Wegen Preiserhöhungen Europäische Zentralbank hebt Leitzins überraschend deutlich an

Hauptgebäude der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main
Foto: S. Ziese / blickwinkel / IMAGODie hohe Inflation zwingt Europas Zentralbank zu einem höheren Tempo bei ihrer ersten Zinserhöhung seit elf Jahren. Die Zinsen steigen um jeweils 0,5 Prozentpunkte, wie die Notenbank am Donnerstag mitteilte.
Damit entfällt der bisherige Negativzins von minus 0,5 Prozent für geparkte Gelder von Geschäftsbanken. Viele Institute gaben diese Belastung in den vergangenen Jahren an Privatkunden als sogenanntes Verwahrentgelt weiter. Der Leitzins, zu dem sich Kreditinstitute bei der EZB Geld leihen können, steigt von null Prozent auf 0,5 Prozent. Für die nächsten Sitzungen kündigte die EZB weitere Zinserhöhungen an.
Den Kurswechsel hatte der EZB-Rat bereits bei seiner vorherigen Sitzung im Juni angebahnt, allerdings einen kleineren Zinsschritt von jeweils 0,25 Prozentpunkte in Aussicht gestellt. »Der EZB-Rat hielt es für angemessen, einen größeren ersten Schritt auf dem Weg zur Normalisierung der Leitzinsen zu tun, als er auf seiner letzten Sitzung angekündigt hatte«, teilte die Notenbank nun mit. Diese Entscheidung beruhe auf der aktualisierten Einschätzung der Inflationsrisiken durch den EZB-Rat.
Neues Anti-Krisen-Instrument
Kritiker werfen der EZB vor, die Zinswende viel zu spät einzuleiten. Die Teuerung im Euroraum zieht seit Monaten auf Rekordniveau an. Zugleich haben sich die Wirtschaftsaussichten wegen des Krieges in der Ukraine verschlechtert. Hebt die EZB die Zinsen in diesem Umfeld zu rasch an, könnte das vor allem für hoch verschuldete Staaten in Südeuropa zur Belastung werden.
Um sicherzustellen, dass Zinserhöhungen Länder wie zum Beispiel Italien nicht über Gebühr belasten und um eine Fragmentierung des Währungsraums zu verhindern, legt die EZB ein neues Anti-Krisen-Programm auf, das sogenannte Transmission Protection Instrument (TPI).
»Das TPI wird das Instrumentarium des EZB-Rats ergänzen und kann aktiviert werden, um ungerechtfertigten, ungeordneten Marktdynamiken entgegenzuwirken, die eine ernsthafte Bedrohung für die Transmission der Geldpolitik im Euroraum darstellen«, erklärte die Notenbank. »Der Umfang von Ankäufen im Rahmen des TPI hängt von der Schwere der Risiken für die geldpolitische Transmission ab. Die Ankäufe sind nicht von vornherein beschränkt.«
Laut EZB-Chefin Christine Lagarde kann im Prinzip jedes Land der Euro-Zone in den Genuss des Programms kommen. Es sei für spezielle Situationen und Risiken geschaffen worden, die jeden Staat treffen könnten. Der EZB-Rat werde bei Bedarf in eigener Regie darüber entscheiden, ob dieses Programm für ein Land aktiviert werde, betonte Lagarde. Details zum Programm sollten in Kürze in einer Pressemitteilung veröffentlicht werden.
Sorge um Italien
Die Arbeiten an diesem neuen Anti-Krisen-Instrument hatte die EZB nach Unruhen an den Finanzmärkten Mitte Juni forciert. Der Renditeabstand – Spread genannt – zwischen Staatsanleihen aus Deutschland und denen höher verschuldeter Euroländer, insbesondere Italiens, hatte sich nach der EZB-Ankündigung einer ersten Zinserhöhung im Sommer ausgeweitet. Für Länder wie Italien wird es teurer, sich frisches Geld zu besorgen. Das könnte für solche Staaten angesichts schon gewaltiger Schuldenberge zum Problem werden.
In Italien verschärfte sich die Lage am Donnerstag durch den Rücktritt von Premierminister Mario Draghi. Lagarde wollte sich dazu nicht äußern. »Die EZB nimmt keine Stellung zu politischen Angelegenheiten«, sagte Lagarde auf der Pressekonferenz zur Leitzinserhöhung. Dies sei Sache des demokratischen Prozesses jedes einzelnen Mitgliedstaates und gelte auch für Italien
Im Juni lagen die Verbraucherpreise im Euroraum um 8,6 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Die EU-Kommission rechnet für das Gesamtjahr 2022 mit durchschnittlich 7,6 Prozent Inflation im Währungsraum der 19 Länder. Das wäre ein historischer Höchstwert und weit über dem von der EZB angestrebten stabilen Preisniveau mit einer jährlichen Teuerungsrate von zwei Prozent. Eine höhere Inflation schmälert die Kaufkraft von Verbraucherinnen und Verbrauchern, sie können sich also für ihr Geld weniger leisten.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß es, die EZB hebe den Leitzins um 0,5 Punkte an, korrekt sind jedoch 0,5 Prozentpunkte. Wir haben den Text entsprechend korrigiert.