Lebensversicherungen Vorzeitige Kündigungen kosten Kunden Milliarden
Hamburg - Sie sollen den Lebensabend finanzieren, doch für viele Verbraucher werden Kapitallebensversicherungen einer Studie zufolge zum Verlustgeschäft. Im vergangenen Jahrzehnt verloren Kunden solcher Versicherungen bis zu 160 Milliarden Euro, weil sie ihre Verträge vorzeitig kündigten, berechnete der Bamberger Finanzprofessor Andreas Oehler im Auftrag der Verbraucherzentrale Hamburg. Die hohen Einbußen entstünden, weil Abschlussgebühren und Provisionen bei einer Stornierung verloren seien.
"Die Verbraucher sparen sich das Geld für ihre private Vorsorge oft vom Munde ab", sagte Verbraucherschützer Günter Hörmann. "Doch im Alter steht es ihnen nicht zur Verfügung, weil es fehlgeleitet wird."
Die Berechnungen basieren auf mehr als tausend gekündigten Verträgen. Die Anleger hatten in den vergangenen Jahren Hilfe bei der Verbraucherzentrale gesucht. Oehler erklärte, der Anteil der Stornierungen liege je nach Quelle und Berechnung bei vier bis sechs Prozent pro Jahr. Im Schnitt verliere ein Verbraucher, der seinen Vertrag vorzeitig kündige, rund 4000 Euro. Der Professor verglich bei gleich hohen Einzahlungen den Ertrag, den ein durchschnittliches Depot mit Bundesanleihen gebracht hätte, mit der rückerstatteten Lebensversicherungssumme bei vorzeitiger Kündigung. Die Differenz definierte er als "Schaden".
Viele Kunden steigen vorzeitig aus
Durch Hochrechnungen mit Zahlen des Gesamtverbands der Versicherungswirtschaft (GDV) ergibt sich Oehlers Berechnungen zufolge bei einer Stornoquote von sechs Prozent und einem Vergleich mit sicheren Anlageformen ein Schaden von 160 Milliarden Euro zwischen 2001 und 2010, also 16 Milliarden Euro im Jahr. Bei einer Stornoquote von vier Prozent betrage der Schaden immer noch über 100 Milliarden Euro in zehn Jahren.
Der vorzeitige Ausstieg aus Lebensversicherungen sei die Regel und nicht die Ausnahme, erklärten die Verbraucherschützer. Mehr als drei Viertel aller Kunden führten ihre auf 30 Jahre laufenden Verträge nicht zu Ende. Bei den auf 20 Jahre abgeschlossenen Policen seien es immer noch 55 Prozent.
Kunden stornieren ihre auf Jahrzehnte angelegten Kapitallebens- und privaten Rentenversicherungen zum Beispiel wegen Arbeitslosigkeit, Scheidung, Krankheit, Existenzgründung, dem Kauf einer Immobilie oder der Erkenntnis, dass ein schlechter Vertrag unterschrieben wurde, erklärten die Verbraucherschützer.
Die hohen Kosten bei einem vorzeitigen Vertragsende müssten offengelegt werden und klar verständlich sein. Dann würden viele Anleger erkennen, dass es für sie bessere Formen der Altersvorsorge gebe als Kapitallebensversicherungen.
Versicherer kritisieren unrepräsentative Auswahl
Der Versicherungsverband GDV kritisierte, der Studie liege "eine Negativauslese zugrunde, jedoch keine repräsentative Auswahl". Die Hochrechnung Oehlers "auf Grundlage von Einzelfällen ist unseriös und unwissenschaftlich", sagte GDV-Sprecher Hasso Suliak. Die in der Studie genannte Schadenssumme von rund 4000 Euro pro Vertrag sei unrealistisch.
In Deutschland gibt es über 90 Millionen Lebensversicherungen. Die Anlage leidet seit langem unter den niedrigen Zinsen an den Kapitalmärkten. Das bekommen auch die Kunden zu spüren, ihre Renditen sinken. Für das Ende der Laufzeit von Lebensversicherungen wird Kunden eine bestimmte Summe garantiert, der Garantiezins. Dieser wird auch zum 1. Januar wieder sinken, von aktuell 2,25 Prozent auf dann 1,75 Prozent. Betroffen ist, wer eine neue Lebensversicherung abschließt. Alte Verträge laufen mit dem bei Abschluss gültigen Zinssatz weiter.
Den Garantiezins legt regelmäßig die Bundesregierung fest. Zudem erhält der Kunde eine sogenannte Überschussbeteiligung. Auch diese sinkt aktuell, weil die Institute derzeit weniger Zinsen einnehmen. Diese Kürzung betrifft alle, nicht nur Kunden mit Neuvertrag.