwirrwarr ist ein wesentlicher Grund dafür, dass so lange keine Reform der Grundsteuer gelang.


Wie wird sie berechnet?

So wie es sich fürs deutsche Steuerrecht gehört: nach einer ziemlich komplizierten Formel mit drei Elementen. Zunächst wird für jedes Grundstück der sogenannte Einheitswert bestimmt. Dieser wird jeweils zum Jahresanfang festgestellt und wurde erstmals am 1. Januar 1935 festgelegt.

Eigentlich sollten die Einheitswerte alle sechs Jahre aktualisiert werden. Dies geschah in Westdeutschland jedoch nur ein einziges Mal im Jahr 1964, in Ostdeutschland aufgrund der Teilung überhaupt nicht. Die Bewertung beruht also zum Teil auf mehr als 80 Jahre alten Zahlen.

In einem zweiten Schritt wird der Einheitswert mit der sogenannten Grundsteuermesszahl multipliziert. Sie richtet sich nach der Art der jeweiligen Bebauung und beträgt in den alten Bundesländern beispielsweise 3,1 Promille für ein Zweifamilienhaus und zehn Promille für ein unbebautes Grundstück.

Das Ergebnis wird schließlich in einem dritten Satz mit dem Hebesatz der jeweiligen Gemeinde multipliziert. Bei den Hebesätzen gibt es erhebliche Unterschiede, so liegen sie derzeit in Düsseldorf bei 440 Prozent, in Berlin bei 810 Prozent.

Ein Rechenbeispiel: Der Einheitswert für ein fünfstöckiges Mehrfamilienhaus in Berlin mit 500 Quadratmeter Grundfläche von 1950 beträgt derzeit 279.421 Euro. Die Grundsteuermesszahl liegt in diesem Fall bei 3,5 Promille, der Hebesatz bei 810 Prozent. Unterm Strich werden damit jährlich 7921,59 Euro Grundsteuer fällig.

Wie könnte eine Reform aussehen?

Nahe liegend wäre eigentlich, Immobilien nach ihrem tatsächlichen Marktwert zu beurteilen. Je nach Region könnte dies jedoch zu massiven Steuererhöhungen führen. Allein in den vergangenen zwei Jahren sind die Immobilienpreise in Deutschland um 25 Prozent gestiegen, seit Festlegung der Einheitswerte waren die Steigerungen entsprechend höher. Zudem wäre die Feststellung des Marktwerts von rund 35 Millionen Immobilien in Deutschland ein enormer bürokratischer Aufwand.

Der Bundesrat empfahl bereits Ende 2016 per Gesetzentwurf  einen anderen Ansatz, dem bis auf Hamburg und Bayern alle Länder zustimmten. Demnach wäre für unbebaute Grundstücke künftig der sogenannte Bodenrichtwert maßgeblich, der sich aus Verkäufen in der Umgebung ergibt.

Für Gebäude würde ein sogenannter Kostenwert neu eingeführt: Er ergibt sich aus der Bruttogrundfläche der Immobilie und den pauschalen Herstellungskosten. Von diesem Wert können je nach Baujahr bis zu 70 Prozent des Werts wegen Altersminderung abgezogen werden.

Die Länder-Reform soll aufkommensneutral sein, die Steuereinnahmen blieben also gleich. Doch ist das realistisch? "Im Durchschnitt, über alle 35 Millionen Immobilien hinweg, könnte ich mir das vorstellen", sagt Hannes Wendt, Sachverständiger für Grundstücksbewertung bei der Berliner Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Trinavis. "Aber die Verschiebungen zwischen verschiedenen Gruppen werden erheblich sein."


Wer profitiert, wer nicht?

Würde der Ländervorschlag umgesetzt, so könnten die Besitzer von Altbauten gleich doppelt profitieren: Sie dürften einen großen Teil des Werts abschreiben und müssten zudem deutlich geringere Herstellungskosten ansetzen als Neubaubesitzer.

Bewertungsexperte Wendt berechnete die Folgen am Beispiel des oben im Rechenbeispiel bereits erwähnten Mehrfamilienhauses in Berlin - einmal mit Baujahr 1950, einmal 2017. Ergebnis: Der Altbau müsste künftig nur noch 54 Prozent der bisherigen Grundsteuer zahlen, der Steuerbetrag des Neubaus läge hingegen um 46 Prozent über dem bisherigen Wert.

"Was die Altbauten einsparen, zahlen die Neubauten mehr", fasst Wendt zusammen. Ein fragwürdiges Signal, schließlich will der Staat angesichts steigender Immobilienpreise derzeit ja eigentlich das Bauen fördern.

Der Immobilienverband BID macht noch aus anderen Gründen gegen den Gesetzentwurf mobil: Der Kostenwert gebe weder die tatsächlichen Baukosten noch den Marktwert wider. Laut einem vom BID in Auftrag gegebenen Gutachten  könnte das Verfahren deshalb sogar verfassungswidrig sein.

Einen anderen Reformvorschlag macht das Bündnis "Grundsteuer Zeitgemäß!" , zu dem unter anderem der Deutsche Mieterbund und die Umweltschutzorganisation BUND zählen: Entscheidend für die Grundsteuer soll künftig nur noch der Boden sein, egal ob bebaut oder unbebaut. Das würde nach Ansicht der Befürworter zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit Bauland führen - unter anderem, weil Investitionen in bestehende Gebäude nicht zu höheren Grundsteuern führen.


Mit welchem Urteil ist zu rechnen?

In welche Richtung die Karlsruher Richter die Politik nun schicken, ist offen. Bis Hausbesitzer und Mieter die Folgen einer Reform spüren, dürften noch mehrere Jahre vergehen. "Die Grundsteuer auf Basis der neuen Grundsteuermesszahlen wird erst im Jahr 2027 festgesetzt", sagt Wendt.

Sollte die neue Formel erst einmal gefunden sein, erwartet der Experte jedoch auch jene regelmäßigen Neubewertungen, die der Staat eigentlich schon seit Jahrzehnten vornehmen sollte. "Wenn die Daten einmal bei den Finanzämtern sind, lässt sich die Bewertung relativ schnell anpassen."

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