Agrarministerin Klöckner Mit heißer Luft gegen billige Lebensmittel

Ein Kommentar von Nils Klawitter
2,72 Euro für ein Kilo Hähnchenschenkel? Agrarministerin Klöckner will gegen Dumpingpreise für Lebensmittel vorgehen. Doch ihre großen Worte wirken heuchlerisch. Sie und ihre Partei tragen eine Mitschuld an den Zuständen.
Klöckner (Archiv): Bloß nicht zu viel Druck

Klöckner (Archiv): Bloß nicht zu viel Druck

Foto: Jordan Raza/ dpa

Julia Klöckner kämpft. Für die Landwirte, gegen unanständige Preise und die geballte Macht des Handels. So soll es zumindest aussehen anlässlich des Treffens an diesem Montag im Kanzleramt, wo die Agrarministerin und die Bundeskanzlerin sich die vier großen Supermarktketten vorknöpften, weil diese Lebensmittel zu Dumpingpreisen verramschen.

Fast flehend forderte Klöckner in den vergangenen Wochen mehr Fairness von Aldi, Rewe, Lidl und Edeka ein - woraufhin sie der Präsident des Handelsverbands Deutschland abblitzen ließ: Man verbitte sich jede staatliche Einmischung in die Preispolitik.

2,72 Euro für das Kilo Hähnchenschenkel? Das, so der Handel, seien die Regeln des Marktes. Doch dieser Markt ist weitgehend gesetzlos und funktioniert nur auf Kosten der Allgemeinheit: Die Folgen sind Umweltschäden, eine zu hohe Nitratbelastung des Grundwassers, schlechte Löhne und unangemessene Tierhaltung. Die Reparaturen solcher Kollateralschäden werden der Gesellschaft überlassen: Länder und Kommunen dürfen Hungerlöhne in der Fleischbranche aufstocken und güllebelastetes Grundwasser reinigen.

Etwas später als anderen schwant nun auch Julia Klöckner, dass ein solcher Markt nicht fair ist und es eigentlich nie war. Dass ein rührender Appell keine fairen Rahmenbedingungen ersetzen kann. Doch das auszusprechen, ist nicht leicht, schließlich sangen Agrarpolitiker der CDU zusammen mit Lobbyisten des Deutschen Bauernverbands lange das Hohelied des Weltmarkts. Wachse oder weiche wurde den Bauern gepredigt - und das Fördersystem der EU mit tatkräftiger deutscher Unterstützung fast komplett auf pauschale Flächenprämien ausgelegt statt auf nachhaltige Produktion.

Das hat dazu geführt, dass viele Landwirte austauschbare Massenware produzieren, sich eben nicht durch regionale Besonderheiten oder besondere Haltungsformen differenzieren - und deshalb erpressbar werden. Ein Spielball des Marktes. Wohin das führt, zeigt ein Beispiel:

  • Das Deutsche Milchkontor in Zeven, eine der großen deutschen Molkereien (Milram), hat immer auf Masse und den Weltmarkt gesetzt und geglaubt, sogar Schnittkäse nach Asien verkaufen zu müssen. Der Milchpreis für die Bauern, den das Milchkontor zahlt, zählt seit Jahren zu den niedrigsten im Land, zeitweise drohte der Molkerei gar die Pleite.

  • Die Upländer Bauernmolkerei im hessischen Willingen dagegen hat der Weltmarkt nie interessiert. Milch und Käse sind für die Biobauern, die die zuvor geschlossene Molkerei 1995 in Eigeninitiative übernahmen, regionale Produkte. Im Gegensatz zum Milchkontor ist die Upländer Molkerei ein Zwerg. Das Potenzial ihrer Marke allerdings scheint riesig: Längst ist sie auch bei den großen Händlern gelistet. Ihre Milch ist deutlich teurer, der Milchpreis für die Bauern liegt pro Liter mitunter 15 Cent höher als beim Deutschen Milchkontor.

Um nachhaltigen Produkten mehr Chancen zu geben, will Klöckner nun gegen unfaire Handelspraktiken vorgehen. Die Umsetzung einer entsprechenden EU-Richtlinie soll dem Handel etwa fragwürdige Listungsgebühren, willkürliche Stornierungen oder den Verkauf von Produkten unterhalb der Produktionskosten verbieten. Das wird im Einzelnen mühsam nachweisbar sein, könnte aber Wirkung erzielen, wenn die Kontrolleure entsprechend bissig sind.

Transparent für die Verbraucher

Rewe-Chef Lionel Souque zumindest reagierte schon verärgert: Man würde mit den günstigen Preisen schließlich den rund 13 Millionen in Armut lebenden Deutschen helfen. Fraglich ist allerdings, ob Dumpingpreise wie das Kilo Bananen für weniger als ein Euro tatsächlich ein Zeichen von Solidarität bedeuten oder nicht vielmehr die Ignoranz gegenüber den Lebensbedingungen der eigenen Lieferanten in Mittel- und Südamerika belegen.

Politisch wäre es ein Anfang, bei Lebensmitteln endlich Transparenz zu schaffen. Das fordert nun auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Doch getan hat sie dafür bisher wenig: Wie etwa Schweine oder Hühner gehalten wurden oder woher genau die Himbeeren in der Roten Grütze kommen - der Verbraucher soll dies nicht wissen. Klöckner und Merkel sind da ganz bei der Industrie: Eine Herkunftskennzeichnung, etwa für verarbeitetes Obst und Gemüse, sei viel zu kompliziert. Genauso wurde die Lebensmittelampel abmoderiert, die auf der Produktverpackung "rot" bei zu viel Zucker oder Fett anzeigen sollte und nicht nur von Ärztevereinigungen gefordert wurde: Bei drei Farben, so Klöckner, komme man doch ganz durcheinander.

Jetzt soll es eine freiwillige Kennzeichnung geben, und ein freiwilliges Tierwohllabel soll auch kommen. Bloß nicht zu viel Druck.

Selbst der Industrie scheint diese Haltung inzwischen zu lasch: Bei den Haltungsbedingungen für Tiere hat sie nun schon ein eigenes Label geschaffen.

 

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