Warteschleife Mahngebühren aus dem Reich der Phantasie

Wer seine Rechnungen nicht begleicht, bekommt Mahngebühren aufgebrummt. Die meisten Verbraucher zahlen diese brav - dabei sind die von Unternehmen geforderten Beträge oft reine Phantasiegebilde.
Wenn ein Mahnschreiben ins Haus flattert: Wann ist "sofort"?

Wenn ein Mahnschreiben ins Haus flattert: Wann ist "sofort"?

Foto: Oliver Berg/ picture alliance / dpa

Ich habe Schuhe bestellt, im Internet. Als sie geliefert werden, deponiere ich die Rechnung auf der Kommode, zusammen mit dem Vorsatz, den Betrag baldigst zu überweisen.

Aber irgendwie geht es mir durch. Einige Zeit später flattert deshalb ein Mahnschreiben ins Haus. Der Shop möchte 109 Euro für die Schuhe - nachvollziehbar. Außerdem will er Mahngebühren in Höhe von 15 Euro - nicht ganz so nachvollziehbar.

Ist die Bestellung schon so lange her, dass derart hohe Verzugsgebühren auflaufen konnten? Ich gehe zu meiner Kommode und suche nach der Originalrechnung, die sich unter einem Stapel ungelesener "Economist"-Ausgaben, Prospekten und anderen Rechnungen verkrochen hat.

Nach einigem Gewühle finde ich den Schrieb. Rechnungsdatum vor drei Wochen, im Kleingedruckten steht: "Zahlung sofort nach Lieferung." Mist. Sofort ist wohl schon vorbei.

Ich frage nicht nach, ich zahle.

Mahngebühren überweise ich normalerweise stets klaglos. Die Schuld liegt schließlich bei mir, und Strafe muss sein. Meistens habe ich ein derart schlechtes Gewissen, dass ich fast dankbar bin, diese pekuniäre Buße tun zu dürfen.

Den meisten Verbrauchern geht es ähnlich, es ist ein gelerntes Verhalten. Die Unternehmen haben uns in Sachen Mahngebühren gut dressiert. Wir hinterfragen die Strafbeträge nicht, genausowenig, wie ein Hund nachfragt, wenn man ein Stöckchen wirft.

Aber 15 Euro?

Das erscheint mir sehr happig. Und so beschließe ich, das Stöckchen diesmal nicht zu holen. Und je mehr ich mich mit dem Thema befasse, umso klarer wird mir, das fast nichts von dem, was ich bislang akzeptiert habe, Recht und Gesetz entspricht.

Deshalb habe ich mir eine kleine Checkliste für alle zukünftig eintrudelnden Mahnungen erstellt:

Check 1: Bin ich überhaupt in Verzug?

Bevor ein Unternehmen Gebühren geltend machen darf, muss der Kunde zunächst in Verzug geraten. Das ist juristisch gesehen ein Thema mit vielen Haken und Ösen. Vereinfacht kann man sagen: Man gerät in Verzug,

  • wenn man das in der Rechnung gesetzte Datum ("Bitte zahlen Sie bis zum 15. Mai 2014") verstreichen lässt. Dann setzt der Verzug automatisch ein, ohne weitere Mahnung;
  • wenn man die erste Mahnung erhalten hat. Heißt gerne auch "Freundliche Erinnerung", die Botschaft ist aber dieselbe: Schluss mit lustig;
  • wenn seit dem Eintrudeln der Rechnung 30 Tage verstrichen sind. Dann gerät man automatisch in Verzug, ohne weitere Mahnung.

Bevor die Juristen draußen an den Bildschirmen jetzt einen Pflaumensturz kriegen: Ja, es gibt da noch ein kleines Aber.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nämlich entschieden, dass der Verzug nur dann automatisch einsetzt, wenn der Gläubiger den Verbraucher darüber informiert hat, was ihm bei Nichtzahlung droht: Mahngebühren! Exkommunikation! Überraschungsbesuche muskulöser Herren!

In meiner Rechnung fand sich jedoch keine derartige Belehrung. Aber die "fordert § 286 Abs. 3 Satz 1 BGB im zweiten Teil des Satzes", sagt der Hannoveraner Rechtsanwalt Thomas Feil. "Ohne Belehrung braucht es ansonsten eine gesonderte Mahnung nach der Rechnung, trotz festem Zahlungsziel."

Davon abgesehen setzt die von meinem Schuhshop gewählte Formulierung "Zahlung sofort nach Lieferung" nicht einmal meinen Wellensittich in Verzug, weil "sofort" zu labberig ist.

Ich war also 109 Euro schuldig, aber nicht in Verzug. Und wer nicht in Verzug ist, muss auch keine Mahngebühren oder Verzugszinsen zahlen.

Check 2: Ist der Verzugsschaden angemessen?

Mit Vorliebe berechnen Unternehmen säumigen Kunden sogenannte Verzugsschäden. Dummerweise verstehen sie darunter oft etwas anderes als der Gesetzgeber. Firmen argumentieren gerne, das Mahnwesen bürde ihnen allerlei Extrakosten auf, weil: mehr Personal, mehr Strom.

Der BGH findet jedoch, dass derartiger "Verwaltungsaufwand zum Aufgabenkreis des Unternehmers" gehört. "Er hat diese Kosten selbst zu tragen." Auch einige Oberlandesgerichte haben dahingehende Urteile gefällt.

Der tatsächliche Verzugsschaden darf nur Kosten für Dinge wie Papier oder Porto beinhalten. Manche Gerichte sind der Ansicht, dass 1,20 Euro ausreichend sind. Bereits fünf Euro je Mahnung halten die meisten Juristen für zu hoch.

Check 3: Ist der Verzugszins korrekt berechnet?

Rechnung erst nach 18 Monaten unter dem Sofa entdeckt? Da müssen Sie möglicherweise Verzugszinsen berappen (wenn Sie denn in Verzug sind, siehe Check 1). Auch hier werden gerne Phantasiebeiträge aufgerufen, obwohl der Gesetzgeber klare Regelungen vorgibt.

Der Verzugszins beträgt für Verbraucher fünf Prozent plus Basiszinssatz. Den jeweils aktuellen Wert finden Sie hier . Momentan liegt er bei 4,37 Prozent (da der Basiszinssatz zurzeit negativ ist).

Für Mathelegastheniker: Geben Sie bei Google 1000*0,0463/365 ein (ersetzen Sie 1000 durch Ihren Rechnungsbetrag). Nun wissen Sie, was Ihre Prokrastination pro Tag kostet.

Check 4: Was muss ich denn jetzt zahlen?

Nehmen wir an, Ihr Fall gliche meinem: Sie haben eine Rechnung verschlunzt und wurden nach ein paar Wochen gemahnt. Den fälligen Rechnungsbetrag sollten Sie nun schnellstmöglichst überweisen.

Und die Extragebühren? Falls Sie nicht gerade einen A380 auf Rechnung geordert haben, sollten die in diesem frühen Stadium lediglich bei einigen Euro liegen. Wenn es mehr ist: Teilen Sie Ihrem Gläubiger schriftlich mit, dass er sich da wohl einen zu tiefen Schluck aus der Pulle genehmigt hat. Überweisen Sie ihm den Verzugszins plus, sagen wir, zwei Euro pro Mahnbrief. Was eigentlich schon zu viel ist. Aber irgendwie sind Sie ja auch ein bisschen selbst Schuld, Sie Tüffel, also nicht so knickerig.

Damit sind Sie mit dem Unternehmen fertig. Leider kann es sein, dass das Unternehmen noch nicht fertig mit Ihnen ist. Möglicherweise beharrt es auf den Wuchergebühren und greift zu den gängigen Folterinstrumenten - furchterregende Schreiben von "Jefferson, Strangle, Colin & Greeds" oder von "Inkasso Kaliningrad".

Da heißt es Nerven bewahren, Aktenordner anlegen, und Tom Königs Guerillero-Guide für Kündigungen (Operationsphase 3) lesen. In den meisten Fällen müssen Sie danach nichts mehr tun, außer die Mahnschreiben wegzuwerfen.

Packungsbeilage: Vertragsrecht ist leider kompliziert und vertrackt, weswegen diese allgemeinen Ausführungen im konkreten Fall möglicherweise zum juristischen Schiffbruch führen können. Vielleicht sind Sie kein Verbraucher, sondern Kaufmann. Vielleicht ist der hohe Verzugsschaden in Ihrem Fall tatsächlich begründbar. Wenn Sie sich unsicher sind, fragen Sie Ihren Anwalt, nicht Ihren Apotheker und schon gar keine Facebook-Freunde.

Hatten auch Sie ein besonderes Serviceerlebnis? Dann schreiben Sie an warteschleife@spiegel.de .

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