
Syndikat gegen Mietwucher: Schwarm schlägt Hai
Syndikat gegen teures Wohnen Vereint gegen die Miethaie
Sie müssen raus, das steht fest. Das Kündigungsschreiben auf der Arbeitsplatte erinnert täglich daran. Viel Zeit bleibt ihnen nicht bis Ende September. Dann muss alles eingepackt, die letzten Sägespäne beseitigt und ihre Werkstatt geräumt sein. Damit ein neuer Stadtteil entstehen kann auf einer Fläche, die halb so groß ist wie die Hamburger Außenalster und Platz bietet für 3500 Wohnungen. Das Bauvorhaben "Mitte Altona" ist nach der Hafencity das zweitgrößte Stadtentwicklungsprojekt Hamburgs.
Kai Schupp wischt die Sägespäne von seiner Arbeitsplatte. Durch seine dicke Schutzbrille inspiziert er eine vor ihm liegende Laute der Renaissance. Der 51-Jährige baut und repariert Instrumente, er ist einer von wenigen Herstellern in Deutschland. Gemeinsam mit der Polsterin Yvonne Rokita teilt er sich seit über zwölf Jahren eine 125 Quadratmeter große Werkstatt in Hamburg-Altona. "Unsere Miete liegt bei vier Euro den Quadratmeter. So günstig findest du heute nichts mehr", sagt Rokita. In Hamburg liegen die Mieten für Gewerbe im Durchschnitt bei 14,50 Euro. Damit zählt die Hansestadt neben München, Stuttgart, Köln und Frankfurt zu den teuersten Metropolen Deutschlands.
Doch dem Kampf um günstige Gewerbeflächen müssen sich die beiden Handwerker nicht stellen. Seit Januar sind sie Teil des Verbands Mietshäuser Syndikat, der bezahlbaren Mietraum für Wohnen und Arbeiten sicherstellen will. Denn genau daran mangelt es in den Ballungsräumen der Großstädte, vor allem an bezahlbarem Wohnraum herrscht eine regelrechte Not. Insgesamt 250.000 solcher Einheiten fehlen in Deutschland, so schätzt der Deutsche Mieterbund. Besonders betroffen sind Geringverdiener, Studenten, Familien und Rentner, die sich die steigenden Mieten nicht leisten können und in die Speckgürtel der Metropolen verdrängt werden.
Wohnraum ist in Zeiten der Euro-Krise zudem als Geldanlage sehr gefragt. Kein Wunder also, dass Investoren und Immobilienhaie die Kaufpreise und somit die Mieten nach Belieben in die Höhe treiben.
Gemeinschaft steht an oberster Stelle
Von dieser Entwicklung bleibt auch das Gewerbe nicht verschont. "Früher saßen in den Hinterhöfen Altonas zahlreiche Handwerksbetriebe. Heute ist Kleingewerbe die Ausnahme", sagt Kai Schupp. Häufig treibe die steigende Miete die Produktpreise dermaßen in die Höhe, dass die Hersteller nicht mehr konkurrenzfähig sind. Einfach wegziehen? "Zu riskant", meint der Handwerker, "das können sich viele Kleinbetriebe nicht erlauben." Deren Kundschaft stammt meist aus der Nachbarschaft. Ein Umzug an den Stadtrand würde für viele das Aus bedeuten.
Rokita und Schupp werden in Altona bleiben. Gemeinsam mit 15 weiteren Kleinbetrieben aus Handwerk und Dienstleistung soll ihr eigener Gewerbehof, der Handwerkerhof Ottensen, entstehen. Im Herzen Altonas haben sie ein passendes Grundstück gefunden, der Bauantrag ist gestellt, der Kaufvertrag so gut wie abgeschlossen. Wenn alles klappt, können im Mai die Bauarbeiten beginnen.
Worauf muss man beim Kauf achten? Welche Möglichkeiten der Finanzierung gibt es? Wie hoch wird die Miete angesetzt? Für ihr Vorhaben holten sie sich Unterstützung vom Mietshäuser Syndikat. Das Syndikat ist ein Netzwerk aus rund 83 Hausprojekten, die untereinander vernetzt und doch alle eigenständig organisiert sind. Gemeinschaft steht an oberster Stelle, Altprojekte helfen Neuprojekten mit ihren Erfahrungswerten. Die Mieten der Syndikatsmitglieder liegen in der Regel mindestens 20 Prozent unter dem ortsüblichen Durchschnitt. Darin enthalten sind Zinstilgungen und ein Solidarbeitrag, mit dem neue Projekte bezuschusst werden.
Die Mitglieder des Handwerkerhofs Ottensen haben den Hausverein e.V. und zusammen mit dem Syndikat die Hausbesitz GmbH gegründet. "Bei Vertragsverhandlungen wirst du als Verein kaum ernst genommen", sagt Yvonne Rokita. Darum haben sie sich mit der GmbH für den Kauf ihrer Gewerbefläche beworben. "Durch den Kauf mithilfe des Mietshäuser Syndikats wollen wir dafür sorgen, dass auch nach uns stabile und vor allem bezahlbare Mieten gesichert sind", sagt Kai Schupp.
Als zweiter Gesellschafter verfügt das Syndikat über ein Mitstimmrecht. Der Handwerkerhof Ottensen könnte darum nie im Alleingang über einen Verkauf des Grundstücks entscheiden. Das Mietshäuser Syndikat stellt so sicher, dass das Grundstück dem Spekulationsmarkt fern bleibt und weder verkauft noch zu Eigentum umgewandelt werden kann.
"Uns kann keiner mehr vor die Tür setzen"
Nach diesem Prinzip ist das Syndikat an allen Hausprojekten beteiligt. "Wir wollen, dass jedes Projekt autonom ist. Uns ist es aber dabei wichtig, dass die Immobilie im Verbund bleibt und nur noch die Bewohner wechseln", sagt Rolf Weilert. Er ist einer von gut 45 ehrenamtlichen Beratern des Mietshäuser Syndikats. "Scheitert ein Projekt, verliert das Syndikat lediglich seine Einlage als Gesellschafter", betont Weilert. Bei einem Genossenschaftsmodell wäre eine gesamte Schuldhaftung durchgreifend.
Viel Geld besitzt keiner der Betriebe des neuen Hofs in Ottensen. Den Großteil wollen die Handwerker daher zwar selbst bauen, trotzdem brauchen sie Kapital. Auch hier hilft ihnen das Syndikat mit der Vermittlung von Bank- und Direktkrediten über Privatpersonen sowie Investoren aus dem Netzwerk.
Den Grundstein des Syndikats legte eine Gruppe ehemaliger Hausbesetzer in den neunziger Jahren in Freiburg. "Es existierten bereits vereinzelt Hausprojekte, mit dem Syndikat als Bindeglied gewann das Netzwerk an Aufmerksamkeit", sagt Weilert. Heute gibt es Projekte in über 40 deutschen Städten. Die Nachfrage ist groß: Bis zu zwölf neue Hausprojekte können pro Jahr aufgenommen werden, viele Antragsteller landen auf der Warteliste. Sogar im Ausland hat das Modell schon Interesse geweckt: Anfragen und Einladungen aus Frankreich, Spanien und der Schweiz hat Rolf Weilert auf seinem Schreibtisch liegen. Bislang fehlt ihm aber die Zeit dafür.
Als Gewerbeneubau ist der Handwerkshof Ottensen ein Pilotprojekt im Mietshäuser Syndikat. Zukünftig werden die beiden Handwerker rund sieben Euro den Quadratmeter zahlen. "Das ist vergleichsweise aber immer noch sehr günstig", sagt Yvonne Rokita. Der Blick der 50-Jährigen huscht quer durch die Werkstatt, in der ihr Kollege Kai Schupp weiter konzentriert an der Laute bastelt. Ihre neue Bleibe wird ihnen weniger Platz zum Arbeiten bieten. Die Polsterin legt das Kündigungspapier aus der Hand. "Dafür kann uns aber keiner mehr vor die Tür setzen."
Dieser Text stammt aus dem Magazin "enorm - Wirtschaft für den Menschen" .