Neue Beratungsrichtlinie für Banken 200 Seiten Papier - und trotzdem miese Produkte

Bankentürme in Frankfurt am Main
Foto: picture alliance / dpa"Jetzt kommen wir zur Geeignetheitserklärung", sagt der Berater, der mir in einer Hamburger Bankfiliale schräg gegenüber sitzt. "Das ist leider ziemlich nervig, aber wir sind neuerdings gesetzlich dazu verpflichtet."
Die nächsten Minuten muss ich dem Mann, der mich zum Thema Geldanlage beraten soll, Auskunft darüber geben, welchen Verlust ich bereit zu tragen bin, wie hoch mein monatliches Nettoeinkommen ist, wie viel Geld ich im Monat für meine Miete ausgebe, und ob mich auch kleine Verluste schon nervös machen. Würde ich diese Angaben nicht machen, müsste die Beratung abgebrochen werden, sagt der Berater.
Nach knapp 90 Minuten verlasse ich die Bank mit einem Anlagevorschlag und insgesamt 213 Seiten Papier. Zusätzlich hat der Berater mir weitere 83 Seiten per E-Mail zugeschickt. "Wenn Sie das alles gelesen haben, sind Sie Bankkaufmann", sagt der Berater und grinst.
Wer in diesen Tagen zu einem Geldanlage-Beratungsgespräch bei einer Bank geht, muss viel Zeit und Geduld mitbringen. Bevor Kunden ein Wertpapierdepot eröffnen können, müssen sie sensible Daten über ihre Einkommensverhältnisse hinterlegen, Fragen zu ihrem Risikoverhalten beantworten und stapelweise Papier mit nach Hause schleppen.
Denn seit Jahresbeginn ist die neue EU-Richtlinie mit dem sperrigen Namen "Markets in Financial Instruments Directive 2" (kurz: Mifid II) in Kraft. Sie verpflichtet Banken, Anleger besser vor riskanten Investments zu schützen. Die Regelungen sind eine Reaktion auf die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers im Jahr 2008, als Laien, die zuvor hochkomplexe Finanzprodukte gekauft hatten, große Verluste erlitten. Die neue Richtlinie soll jetzt die Beratungsqualität erhöhen.
Aber sind die neuen Regeln für Sparer wirklich eine Verbesserung? Hilft all die Bürokratie, um Anleger besser zu informieren?
Die deutschen Banken sind - wenig überraschend - erbost wegen der neuen Auflagen. Sie kritisieren den immensen bürokratischen Aufwand. "So manches Institut hat sich inzwischen aus der Anlageberatung zurückziehen müssen, denn Vertriebsrisiken und Kosten stehen in keinem ausgewogenen Verhältnis mehr zu den Erträgen", sagte jüngst Bankenpräsident Hans-Walter Peters.
Banken empfehlen vor allem teure Produkte
Dass die neuen Richtlinien das Geschäft der Banken zusätzlich erschwert, kann Privatkunden erst einmal herzlich egal sein. Aber trotz Geeignetheitserklärung, Risikoeinschätzung und einem Ordner voller Papier fühle ich mich nicht wirklich gut beraten. Denn meine Anlageempfehlung ist für mich nicht nachvollziehbar. Warum ausgerechnet der mir empfohlene Mischfonds geeignet sein soll und kein anderer, bleibt mir unklar. Die Geeignetheitserklärung enthält meist nur vorgefertigte Standardformulierungen.
Für meinen Test war ich bei einer Sparkasse und einer großen deutschen Bank. Die Beratungsgespräche liefen nach dem gleichen Schema ab: Zunächst musste ich detaillierte Angaben zu meinem persönlichen Vermögensverhältnissen machen, dann meine Vorerfahrungen mit Investmentfonds angeben, bevor der Computer ein Musterdepot je nach meiner Risikostufe ausspuckte.
Das Produktportfolio, das mir die Bankberater empfehlen, hätten sie mir vermutlich auch ohne Mifid II nahe gelegt. Das Standardrepertoire der Berater besteht aus teuren Aktienfonds, die hohe Ausgabenaufschläge und hohe laufende Kosten haben. Denn damit verdienen Banken und Berater am meisten. Für mich als Kunden wird es dagegen teuer: Bei einer Anlagesumme von knapp 6.000 Euro verschlingt der mir angebotene Aktienfonds bei einer Haltedauer von fünf Jahren Kosten in Höhe von insgesamt 808,36 Euro. Das sind mehr als zehn Prozent der gesamten Anlagesumme.
Indexfonds nicht im Programm
Passive Indexfonds, die einfach per Computerprogramm einen Index abbilden und deshalb viel günstiger für Privatanleger sind, werden während meines Beratungsgesprächs dagegen gar nicht erst erwähnt. Denn Banken verdienen an ihnen so gut wie nichts.
"Anleger werden durch Mifid II zwar jetzt mit Informationen zugeschüttet, aber die Qualität der Beratung hat sich nicht verbessert", sagt Christian Ahlers, Finanzmarkt-Experte beim Verbraucherzentrale Bundesverband. Der Gesetzgeber habe das grundlegende Problem der Finanzberatung in Deutschland nicht angetastet: "Beratungsgespräche sind nach wie vor Verkaufsgespräche, deshalb ist man bei kaum überprüfbaren Verhaltensregeln gelandet", sagt Ahlers.
In Deutschland erhalten die meisten Banken Provisionen von den Produktanbietern - allerdings erst bei Abschluss eines Anlagevertrags. Kunden zahlen diese Kosten indirekt über höhere Produktkosten. Laut Verbraucherschützern wäre es deshalb sinnvoller gewesen, Beratungs- und Verkaufsgespräche per Gesetz voneinander zu trennen.
In Großbritannien etwa gilt seit 2013 ein Provisionsverbot für Anlageberatungen. Anlageberater erhalten ihre Vergütungen seitdem ausschließlich von ihren Kunden als Honorar, unabhängig vom verkauften Produkt. Das bedeutet zwar, dass Kunden für Beratungen zu Investmentfonds zahlen müssen, sie erhalten dafür aber auch eine unabhängige Beratung. "Das Beispiel Großbritannien zeigt, dass ein Provisionsverbot wirkt. Sowohl die Beratungsqualität als auch das Vertrauen der Verbraucher in die Finanzberatung haben zugenommen", sagt Finanzexperte Ahlers.
Die neue Richtlinie Mifid II wird ihrem Anspruch - Anleger besser zu beraten - also nicht gerecht. Denn der Gesetzgeber geht davon aus, dass Verbraucher vor Vertragsabschluss alle wesentlichen Unterlagen lesen und sich auf dieser Grundlage selbst eine Meinung über die Finanzprodukte bilden. "Aber Verbrauchern, die sich selbst aus guten Gründen nicht mit den Einzelheiten von Finanzprodukten beschäftigen wollen und lediglich Rat einkaufen wollen, steht am Markt kein Dienstleistungsangebot zur Verfügung", sagt Niels Nauhauser, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.
Für solche Anleger gibt es keinen Ausweg: Sie müssen ihre Geldanlage selbst in die Hand nehmen und sich unabhängig und eigenständig informieren.