

Berlin - Vitaminreiche Bonbons? Feine Gurken mit besten Zutaten? Bei der Werbung übertreibt die Lebensmittelindustrie gerne mal. Jetzt bekommt sie von Verbrauchern dafür die Quittung. Bei einer Online-Abstimmung ermittelten 117.688 Teilnehmer Deutschlands dreistesten Werbelügner. Gewinner des Negativpreises Goldener Windbeutel: die Milch-Schnitte, ein Produkt der Firma Ferrero.
Mehr als 51.000 Verbraucher halten die Werbung für die Milch-Schnitte für irreführend. Das sind rund 43,5 Prozent aller Teilnehmer, die unter fünf Lebensmitteln wählen konnten. Der Negativpreis sollte Ferrero am Freitag am Deutschlandsitz des Unternehmens in Frankfurt am Main übergeben werden. Das Unternehmen nahm den Preis nicht an.
In der Werbung wird die Milch-Schnitte stets als besonders sportliches Produkt dargestellt. "Die Ferrero-Manager täuschen ihre Kunden nach Strich und Faden, wenn sie ein solches Produkt als sportlich-leichte Zwischenmahlzeit bewerben", kritisiert Anne Markwardt, Kampagnenleiterin bei der Verbraucherorganisation Foodwatch, die die Online-Abstimmung initiiert hat.
Der Süßwarenkonzern Ferrero bewerbe die Milch-Schnitte mit dem Slogan "Schmeckt leicht. Belastet nicht. Ideal für zwischendurch" und mit der Unterstützung wechselnder Spitzensportler, sagte Markwardt. Tatsächlich sei das Produkt mit einem Zucker- und Fettgehalt von rund 60 Prozent alles andere als sportlich oder leicht.
"Mitverantwortung für übergewichtige Kinder"
Die Milch-Schnitte habe mehr Zucker, mehr Fett und mehr Kalorien als ein Stück Schoko-Sahnetorte. Mit einer so krass irreführenden Werbung trage Ferrero eine erhebliche Mitverantwortung dafür, dass in Deutschland bereits 15 Prozent der Kinder als übergewichtig gelten würden.
Ferrero weist den Vorwurf zurück. Der Konsum einer Milch-Schnitte als Zwischenmahlzeit widerspreche prinzipiell nicht einem "ausgewogenen, sportlichen Lebensstil". Mit Sportlern als Werbepartner werde zum Ausdruck gebracht, "dass Ernährung und Bewegung zusammen gehören", beteuert das Unternehmen. "Unser Consumer Service steht Verbrauchern Rede und Antwort. Die hier gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen geben uns keine Hinweise darauf, dass die Verbraucher die Werbung für Milch-Schnitte als irreführend empfinden."
Auch die anderen Windbeutel-Kandidaten wehren sich gegen den Vorwurf des Etikettenschwindels. Auf Platz zwei der Foodwatch-Abstimmung landete der Joghurt Activia von Danone. Auf Rang drei folgte das Bonbon nimm2 von Storck. Den vierten Platz belegt Ferdi Fuchs Mini-Würstchen von Stockmeyer, den fünften Schlemmertöpfchen Feine Gürkchen" von Kühne ( Übersicht aller Produkte).
Der Goldene Windbeutel wird bereits zum dritten Mal verliehen. 2010 hatte die Molkerei Zott den Negativpreis für ihren "Monte Drink" erhalten, da "eine Zuckerbombe wie eine gesunde 'Zwischenmahlzeit' für Kinder" beworben werde. 2009 wählten die Verbraucher Danones probiotischen Joghurt Actimel als "vermeintliches Wundermittel gegen Erkältungen" zur Werbelüge des Jahres.
Verbraucher hatten auf der Internetseite abgespeist.de vom 16. Mai bis 16. Juni den diesjährigen Gewinner ermittelt. Unternehmen hatten die Abstimmung als wenig transparent kritisiert. So waren, anders als bei Online-Votes üblich, keine Zwischenergebnisse veröffentlicht worden. Foodwatch zufolge sollte so vermieden werden, dass die Abstimmung beeinflusst wird.
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Kandidaten: Foodwatch wendet sich mit der Kampagne gegen irreführende Werbepraktiken von Lebensmittelherstellern.
Platz 1: Milchschnitte von Ferrero (51.139 Stimmen/43,5 Prozent)
Der Vorwurf von Foodwatch: Der Hersteller preise den Riegel mit Spitzensportlern als leichte Zwischenmahlzeit an. Tatsächlich bestehe Milch-Schnitte jedoch zu etwa 60 Prozent aus Fett und Zucker.
Nach Angaben von Ferrero widerspricht der Konsum einer Milch-Schnitte als Zwischenmahlzeit prinzipiell nicht einem "ausgewogenen, sportlichen Lebensstil". Mit Sportlern als Werbepartner werde zum Ausdruck gebracht, "dass Ernährung und Bewegung zusammen gehören". "Unser Consumer Service steht Verbrauchern Rede und Antwort. Die hier gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen geben uns keine Hinweise darauf, dass die Verbraucher die Werbung für Milch-Schnitte als irreführend empfinden."
Platz 2: Activia von Danone (33.981 Stimmen/28,9 Prozent)
Der Vorwurf von Foodwatch: Der Joghurt sei "weder eine Wunderwaffe gegen Verdauungsbeschwerden noch ein Garant für perfektes Darmwohlbefinden".
Danone weist das zurück: "Die erhobenen Anschuldigungen entbehren jeglicher Grundlage und versuchen, den Verbraucher in die Irre zu führen. Die Wirkung von Activia ist eindeutig wissenschaftlich belegt und klar messbar. Foodwatch ist dagegen bis heute jegliche wissenschaftliche Beweise für ihre Behauptungen gegen Activia schuldig geblieben. Foodwatch fordert von der Industrie umfassende Belegfähigkeit, lässt diese aber ihrerseits missen. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen."
Platz 3: nimm2 von Storck (18.932 Stimmen/16,1 Prozent)
Der Vorwurf von Foodwatch: Storck werbe mit "wertvollen Vitaminen", die in der Regel völlig überflüssig seien und suggeriere Kindern, dass sie ihren Vitaminbedarf auch mit Süßigkeiten statt mit Obst und Gemüse decken können.
Der Hersteller weist das zurück: Verbraucher würden nimm2 seit Jahren "gerade wegen des Vitaminzusatzes" schätzen, der einen "zusätzlichen Nutzen" bringe. Seine Vorwürfe habe Foodwatch schon zum wiederholten Mal formuliert und "aufwändig inszeniert". Das zeige, dass die Organisation "nicht bereit ist, sich sachlich und objektiv mit unseren Erläuterungen auseinanderzusetzen".
Platz 4: Ferdi Fuchs Mini-Würstchen von Stockmeyer (6887 Stimmen/5,9 Prozent)
Der Vorwurf von Foodwatch: Der Hersteller werbe mit Gesundheitsbotschaften, dabei falle das Produkt durch einen hohen Salzgehalt auf.
Der Hersteller wies die Kritik schon bei seiner Nominierung zurück: Wer den von Foodwatch angeführten Salzgehalt von zwei Gramm in 100 Gramm Wurst esse, müsste bis zu fünf der Würstchen zu sich nehmen. Zur Preisvergabe nahm Stockmeyer nicht Stellung.
Platz 5: Schlemmertöpfchen Feine Gürkchen von Kühne (6749 Stimmen/5,7 Prozent)
Der Vorwurf von Foodwatch: Obwohl laut Foodwatch Aromen und ein Farbstoff drin stecken, würden die Gewürzgurken wie ein handwerkliches Produkt mit jahrhundertealter Tradition und "besten natürlichen Zutaten" verkauft.
Kühne nahm zunächst zu dem Vorwurf nicht Stellung. Allerdings hatte sich das Unternehmen schon geäußert, als die Gewürzgurken für den Windbeutel nominiert worden waren: Aromen würden verwendet, weil zur Gurkenreife oft nicht genügend frische Kräuter und Gewürze zur Verfügung stünden und weil mit frischen Kräutern kein gleichbleibender Geschmack gewährleistet werden könne, hieß es damals. Dies steht nach Auffassung des Unternehmens "in keinem Widerspruch zur Etikett-Auslobung 'Tradition seit 1772'".
Verbraucher konnten auf der Web-Seite der Organisation ihren Favoriten wählen.
Der Sieger 2010: Eine deutliche Mehrheit der 81.500 Teilnehmer wählte den Monte Drink im vergangenen Jahr zum Goldenen Windbeutel 2010.
Als Milchschnitte verkleidet: Aktivist von Foodwatch vor der Deutschland-Zentrale von Ferrero in Frankfurt am Main
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