Klaus Müller

Verbraucherzentrale-Chef Müller Klimafreundlicher Konsum muss sich lohnen

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Ein Gastbeitrag von Klaus Müller
Der Staat sollte Produkte mit hohen CO₂-Emissionen mit noch höheren Abgaben belegen und das eingenommene Geld an die Bürger komplett zurückgeben. So fördert die Politik klimafreundliches Verhalten.
Einkauf von Ökoprodukten in einem Biomarkt in Hamburg

Einkauf von Ökoprodukten in einem Biomarkt in Hamburg

Foto: David Ebener/ picture alliance / dpa

Für Teile der Politik scheinen die Verursacher der Klimakrise klar zu sein: die Verbraucherinnen und Verbraucher. Für sie werde schließlich alles produziert. »Sollen sie doch klimafreundlich einkaufen«, heißt dann die vermeintliche Lösung. Doch der Rat ist so realistisch und hilfreich wie der, man solle doch zu Kuchen greifen, wenn kein Brot im Haus ist, statt zu hungern. Die Verbraucher stehen am Ende der Produktionskette. Sie können die Bedingungen an deren Anfang nur sehr indirekt beeinflussen.

Direkt kann das die Politik. Und sie muss es auch, wenn wir schnell mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz erreichen und die Kosten dafür fair verteilen wollen. Nicht das Abwälzen der Verantwortung auf individuelle Konsumentscheidungen wird die benötigte Klimawende bringen, sondern eine effiziente staatliche Regulierung, die zu einer sozialverträglichen Internalisierung externer Kosten führt. Eine Betonung des Verursacherprinzips würde versteckte Wettbewerbsverzerrungen abbauen und die Gesamtkosten für die Gesellschaft senken.

Foto: vzbv / Jan Zappner

Klaus Müller, Jahrgang 1971, ist seit 2014 Vorsitzender des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV) in Berlin, der Dachgesellschaft der 16 Verbraucherzentralen in Deutschland. Der studierte Volkswirt war von 2000 bis 2005 Umweltminister in Schleswig-Holstein. Danach leitete Müller die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Müller ist Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen.

Nachhaltigkeit und Klimaschutz sind teuer. Diesem Eindruck kann sich nicht erwehren, wer die Durchschnittspreise ähnlicher Produkte im Discounter und im Biomarkt vergleicht. Den Verbrauchern müsse das die Rettung der Welt schon wert sein, so scheint es. Und so klingt es manches Mal auch aus der Politik. »Wir alle sind vom Klimawandel betroffen. Und wir alle können auch etwas für den Klimaschutz tun. Man könne anders reisen, anders mobil sein, anders wohnen, anders essen«, hieß es jüngst in einer sicher gut gemeinten Erklärung der Bundesregierung.

Manchmal ist der Ton weniger ermutigend, sondern kippt ins Vorwurfsvolle. Dann heißt es, die Verbraucher müssten halt anders einkaufen, sie hätten es schließlich in der Hand. Aber der Verbraucher sei ja ein unverständliches Wesen, welches das eine sage und das andere tue. Gerade vor wenigen Wochen wieder war vom sogenannten Konsumparadoxon zu lesen, oder vom »Attitude-Behaviour-Gap«, wie es ein großer Online-Textilhändler formulierte. Dessen Studie zeigte, dass Verbraucher bekunden, nachhaltig einkaufen zu wollen, sich dann aber nicht über Nachhaltigkeit zu informieren.

Daran sind gleich mehrere Dinge falsch.

Erstens ist der Griff zum Billigsten gar nicht unverständlich, sondern bei fehlenden Informationen rational. Noch vor Kurzem haben sich viele deutsche Unternehmen mit Händen und Füßen gegen ein Lieferketten-Gesetz gestemmt. Die Begründung: Es sei unmöglich, die Lieferketten wirklich zu kontrollieren und nachzuverfolgen, ob in allen Produktionsstufen Umweltauflagen oder Arbeitsschutzvorschriften eingehalten würden. Die Industrie kann es also nach eigener Einschätzung nicht kontrollieren. Dem Verbraucher aber wird vorgeworfen, er würde sich nur nicht informieren. Fällt jemandem auf, dass Verbraucher die Informationen schwerlich erringen können, wenn sich die Produzenten dazu nicht in der Lage sehen?

Einkaufen im Biomarkt kann sich nicht jeder leisten

Auf der sicheren Seite wähnen sich die Verbraucher, die nur noch im Bioladen einkaufen. Nur kann sich das – auch das gehört zur Realität unseres Landes – nicht jeder leisten. Greift der Verbraucher dann zum Billigeren, bekommt er die moralische Schuld gratis dazu. Dabei ahnen viele Verbraucher, dass ein T-Shirt für wenige Euro kaum unter fairen, klima-, umwelt- und menschenfreundlichen Bedingungen hergestellt werden kann. Aber ob das bei einem zehnmal so teuren Hemd besser ist, das kann er selten beurteilen.

Der wildwachsende Label-Dschungel aus teils komplizierten, teils wenig vertrauenswürdigen Emblemen hilft da nur wenig weiter. Wenn der Verbraucher den Nutzen eines teureren Produktes aber nicht beurteilen kann, weil ihm die Informationen fehlen, oder das Budget, im Hochpreis-Bio-Klimaneutral-und-Fairtrade-Segment einkaufen zu können, dann ist der Griff zum Billigsten rational. Damit maximiert er wenigstens seinen eigenen finanziellen Nutzen. Zumindest kurzfristig.

Der zweite Fehler enthüllt sich in der langfristigen Perspektive. Er besteht in der Fiktion, das wenige Euro kostende T-Shirt sei billig. Denn meist kann der Preis – egal, ob es um Kraftstoffe, Billigfleisch oder andere Produkte geht – nur so niedrig sein, weil Teile der Kosten auf die Allgemeinheit abgewälzt werden, etwa in Form von Ausbeutung der Arbeiter oder Verschmutzung der Umwelt und Schädigung des Klimas. Diese Kosten sind real. Sie finden sich nur nicht auf dem Preisschild. Die Zeche zahlen andere. Im Falle des Klimas: Wir alle überall auf der Welt, unsere Kinder, Enkel und deren Nachkommen.

Klimakosten müssen auf dem Preisschild stehen

Wenn diese Kosten aber nicht auf dem Preisschild stehen, kann der Konsument sie auch nicht in seine Kaufentscheidung mit einbeziehen. Noch schlimmer: Das scheinbar billige T-Shirt lässt vielleicht ein anderes, tatsächlich nachhaltigeres und klimafreundlicheres Produkt teuer erscheinen – was es nicht wäre, wenn das erste einen ehrlichen, weil vollständigen Preis haben würde. Das gilt umso mehr, wenn die Produkte – Dieselprivileg lässt grüßen – auch noch staatlich subventioniert werden. Das ist eine Wettbewerbsverzerrung, die die Gesellschaft insgesamt teuer zu stehen kommt.

»Kein Klimaschutz ist die teuerste Variante« – diese Haltung vertreten mittlerweile nicht nur die Bundesregierung, sondern auch Unternehmensberatungen, und auch Richter am Bundesverfassungsgericht haben die Freiheitsbeschränkungen hervorgehoben. Aber auch wenn die Gesamtkosten für die Gesellschaft und künftige Generationen sinken, können sie im Hier und Jetzt für einzelne Verbraucher durchaus steigen. Und damit zum Problem werden. Das droht zum Beispiel, wenn der CO2-Preis einfach ungesteuert steigt und eins zu eins an die Verbraucher durchgereicht wird. Dann trifft es Menschen besonders, die vielleicht mit ihrem Konsum für weniger CO2 verantwortlich sind, weil sie sich keine Fernreisen, vielleicht sogar gar keinen Urlaub leisten können, aber aufs Auto angewiesen sind, um sich im ländlichen Raum zu bewegen.

»Auch Strom und Heizung dürfen nicht so teuer werden, dass sie Menschen an den Rand der Verzweiflung bringen. Denn das Ende vom Lied wäre eine Spaltung der Gesellschaft."

Wenn dann kein Geld da ist, den Verbrenner durch einen klimaneutralen Antrieb zu ersetzen, wird es finster. Auch Strom und Heizung dürfen nicht so teuer werden, dass sie Menschen an den Rand der Verzweiflung bringen. Denn das Ende vom Lied wäre eine Spaltung der Gesellschaft in Menschen, die genug Geld haben, um ihr Leben wie vorher fortzusetzen und sich von allem freizukaufen, und in solche, deren Existenz durch die Zusatzkosten ins Wanken geraten.

Aber so muss es nicht kommen. Was wir brauchen, ist eine Politik, die die Verantwortung nicht auf Verbraucher abwälzt, sondern regelt, Standards für die Produktion setzt und soziale Ausgleichsmaßnahmen mit einplant. Viele Verbraucher, das zeigen unsere Umfragen immer wieder, wollen ihren Beitrag leisten. Aber nicht alle können sich das finanziell gleichermaßen erlauben. Deshalb müssen die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung vollständig an alle Verbraucher zurückgegeben werden. In gleicher Höhe pro Kopf ausgeschüttet entfaltet das Geld Steuerungswirkung. Ein Klimascheck könnte solche Menschen belohnen, die durch ihren Konsum und ihr Verhalten das Klima weniger belasten. Sie erhalten entweder finanzielle Mittel, um klimaschonendere Geräte anzuschaffen – etwa einen neuen Kühlschrank – oder verdienen mit ihrem klimafreundlichen Verhalten vielleicht sogar Geld. Menschen, die das Klima mit ihrem Konsum hingegen stark schädigen, zahlen ordentlich drauf. Auch eine Absenkung der EEG-Umlage könnte so als Rückzahlungsmechanismus wirken.

Ökostrom muss auch wirklich grün sein

Der Anreiz für erneuerbare Energie muss steigen, nicht nur für Hausbesitzer, sondern auch für Mieter – etwa über Mieterstrom oder Bürgerstromtarife. Wer einmal geprüft hat, wie hoch der Aufwand derzeit ist, selbst produzierten Strom gemeinschaftlich nutzen zu wollen, weiß wie abschreckend die jetzigen Regeln sind. Schädlich hingegen sind Meldungen wie die aus der vergangenen Woche, dass viele Energiekonzerne bis zu 58 Prozent weniger Ökostrom liefern als offiziell angegeben, weil sie die EEG-Umlage mit einrechnen dürfen, auch wenn sie selbst keinen Grünstrom erzeugen. Ist hier auch wieder der Verbraucher schuld, weil er sich nicht ausreichend informiert hat?

Für Menschen, die bisher aufs eigene Auto angewiesen sind, brauchen wir komplett neue Angebote – etwa App-basierte Mobilitätsangebote ab der Haustür mit verschiedenen Verkehrsmitteln, darunter auch ein besserer ÖPNV und Sharing-Angebote, einfach mit wenigen Klicks kombinierbar. Dazu müssen alle Verkehrsunternehmen ihre Daten bereitstellen. Um den Umstieg anzureizen, könnte, wer sein Auto mindestens ein Jahr abmeldet, im Gegenzug ein Jahresticket für den Nahverkehr oder einen Zuschuss für den Kauf eines E-Bikes erhalten.

Wer ein neues Auto kaufen will, der soll endlich zuverlässige Angaben über den CO2-Ausstoß bekommen. Bislang wird der Verbrauch bei der Einteilung in Effizienzklassen mit dem Gewicht des Autos verrechnet. Es orientiert sich also nicht am absoluten Verbrauch, sondern es gilt: Je schwerer das Fahrzeug, umso mehr CO2 darf es ausstoßen und umso mehr darf es das Klima schädigen. Auch hier wird ein Verbraucher, der sich an der Effizienzklasse orientiert, in die Irre geführt.

All diese Beispiele zeigen: Ein "Sollen sie doch klimafreundlich einkaufen" wird die Welt nicht retten. Die gute Nachricht ist: Es gibt bessere Konzepte. Die Politik muss sie nur anwenden – vom Beginn bis zum Ende der Produktionskette.

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