S.P.O.N. - Die Spur des Geldes Griechen raus - und dann?

Werft Griechenland aus dem Euro - diese populistische Forderung macht sich allmählich die Politik zu eigen. Doch wenn die Griechen gehen müssen, werden auch Frankreich und Italien nicht mehr zu halten sein. Und am Ende? Besteht die Euro-Zone womöglich nur noch aus Deutschland und Österreich.

Vor Jahren gab mir ein Kollege einen heißen Tipp: Die wahre Kunst einer Kolumne bestehe darin, herauszufinden, was man in der Regierung insgeheim denkt und es dann lautstark selbst zu fordern. Ich habe mir große Mühe gegeben, diesen Ratschlag nicht zu beherzigen. Ich musste aber an ihn denken, als ich in dieser Woche in vielen Medien im In- und Ausland Kommentare las, die einen Ausschluss Griechenlands aus der Euro-Zone forderten.

Natürlich ist es nicht die offizielle Position der Bundesregierung, dass die Griechen den Euro verlassen sollen. Aber es ist die inoffizielle Position vieler europäischer Politiker und Spitzenbeamter. Hinter den Kulissen munkeln sie: Lass die doch rausgehen, die Griechen. Die Euro-Zone wird es überleben. Wir sind also genau an dem Punkt, an dem mein gewiefter Kollege angesetzt hätte. Es ist jetzt der opportune Moment für einen Journalisten, den Austritt Griechenlands zu fordern.

Ich möchte heute diesen Gedanken aufgreifen und ihn bis an sein bitteres Ende durchdenken. Für meine weitere Argumentation muss ich allerdings eine Annahme treffen, der ich selbst nicht zustimme. Dass wir nämlich einen legalen Weg finden, Griechenlands Euro-Austritt zu bewerkstelligen. Nehmen wir also an, es gelingt uns tatsächlich, die Griechen dahin zu bekommen, dass sie "freiwillig" gehen.

Ich würde in diesem Fall folgendes Szenario für wahrscheinlich halten. Binnen Stunden, Tagen oder weniger Wochen würde es zu einer Massenkapitalflucht aus Portugal, Spanien und Italien kommen. In Griechenland hat der Bank-Run schon eingesetzt. Ich kenne reiche Italiener, die ihr Geld schon seit langem ins Trockene gebracht haben, in die Schweiz, und zwar ganz legal. Sie melden die Zinsen dem italienischen Finanzamt. Bislang handelt nur eine kleine Minderheit so - Leute, die eine gewisse Nähe zu den Finanzmärkten haben. Wenn aber die Panik erst einmal die Mittelschicht ergreift, dann kommt es zu einem Run auf die Banken in ganz Südeuropa.

Wie könnte die Kapitalflucht gestoppt werden?

Da das EU-Recht keine Kapitalverkehrskontrollen erlaubt, kann man die Kapitalflucht nicht stoppen. Oder man müsste es trotzdem tun, und dazu weiteres europäisches Recht brechen (denn für einen Austritt aus der Währungsunion gibt es schließlich auch keine Rechtsgrundlage). Man könnte die Kapitalflucht natürlich auch durch entschlossenes Handeln stoppen. Man könnte signalisieren, dass man jetzt genau die Dinge für den Rest der Euro-Zone tun will, die man nicht bereit war, für Griechenland zu tun.

  • Wenn man also im Falle eines griechischen Austritts den Euro-Bond aus dem Hut zieht, zusammen mit einem europäischen Bankenrettungsfonds;
  • wenn gleichzeitig die Europäische Zentralbank ein grenzenloses Aufkaufprogramm für Staatsanleihen ankündigt und in einem Nebensatz der Pressemitteilung auch noch erwähnt, dass sie das Inflationsziel von "unter zwei Prozent" auf "über vier Prozent" erhöht hat;
  • wenn Wolfgang Schäuble nicht nur Euro-Gruppen-Chef wird, sondern europäischer Finanzminister;
  • wenn wir am Tag danach auch gleich noch die Fiskalunion beschließen mit einem gemeinsamen Haushalt und gemeinsamer Steuerhoheit;
  • wenn das Bundesverfassungsgericht zugibt, dass es sich geirrt hat und von jetzt an die Europäische Union als Hort aller Souveränität akzeptiert;
  • wenn also eine Reihe von Ereignissen eintritt, deren Eintrittswahrscheinlichkeit jeweils deutlich unter 100 Prozent liegt, und das Ganze auch noch innerhalb von 24 Stunden, beraten, beschlossen und ratifiziert wird - dann sind wir tatsächlich fertig. Griechenland ist draußen. Die Euro-Krise vorbei. Und wir können endlich über wichtige Themen reden wie die bevorstehenden Olympischen Spiele.

Ich würde jetzt mal wetten, dass nichts von dem passieren wird, was ich da aufgezählt habe. Es kommt also der große Bank-Run. Vielleicht kommt er nicht so schnell, wie ich befürchte. Der unsicherste Teil meiner Prognose ist der Zeitrahmen. Vielleicht passiert in den ersten 24 Stunden überhaupt nichts. Und vielleicht erzählt Schäuble sogar, der Höhepunkte der Krise sei nun wirklich überschritten und man könne jetzt in aller Ruhe über die nächsten Schritte nachdenken.

Das war schließlich auch der ursprüngliche Plan. Angela Merkel wollte den Punkt der echten Entscheidung bis nach der Bundestagswahl 2013 hinausschieben. Sie wollte immer vermeiden, vor der Wahl die Weggabelung zu erreichen, an der wir uns entscheiden müssen, ob wir die Fiskalunion wollen mit Euro-Bonds, oder ob wir bereit sind, die Euro-Zone auseinanderbrechen zu lassen.

An diesem ungemütlichen Punkt müssen wir uns entscheiden, ob wir über Griechenland hinaus noch weitere Austritte in Kauf nehmen, oder ob wir den Rest der Euro-Zone mit einer Fiskalunion zusammen halten wollen. Dann stellt sich natürlich noch die Frage, was der Rest ist: Die Euro-Zone minus Griechenland? Minus Griechenland, Portugal und Irland? Minus Spanien und Italien? Und was ist mit Frankreich? Ein germanischer Rumpf-Euro-Raum? Wir und Österreich?

Wieder beugt sich die Politik dem Druck

Ich weiß nicht, was die Griechen-Raus-Lobby wirklich will. Haben diese Leute die Sache intellektuell wirklich durchdrungen und sind sie bereit, die Konsequenzen einer solchen Entscheidung zu tragen? Oder verbirgt sich dahinter der Wunsch nach einem Zusammenbruch des gesamten Euro-Raums? Oder geht es womöglich um lutherische Selbstgerechtigkeit - der Schuld der Griechen muss die Sühne folgen? Vielleicht ist es auch nur kurzfristiger Polit-Pragmatismus: Die Masse pöbelt gegen Griechenland, und die Politik beugt sich diesem Druck.

Ich glaube, der Kurzschluss in der Argumentation basiert auf dem grundsätzlichen Missverständnis der Dynamik, die ein Austritt Griechenlands auslösen würde. Denn wie uns die Märkte jetzt schon ahnen lassen, sind nach einem Austritt Griechenlands auch Spanien und Italien auch nicht mehr in der Euro-Zone zu halten. Wenn wir Griechenland rausschmeißen, dann sind wir an der Weggabelung. Dann werden wir uns entscheiden müssen, was wir wirklich wollen.

Ich habe nicht die geringste Ahnung, was Berlin wirklich will. Vielleicht sollte es mal ein Kollege herausfinden und dann in einer Kolumne lauthals fordern.

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