Darbende Einzelhändler So ändert sich das Shoppen im Shutdown

Die Deutschen kaufen in der Coronakrise seltener ein – und stärker lokal: Das zeigt eine Umfrage im Auftrag des SPIEGEL. Viele Händler kämpfen mit kreativen Ideen um Kunden und Umsätze.
Passanten in der Altstadt von Lüneburg (Archiv)

Passanten in der Altstadt von Lüneburg (Archiv)

Foto: Philipp Schulze / picture alliance / dpa

Eine Schneiderpuppe mit Schal, weiße Kleiderständer mit Mänteln in Schwarz und Beige, daneben eine Vitrine mit handgearbeitetem Schmuck, Bilder und Postkarten von Künstlern an dunkelgrauen Wänden: Wie ein moderner Concept Store sieht dieser Laden auf den Fotos aus. Doch das Konzept hier ist Lüneburg: »Regionalien von hier« heißt der Pop-up-Store in einem zuvor leer stehenden Laden in der Innenstadt von Lüneburg. Produkte aus der Region gibt es hier zu kaufen, ganz stationär, und zwar seit Ende Oktober – kurz vor Beginn des Shutdowns.

»Das wird sehr gut angenommen, wir sind selbst überrascht«, sagt Florian Rollert, der den Laden zusammen mit Geschäftspartner Jan Gelinsky gegründet hat. »Seit dem neuen Shutdown sind in Lüneburg zwar weniger Leute unterwegs. Aber bei uns ist die maximale Zahl von acht Kunden im Laden schon mal erreicht.«

Rollert, hauptberuflich Betreiber eines Juweliergeschäfts in Lüneburg, tritt mit diesem Laden eine Art Flucht nach vorn an: »Wir sind überzeugte stationäre Einzelhändler, auch in Zeiten von Corona. Und wir wollen lokalen Produzenten und den besonders betroffenen Künstlern und Vereinen eine Möglichkeit geben, ihre Produkte zu verkaufen«, sagt Rollert. Möglich sei dies auch dank des Lüneburger Vermieters, der ihnen mit der Miete entgegengekommen sei.

Der Pop-up-Store »Regionalien von hier« in Lüneburg

Der Pop-up-Store »Regionalien von hier« in Lüneburg

Foto: Florian Rollert

Die Menschen kaufen lokaler ein

Dass der Pop-up-Store offenbar besser ankommt als erwartet, könnte sogar auch an der Coronakrise liegen: Denn aufgrund der Pandemie kaufen mehr Menschen eher vor der Tür ein, anstatt in die nächste Großstadt zu fahren. Die Lüneburger frequentieren also verstärkt ihre Geschäfte vor Ort, statt einen Shopping-Ausflug in die Hamburger City zu machen. Und die Großstädter kaufen eher in der Ladenzeile ihres Viertels als in der Innenstadt ein.

Das zeigt auch eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag des SPIEGEL: Ein Drittel der Befragten geht demnach seit dem Shutdown am 2. November verstärkt in kleinen Läden vor Ort einkaufen, nur sechs Prozent der Befragten frequentieren nach eigenen Angaben vermehrt große Einkaufsstraßen oder -zentren. Tatsächlich beklagen vor allem die zentralen Innenstädte mit ihren großen Einzelhandelsketten auch in diesem Shutdown besonders starke Kundenverluste.

Denn auch wenn die Läden anders als im ersten Shutdown im Frühjahr diesmal geöffnet bleiben, so kommt doch weniger Kundschaft. Laut dem Einzelhandelsverband HDE lag die Zahl zuletzt 40 Prozent unter dem Vorjahreswert. Während Gastronomie und Hotels im November großzügige Hilfen vom Staat bekommen, sieht sich der Handel benachteiligt. »Wenn die Politik jetzt nicht mit Hilfsprogrammen eingreift, dann überschreiten wir zeitnah den Kipppunkt, ab dem viele Händler nicht mehr zu retten sein werden«, sagt Hauptgeschäftsführer Stefan Genth.

Mode leidet am stärksten

Auch die Civey-Umfrage für den SPIEGEL zeigt, wo das Problem liegt. 40 Prozent der Befragten gaben an, seit dem Shutdown seltener einkaufen zu gehen. Nur knapp drei Prozent geht häufiger shoppen, gut die Hälfte (57 Prozent) gibt an, dies genauso häufig zu tun wie früher.

Schaut man auf die Produktgruppen, so leidet die Modebranche am stärksten: Knapp dreißig Prozent der Befragten gaben an, weniger Mode zu kaufen, gefolgt von Inneneinrichtung und Unterhaltungselektronik (je rund ein Fünftel der befragten Konsumenten).

Vor allem kleinere Händler trotzen der Krise mit kreativen Lösungen. In Lüneburg haben sie sich auf dem Onlineportal shop-lueneburg.de  zusammengeschlossen. Aus »Violas Gewürze und Delikatessen«-Laden kann man dort eine Linsenbolognese bestellen, aus dem Schuhgeschäft Schnabel eine Gummi-Stiefelette von Aigle, vom Juwelier Suepke eine Uhr mit Lüneburg-Skyline.

Das Medienhaus Lüneburg betreibt den Shop-Lüneburg.de für den lokalen Handel, sammelt über seinen Logistikdienstleister die online gekaufte Ware bei den Läden ein und liefert sie am selben Tag noch aus. Die Ware wird nicht, wie bei Amazon, aufwendig verpackt, sondern im Schuhkarton ausgeliefert.

Der Onlineshop wurde zwar schon vor der Coronakrise gegründet, um dem lokalen Einzelhandel zu helfen, ist aber in diesem Jahr kräftig gewachsen: »Viele unserer Händler haben gar keinen Onlineshop, was ihnen im Shutdown natürlich fehlt. Und viele Kunden wollen online, aber lokal einkaufen«, sagt Thomas Grupe vom Medienhaus Lüneburg.

Lauf-Videos aus dem Wohnzimmer

Selbst eine zentrale Lage in einer Großstadt muss kein Nachteil sein – wenn man entsprechend auf die Krise reagiert. Dies zeigt der Frankfurter Laufshop in der Innenstadt von Frankfurt am Main. Der Laden ohne Onlineshop hat sich im ersten Corona-Shutdown komplett digitalisiert, auch die Laufanalyse ins Internet verlegt. Während er im ersten Shutdown komplett geschlossen war, zahlreiche Menschen aber das Laufen entdeckten , ließ Inhaber Jost Wiebelhaus seine Kunden Fotos von ihren Füßen und Videos von ihrem Laufstil aus dem Wohnzimmer schicken. »Dann haben wir Modelle ausgewählt, das mit den Kunden am Telefon besprochen und ihnen die Schuhe zugeschickt – das hat uns gerettet«, sagt Wiebelhaus. Noch immer werde diese Onlineberatung genutzt, aber inzwischen deutlich weniger – die Läden sind ja wieder geöffnet.

In der Coronakrise schloss sich Wiebelhaus der am 19. März gegründeten Initiative »Händler helfen Händlern« auf dem Karrierenetzwerk LinkedIn an. Inzwischen tauschen sich dort mehr als 3000 Handelsunternehmen und -verbände über die Folgen und den Umgang mit Corona aus.

"Local Heroes"-Gutscheine sollen die Kaufkraft vor Ort halten

Auch das Gutscheinsystem »Local Heroes«  wächst, eine Art Schulterschluss von Händlern im Saarland: Die neuen Gutscheinkarten können im Laden oder digital gekauft werden und gelten für ein spezielles Geschäft, Restaurant oder Tattoo-Studio oder für alle teilnehmenden Händler einer Gemeinde. Das Ziel: die Kaufkraft im Ort halten und die Geschäfte vernetzen – seit der Coronakrise wichtiger denn je. »Ich glaube, wir können uns selbst helfen«, sagt Heidi Houy, Mitinitiatorin von "Local Heroes" und Inhaberin des Houy Modehauses in St. Wendel.

Jost Wiebelhaus vom Frankfurter Laufshop hat seit dem Sommer eine eigene Antwort auf die Corona-Pandemie gefunden: »Jetzt vergeben wir online vor allem Beratungstermine im Laden – das hab ich mir bei den Apple-Shops abgeguckt.« Damit seien weniger Kunden auf einmal da, dafür verteilten sie sich besser, während sich früher alles zur Mittagszeit und am Wochenende ballte. Diese digitale Terminvergabe werde er auf jeden Fall beibehalten. »Man muss sich halt immer was Neues ausdenken – und zwar schneller als die Großen«, sagt Wiebelhaus. Selbst wenn er den Laden erneut schließen müsste, »halten wir noch mal zwei, drei Wochen durch – wir wissen jetzt wie's geht.«

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