Henrik Müller

Neue Weltordnung Die fünf Feinde der Globalisierung

Die großen Handelsmächte machen ihre Schotten dicht, die Zeit der Globalisierung scheint vorbei. Das ist kein Zufall, denn starke Kräfte sind am Werk.

Es gab eine Zeit, da wollten alle vor allem eines: raus aus der nationalen Enge. Das ist noch gar nicht so lange her - auch wenn es derzeit manchmal so scheint.

Vor knapp drei Jahrzehnten hoben sich weltweit die Schlagbäume. Die große Grenzöffnung der Jahre nach 1990 war mit großen Hoffnungen verbunden: Wohlstand, Dynamik, Freiheit.

Es war viel los damals. Grenzüberschreitende Binnenmärkte entstanden in Nordamerika (Nafta) und Westeuropa (EU). Die ex-sozialistischen Staaten Mittelosteuropas wollten möglichst rasch der EU beitreten. Die bislang letzte internationale Handelsrunde ("Uruguay-Runde") wurde beendet und die Welthandelsorganisation (WTO) gegründet, während China sich auf einen WTO-Beitritt vorbereitete. Indien begann einen Kurs der vorsichtigen Öffnung. In Südamerika entstand der Handelsraum Mercosur.

Der Kontrast zu heute ist unübersehbar: Möglich, dass die Globalisierung der Wirtschaft, so wie wir sie kennen, am Ende ist.

Die Welt macht dicht

In den USA regiert jetzt ein protektionistischer Präsident, der im beginnenden Kongress-Wahlkampf Amerikas wichtigste Handelspartner mit Zöllen bedroht. Die EU und China reagieren mit Gegendrohungen. Man kann sich leicht eine Eskalationsspirale zwischen den drei großen Handelsmächten ausmalen. Man darf gespannt sein, wie ihre Gespräche beim G20-Treffen in Buenos Aires am Montag verlaufen.

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Institut für Journalistik, TU Dortmund

Henrik Müller ist Professor für wirtschaftspolitischen Journalismus an der Technischen Universität Dortmund. Zuvor arbeitete der promovierte Volkswirt als Vizechefredakteur des manager magazin. Außerdem ist Müller Autor zahlreicher Bücher zu wirtschafts- und währungspolitischen Themen. Für den SPIEGEL gibt er jede Woche einen pointierten Ausblick auf die wichtigsten Wirtschaftsereignisse der Woche.

Auch der EU-Binnenmarkt wird zurückgebaut, weil die zweitgrößte europäische Volkswirtschaft, Großbritannien, aussteigt (achten Sie auf den EU-Gipfel ab Donnerstag). Weitere Auflösungserscheinungen sind möglich, so könnte etwa Italien seine Euro-Mitgliedschaft infrage stellen. Erste Sondierungen zwischen Links- und Rechtspopulisten deuten in diese Richtung; ab Freitag können in Rom Koalitionsverhandlungen beginnen.

Die WTO ist nur noch ein Schatten ihrer selbst, seit die bislang letzte Welthandelsrunde ("Doha-Runde") gescheitert ist. Bedeutende regionale Wirtschaftsabkommen im pazifischen (TPP) und atlantischen (TTIP) Raum gibt es nur noch ohne die USA - oder gar nicht.

Das Spiel aus Sanktionen und Gegensanktionen mit Russland verschärft sich derweil weiter. Ein Land, das internationale Regeln bricht - von der Krim-Annexion über die Einmischung in westliche Mediensysteme bis zur mutmaßlichen Vergiftung von Ex-Spionen -, soll irgendwie zur Rechenschaft gezogen werden. Montag werden sich die EU-Außenminister mit dem Thema befassen. Das hat nicht direkt etwas mit Protektionismus zu tun, doch es passt in den Trend zum Rückzug in vermeintliche nationale Schutzräume.

Die Welt macht dicht, so scheint es. Und all dies geschieht nicht auf dem Höhepunkt einer Wirtschaftskrise, wie in den Dreißigerjahren, als der Absturz der Wirtschaft binnen weniger Jahre zu einem Kollaps des Welthandels führte. Im Gegenteil: Die Weltkonjunktur brummt (achten Sie Donnerstag auf neue Zahlen vom Ifo-Geschäftsklimaindex).

Warum steigt gerade jetzt das protektionistische Risiko?

Gegenwind, aus fünf Richtungen

Einige starke Kräfte wirken gegen die weitere Globalisierung. Teils sind sie durch die Öffnung der Wirtschaft erst entstanden, teils wirken sie unabhängig davon. Insbesondere:

  • Institutionen: Intensiverer internationaler Handel zwingt zur Spezialisierung; Gesellschaften konzentrieren sich auf wirtschaftliche Aktivitäten, in denen sie besonders gut sind. Andere Bereiche schrumpfen zugunsten von Importen. Das heißt: Öffnung schafft Gewinner und Verlierer. Die Einkommen mögen durch internationalen Austausch in der Summe steigen, aber nicht jeder hat etwas davon. Um diesen Effekt auszugleichen, braucht es effektive Sozialstaaten und Bildungssysteme. Wo diese Institutionen schwach sind - wie in den USA -, wenden sich Bürger eher von der Globalisierung ab.
  • Demographie: Die Öffnung von Märkten bedeutet Veränderung. Wer Chancen nutzen will, muss Risiken eingehen. Jüngere sind dazu im Schnitt eher bereit als Ältere. Die Öffnung der Neunzigerjahre war getrieben von den kopfstarken Jahrgängen derjenigen, die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren geboren wurden. Jetzt kommen nur noch wenige Jüngere nach. Es sieht so aus, als seien die alternden Gesellschaften des Westens (und Chinas) - und die schrumpfenden Gesellschaften Osteuropas - all des raschen Wandels überdrüssig.
  • Finanzkrisen: Mit der Globalisierung ging eine Kette von Crashs einher - Mexiko-Krise (1994/95), Asien- (1997) und Schwellenländerkrise (1997/98), das Platzen der Dot-Com-Blase (2000), Lehman-Pleite (2008), Eurokrise (ab 2010) - und als Nächstes vielleicht ein Crash im hoch verschuldeten China?. Finanzkrisen sorgen für Verunsicherung. Sie schaffen eine Menge Verlierer und wenige spektakuläre Gewinner. Bislang bekommen wir sie nicht in den Griff, weil es zwar internationalisierte Finanzmärkte gibt, aber keine schlagkräftigen internationalen Institutionen (siehe nächster Punkt), die sie regulieren würden.
  • Weltordnung: Internationale Institutionen sind unabdingbar, um die Globalisierung zu managen. Aber wer schafft sie, und wer stützt sie? Dafür braucht es Großmächte - so wie die USA, die in der Nachkriegszeit die noch existierenden globalen Institutionen etablierten (nun aber das Interesse daran verlieren). Die Globalisierung führt jedoch zu einer Neuverteilung von Macht. Der Aufstieg von Staaten (insbesondere China) fordert etablierte Großmächte (wie die USA) heraus. Folge: Die internationale Ordnung und ihre Institutionen werden durch die Globalisierung geschwächt - eine paradoxe Entwicklung, die durch ideologische und kulturelle Gegensätze noch verschärft wird.
  • China & Co.: Eigentlich sollte die Globalisierung Wohlstand, Dynamik und Freiheit verbreiten. Offene Wirtschaft = offene Gesellschaft, das war die Erwartung. Doch wir beobachten das Gegenteil. China ist auf dem großen Sprung zurück in eine Ein-Mann-Diktatur. Auch anderswo - in Russland, der Türkei oder in Ägypten - sind starke Männer am Ruder, die mit westlichen Vorstellungen von Demokratie und Freiheit wenig anfangen können. In der Wirtschaftspolitik macht sich Großmachtgebaren breit. Westliche Freihändler haben ein Argumentationsproblem.

Was jetzt? Eine liberale, auf starke Institutionen gebaute Globalisierung ist nicht in Sicht. Allerdings: Die Globalisierung im weiteren Sinne - mit grenzüberschreitenden Informationsströmen und Migrationsbewegungen, Umweltproblemen und Terrorgefahren - wird weitergehen. Abschottung und nationale Alleingänge werden daran nichts ändern.

Die wichtigsten Wirtschaftstermine der Woche

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