Hermann-Josef Tenhagen

Kfz-Versicherungen Wie die Versicherer mit Tariftricks ihre Stammkunden ausnehmen

Hermann-Josef Tenhagen
Eine Kolumne von Hermann-Josef Tenhagen
Immer häufiger werben vor allem Kfz-Versicherer mit günstigeren Tarifen um neue Interessenten. Häufig gehen die Billigangebote zulasten der Bestandskunden – doch die können sich wehren.
Der Konkurrenzdruck bei Kfz-Versicherungen ist groß

Der Konkurrenzdruck bei Kfz-Versicherungen ist groß

Foto: Matthias Balk / dpa

Verbraucher kennen das: Neukunden werden besser behandelt als die alten. Bei Stromanbietern und Telekom-Konzernen , im Fitnessstudio oder bei der Zeitung. Die Neuen bekommen einen Bonus oder einen Preisnachlass. Sie werden freudig begrüßt und beschenkt – mit dem Geld, das die Firma mit den alten Kunden verdient hat. Als Bestandskundin ärgert man sich und entscheidet womöglich, den Anbieter zu wechseln, um selbst in den Genuss der Vorteile für Neukunden zu kommen.

Auch Versicherer behandeln neue Kunden oft besser als die alten. Sie machen es nur nicht so kenntlich wie Stromkonzerne oder Unternehmen aus der Telekommunikationsbranche.

Bestandskunden und Neukunden in der Kfz-Versicherung

Stattdessen wird mit kleinen Kniffen versucht, ein angeblich neues Produkt für die neuen Kunden zu vertreiben, das dann teils deutlich preiswerter ist. »Unser Neugeschäftstarif wird jedes Jahr neu konzipiert«, heißt es beim Direktversicherer Verti. Tarifanpassungen würden aber nicht automatisch an Bestandskunden weitergegeben. Bedeutet also: Den alten Kunden sagt man nicht, dass es neue, vielleicht bessere Angebote gibt . Wenn sie aber selbst darauf kämen, enthielte man ihnen das bessere Angebot nicht vor, so die Versicherer.

Die Vertriebsfirmen setzen dann noch ein Häubchen drauf. Sie verwenden einen Teil der Provision, die sie für einen Vertragsabschluss erhalten, um bereits sehr günstige Tarife für Neukunden noch ein bisschen günstiger zu machen und mit solchen Angeboten auf den Vergleichsportalen vor die Konkurrenz zu rücken .

Europas Versicherungsaufsicht grummelt

Der Europäischen Versicherungsaufsicht EIOPA ist diese Politik der Konzerne ein Dorn im Auge. Im vergangenen Herbst, mitten in der Wechselsaison für Autoversicherungen, startete sie eine Konsultation. So wollte die Aufsicht erfahren, ob sie mit ihrem Ärger allein ist oder ob Verbraucher, Regierungen und beteiligte Unternehmen diese Praxis womöglich auch für »schädlich für Verbraucher und unfair« halten. Das könne immer dann der Fall sein, wenn Versicherungspreise nichts mit Risiken und Kosten, sondern mit dem Ausnutzen der Zahlungsbereitschaft von Kunden zu tun hätten, so die Aufsicht .

In Irland und Großbritannien hatten die nationalen Regierungen in den vergangenen Jahren unterschiedliche Preise für alte und neue Kunden bereits verboten. Die britische Aufsicht, die schon bei Restschuldversicherungen  Milliardenforderungen der Kunden gegen Banken und Versicherer möglich gemacht hatte, schrieb explizit ins Gesetz, dass auch Umgehungsstrategien immer noch einen Verstoß gegen das Verbot solcher Preisunterschiede darstellten. Sie hatte festgestellt, dass bei Millionen Verträgen jährlich mehr als 1,2 Milliarden Pfund zusätzlich kassiert worden waren. In Einzelfällen zahlten treue Kunden bis zu 50 Prozent mehr . Auch die niederländische Aufsicht ist besorgt, dass der Konkurrenzdruck bei Kfz-Versicherungen »den moralischen Kompass« der Versicherer außer Kraft setzen könnte.

Meine Kollegen bei Finanztip haben sich im Herbst an der Konsultation der Europäischen Versicherungsaufsicht beteiligt. Eine intransparente Preispolitik ist für uns ein Ärgernis, weil Kunden damit die Chance genommen wird, einfach den preiswertesten und besten Anbieter zu finden .

Mit KI und Big Data die Schwächen der Kunden ausnutzen

Nach der Konsultation vergangenen Herbst hat die Versicherungsaufsicht EIOPA nun eine Stellungnahme abgegeben, die die Regulierung in den EU-Mitgliedsländern anleiten soll . Darin stellt die Aufsichtsbehörde fest, dass es Preisdifferenzen für Neu- und Bestandskunden in der Versicherungswirtschaft seit Langem existierten. Mit künstlicher Intelligenz und Big Data würden aber die Schwachstellen der Kunden in einer Breite ausgenutzt, die es früher nicht gegeben habe. Womöglich hätten insbesondere »ältere Kunden oder Kunden mit weniger Zugang zu digitalen Vergleichsplattformen« das Nachsehen.

Ein besonderes Ärgernis sind für die Aufsicht denn auch höhere Preise für solche Bestandskunden, die sich – weil älter oder nicht so digitalaffin – schwertun mit einem Wechsel, deren mangelnde Preissensibilität ausgenutzt wird und denen man erst vermeintlich günstige Tarife verkauft, die dann für die Kunden unerwartet deutlich im Preis steigen (Kapitel 3.8 der Stellungnahme).

Aktive Kunden sind im Vorteil

Jetzt fragen Sie sich vielleicht, warum Sie das alles wissen sollten. Sie können doch mitten im Jahr an Ihrem Autoversicherungsvertrag ohnehin nicht viel machen .

Solange sich an den rechtlichen Voraussetzungen nichts ändert, sind aktive, informierte Kunden gegenüber weniger informierten und wechselunwilligen Kunden deutlich im Vorteil. Sich das klarzumachen, hilft auch jetzt schon in zwei Punkten.

Erstens sollten Sie sich gehörig ärgern, wenn Ihr Versicherer derartige Preisspiele macht. Das motiviert Sie hoffentlich, zum nächstmöglichen Termin  von Ihrem Kündigungsrecht Gebrauch zu machen und sich einen neuen, günstigeren Tarif zu suchen .

Wenn Anbieter wie HUK-Coburg, Verti oder Allianz erklären, dass sie jedes Jahr neue Tarifgenerationen an den Start bringen , bedeutet das für Sie, dass Sie jedes Jahr prüfen sollten, ob der Neugeschäftstarif Ihres Versicherers nicht günstiger und/oder besser ist. Auch als Bestandskunde können Sie jedes Jahr wieder in den neuesten Vertrag wechseln. Die HUK-Coburg schreibt dazu: »Es gibt bei uns keine Tarife, die nur für Neukund:innen abschließbar sind.« Bei der Allianz heißt es: »Selbstverständlich steht es unseren Kunden auch frei, in den jeweils aktuellen Tarif zu wechseln.« Innerhalb eines Tarifs werden dann alle Kunden gleichbehandelt.

Wenn Sie schon Ihren Versicherungsvertrag überprüfen, dann machen Sie es gleich richtig: Beziehen Sie nicht nur die neueste Tarifgeneration Ihres Versicherers in den Vergleich ein, sondern auch die anderer Anbieter. Das funktioniert über ein Vergleichsportal . Geben Sie Ihre Daten ein und schauen Sie, welcher (andere) Anbieter günstiger ist.

Und noch ein zweiter Grund, sich schon jetzt mit Ihrer Versicherung auseinanderzusetzen: Sie können auch unterjährig an Ihren Anbieter herantreten und um die Einstufung in einen neuen vergleichbaren, aber preiswerteren Tarif bitten. So lässt sich für den Rest des Versicherungsjahres sparen.

HUK-Coburg und HDI sowie einige andere Anbieter lassen bei der Kfz-Versicherung unterjährig den Wechsel in einen Neugeschäftstarif per Tarifumstellung zu.

Sie sollten dabei jedoch darauf achten, dass Sie nicht einen neuen Jahresvertrag abschließen – sondern einfach nur den laufenden Vertrag zu den neuen Konditionen ausfüllen. Dann haben Sie nämlich im November noch mal die Gelegenheit, den Tarif oder gar Anbieter zu wechseln, wenn Sie ein günstigeres Angebot finden.

Die Aufsicht EIOPA möchte, dass die Preispolitik der Versicherer »loyale Kunden« nicht bestraft. Bis daraus konkrete Regeln für Kfz- und andere Versicherer folgen, bleibt Ihnen vor allem, sich besser zu informieren und Ihrem Versicherer nicht zu treu zu sein.

Und wenn die Aufsicht das Problem für groß genug hält, sollte sie die Versicherer dazu verdonnern, Neukundentarife mit einem expliziten Bonus anzubieten. Dann sieht die Kundin, ob und wie viel günstiger es wird. Natürlich sollten Anbieter verpflichtet werden bei jeder Vertragsverlängerung den relevanten Neugeschäftstarif mit seinem Preis zu nennen. Dann kann jede Kundin und jeder Kunde sehen, welche Strategie das Versicherungsunternehmen verfolgt.

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