
Zwangswechsel bei Lebensversicherungen Der Fluch der langen Laufzeiten

Zentrale der Ergo Versicherungsgruppe in Düsseldorf
Foto: Rolf Vennenbernd/ dpaDas Signal ist eindeutig, und es ist beunruhigend. Zwei der zehn größten deutschen Lebensversicherer wollen ihre Kunden loswerden. Ergo und Generali glauben offenbar nicht mehr, dass sie mit den über Jahrzehnten gewonnenen Kunden in Zukunft ordentlich Geld verdienen können. Generali hat in einem ersten Schritt eine eigene Tochter im Konzern gegründet, die zunächst die Bestände verwalten und die dann auch verkauft werden könnte.
In anderen Märkten wäre das nicht weiter schlimm. Schließlich gibt es Konkurrenz, und Millionen ungeliebte Kunden könnten woanders hingehen, wo sie willkommen sind.
Aber der Markt der Lebensversicherer ist kein normaler Markt. Zum ersten haben die Versicherungen ihren Kunden Versprechen gegeben, die sich über Jahrzehnte erstrecken. Und seit den Neunzigerjahren versprechen Lebensversicherer Gelderhalt und Renditen schwerpunktmäßig nicht nur 15 Jahre lang für eine Lebensversicherung, sondern 50 Jahre lang für eine Rentenversicherung.
Zum zweiten ist der Markt eben wegen dieser langlaufenden Versprechen stark reguliert: sowohl die Erträge für die Unternehmen als auch der Garantiezins, der rechtlichen Absicherung eines Rendite-Versprechens für die Kunden. Kunden von Lebensversicherern genießen hier besondere Sicherheit. Ihr Geld und auch die vertraglichen Ansprüche auf künftige garantierte Renditen sind geschützt, so die Idee staatlicher Aufsicht.
Kostenproblem für die verbleibenden Kunden
Wenn also die Firmen ihre Verträge loswerden wollen und gleichzeitig die Aufsicht das Geld der Kunden absichern will, ergeben sich zwei Fragen:
- Wer um Himmels willen soll diese ungeliebten Kunden mit ihren Renditegarantien haben wollen, und wie sollen die neuen Unternehmen der Kunden damit Geld verdienen?
- Wie will die deutsche Versicherungsaufsicht diese neuen Dienstleister ernsthaft überwachen?
Beide Fragen sind unbeantwortet, und das könnte die neun Millionen Lebensversicherungskunden der Ergo und Generali wirklich beunruhigen. Bei der Ergo dreht es sich um 4,9 Millionen Verträge, bei der Generali um 4,4 Millionen Verträge. Schließlich geht es um rund hundert Milliarden Euro an Kundengeldern.
Bislang gibt es zwar noch keine Käufer, aber um mehr Geld zu verdienen als die frustrierten Versicherungskonzerne, müssen die Neuen anders arbeiten. Statt neue Kunden zu gewinnen und die Zukunft ihrer Kundenbasis zu sichern, könnten die Anbieter auf solche Anstrengungen verzichten und sich aufs Geldanlegen konzentrieren. Das würde wahrscheinlich viel Personal und damit Geld sparen.
Von dieser Ersparnis und einer möglichen höheren Rendite müssten die neuen Unternehmen ihren Kunden unter deutschen Regeln aber einen großen Teil abgeben. Dann wäre der Wechsel der Vertragspartner für die Kunden vorläufig kein Problem.
Erst später, wenn die Kundenbasis schrumpft, weil die Kunden ihre Lebens- und Rentenversicherungen ausgezahlt bekommen, würde das Kostenproblem wieder auftauchen - für die verbleibenden Kunden. Das heißt insbesondere für die, die erst nach der Jahrtausendwende einen Rentenversicherungsvertrag abgeschlossen haben. Von ihren 50 oder mehr Jahren Vertragslaufzeit sind ja dann noch Jahrzehnte übrig. Für immer weniger Kunden müssen die Geldverwalter einen Apparat erhalten. Und jeder einzelne von diesen Kunden wird dann mehr von den Kosten dieses Apparats tragen müssen.
Finanzaufsicht hat vorgebaut
Schwierig ist die Situation auch für die Versicherungsaufsicht. Sie muss aufpassen, dass beim Übergang den Kunden kein Leid geschieht und in der Folge, dass die rund hundert Milliarden Euro an Kundengeldern tatsächlich den Kunden vorbehalten bleiben und nicht etwa über Umwege in anderen Taschen landen. Aus politischen Gründen muss sie zudem ein besonderes Auge auf die Riester- und Rürup-Verträge unter den Rentenversicherungen werfen. Denn für diese Verträge gibt es staatliche Förderung, also Steuergelder, und ein besonderes Fürsorgeversprechen des Staates gegenüber den Kunden, die ja diese private Altersvorsorge betreiben sollen.
Das wird nicht einfach.
An zwei Stellen hat die Aufsicht schon vorgebaut:
- Die Versichertenbestände dürfen nicht ins Ausland übertragen werden, schrieb mir die Finanzaufsicht BaFin am Donnerstag. Solchen grenzüberschreitenden Übertragungen könne schon deshalb nicht zugestimmt werden, weil Schutzmechanismen für die Kunden wie "die Mindestzuführungsverordnung und die Überschussverordnung im Ausland nicht gelten".
- Außerdem müssten auch die neuen Dienstleister ihren Firmensitz in Deutschland und die Rechtsform eines Versicherers haben.

Micha Kirsten / Finanztip
Hermann-Josef Tenhagen, Jahrgang 1963, ist Chefredakteur von »Finanztip« und Geschäftsführer der Finanztip Verbraucherinformation GmbH. Der Geldratgeber ist Teil der Finanztip Stiftung. »Finanztip« refinanziert sich über sogenannte Affiliate-Links, nach deren Anklicken »Finanztip« bei entsprechenden Vertragsabschlüssen des Kunden, etwa nach Nutzung eines Vergleichsrechners, Provisionen erhält. Mehr dazu hier .
Tenhagen hat zuvor als Chefredakteur 15 Jahre lang die Zeitschrift »Finanztest« geführt. Nach seinem Studium der Politik und Volkswirtschaft begann er seine journalistische Karriere bei der »Tageszeitung«. Dort ist er heute ehrenamtlicher Aufsichtsrat der Genossenschaft. Auf SPIEGEL.de schreibt Tenhagen wöchentlich über den richtigen Umgang mit dem eigenen Geld.
Warum aber sollten Firmen mit Marktkenntnis diese Millionen Kunden haben wollen? Sie haben genug mit den Versprechen an die eigenen Kunden zu kämpfen. Jedenfalls ist nicht bekannt, dass einer der fünf Großen im deutschen Lebensversicherungsmarkt sich für die kompletten Kundenstämme der Konkurrenz interessiert. Allianz und R+V haben bislang nur laut verkündet, dass sie nicht im Traum an einen Verkauf der eigenen Kunden denken.
Deutsche Lebensversicherung "ein sehr spezielles Produkt"
Auch für den nicht so unwahrscheinlichen dritten Fall gibt es natürlich Kontrollregeln: dass ein ausländisches Unternehmen in Deutschland einen Versicherer kauft oder etabliert, um die Milliarden an Kundengeldern zu bewirtschaften und die Millionen an Versicherungsverträgen zu betreuen. Vor dem Erwerb einer solchen Versicherung müsste der ausländische Investor bei der Versicherungsaufsicht ein sogenanntes "Inhaberkontrollverfahren" durchlaufen.
Die BaFin schreibt, dabei prüfe sie "insbesondere die finanzielle Solidität und Zuverlässigkeit des Erwerbers". Die deutsche Lebensversicherung sei eben "ein sehr spezielles Produkt", deshalb sei es doch wenig wahrscheinlich, dass die Millionen Kunden an einen Investor außerhalb Deutschlands verkauft würden.
Was folgt aus der schwierigen Situation für die neun Millionen Kunden? Es ist eigentlich gar nicht so schwierig:
- Erstens: Wenn Sie einen Vertrag haben, der noch kurze Zeit läuft und der womöglich in den Vertragsbedingungen Schlussüberschüsse vorsieht, haben Sie kein Problem. Bringen Sie den Vertrag zu Ende, und kassieren Sie im Zweifel dann vom neuen Vertragspartner.
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Zweitens: Wenn Sie eine Rentenversicherung haben, die bei guter Gesundheit noch 40 bis 50 Jahre laufen könnte, sieht die Situation anders aus. Auf der einen Seite haben Sie gerade bei Verträgen aus der Zeit direkt vor der Jahrtausendwende und direkt danach hohe Garantieversprechen im Vertrag. Auf der anderen Seite wissen Sie nicht, was die neue Firma bringt.
Es hilft nichts: Sie müssen sich nach einem Besitzerwechsel eine Meinung über den neuen Besitzer bilden. Danach wirklich jedes Jahr in Ihre Standmitteilung schauen und zum Beispiel einen Google Alert einrichten, um mitzubekommen, ob über Ihre neue Firma Negatives berichtet wird. -
Drittens: Verträge mit viel Zukunft, aber wenig Renditeversprechen sollten Sie sofort auf den Prüfstand stellen und zügig loswerden. Dafür gibt es zwei Varianten:
Entweder den Vertrag kündigen und einen Rückkaufswert von der Versicherung oder dem künftigen Dienstleister bekommen. Die Auszahlungen sind oft mager, Sie müssen mit Verlusten rechnen.
Oder den Vertrag verkaufen. Hier gibt es öfter Angebote, die über dem angebotenen Rückkaufswert des Versicherers liegen . Eine Garantie auf ein besseres Angebot gibt es aber nicht. Und auch bei einem Verkauf können Sie noch Verluste einfahren.
Und dann haben viele Kunden, ohne es zu wissen, noch einen Widerspruchsjoker im Ärmel . Wer seine Lebensversicherung im Zeitraum von 1994 bis 2007 abgeschlossen hat, wurde beim Vertragsabschluss möglicherweise nicht richtig über sein Widerspruchsrecht belehrt. Dann lässt sich auch heute noch der Vertrag rückabwickeln. Das ist in jedem Fall besser, als zu kündigen, und meist auch besser als der Verkauf.
Bleiben Sie dran.