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Immobilienboom in Brooklyn: Skyscraper für Manhattans Stiefschwester

Foto: SHoP Architects PC

Bauboom in Brooklyn Reiche bauen für Reiche

Goldrausch im Wilden Westen von New York: Der Immobilien-Boom erreicht Brooklyn, der Arbeiterstadtteil mutiert zum Spielplatz für Spekulanten. Der umstrittenste Bau soll im Hipster-Viertel Williamsburg entstehen - für 1,5 Milliarden Dollar.

Das Modell passt so gerade auf den Couchtisch, eine Bauklötzchenstadt aus Sperrholz und Pappe: filigrane Wolkenkratzer, eine Flaniermeile am Fluss, Bäumchen wie bei einer Märklin-Bahn. Nur die Plastikfigürchen fehlen, die solche Attrappen sonst bevölkern. "Wir sind begeistert", sagt Vishaan Chakrabarti und rückt die Spielzeugstadt zurecht, damit der Besucher sie noch besser begutachten kann. "Brooklyn verdient seine eigene Skyline."

Chakrabarti muss es wissen. Der gebürtige Inder ist einer der Top-Stadtplaner New Yorks. Auf sein Konto gehen der neue Großbahnhof, der die Bausünde Penn Station ersetzen soll, und das Hochhausviertel Hudson Yards dahinter. Er war ein Pate der High Line, der zum Park veredelten Hochbahntrasse. Und er betreute nach den 9/11-Anschlägen die Wiedergeburt rings um Ground Zero.

Und jetzt leitet Chakrabarti das umstrittenste private Bauprojekt der 8,5-Millionen-Metropole.

Das Modell in seinem Büro zeigt die 2004 stillgelegte Domino Sugar Refinery im In-Viertel Williamsburg in Brooklyn. Das Wahrzeichen am East River, einst die weltgrößte Zuckerfabrik, wird abgerissen. Es soll einem 1,5 Milliarden Dollar teuren Wohn- und Geschäftsviertel weichen - mitten in der Hipster-Hochburg, als die Williamsburg zuletzt bekannt geworden ist.

Die Skyline gleicht der von Manhattan

Klar, dass nicht alle davon so begeistert sind. Im Gegenteil: "Abscheulich und rücksichtslos", empört sich der Aktivist Colin Miles, der seit 15 Jahren in Williamsburg lebt, über Chakrabartis Modell. Er spricht für viele Menschen hier.

Miles und Chakrabarti trennen Welten. Sie sind die Pole, zwischen denen sich New Yorks Zukunft entscheidet. Chakrabarti glaubt an eine Stadterneuerung durch Wolkenkratzer, seine Architekturstudenten nennen ihn "Professor Skyscraper". Miles dagegen verflucht die Konsequenzen der Himmelstürmerei als "ökonomische Segregation".

Domino, wie das Projekt kurz genannt wird, ist ein Symbol. Für das Kungeln von Spekulanten und Politikern, das selbst der neue, linke Bürgermeister Bill de Blasio beherrscht. Für New Yorks jüngsten Bauboom, der ganze Viertel unbezahlbar gemacht hat. Für den Wandel Brooklyns von Manhattans schäbiger Stiefschwester zum coolsten Viertel New Yorks.

Und nun für dessen erneuten Wandel zum ebenfalls unbezahlbaren Spielplatz der Finanzhaie und Milliardäre - zum Manhattan 2.0.

Brooklyn, der frühere Arbeiterstadtteil, ist der neue Wilde Westen: Dutzende Mega-Projekte sind im Bau - vor allem am East River, dem letzten unerschlossenen Paradies für Stadtplaner.

Williamsburg ist das krasseste Beispiel. Jahrzehntelang Rückzugsgebiet für Immigranten und orthodoxe Juden, durchschritt es die klassische Gentrifizierung: Erst Künstler, Indie-Rocker und Spät-Hippies, dann Touristenscharen mit "Geheimtip"-Reiseführern - und nun wohlhabende Neu-Yuppies.

Vater und Sohn mit Vision

Die Völkereinwanderung kommt nicht von ungefähr. Schon 2005 lockerte der Stadtrat den Bebauungsplan für Williamsburg und genehmigte fast 11.000 neue Wohnungen. Die Finanzkrise legte die meisten Ideen auf Eis. Doch jetzt wachsen überall Neubauten empor - etwa ein 41-stöckiger Gigant an der Uferpromenade, die immer mehr der Skyline Manhattans gleicht.

In dessen Sichtweite findet sich die Domino-Fabrik. Der Backsteinkoloss mit dem 50-Meter-Schlot stammt von 1882, als hier das Herz der US-Zuckerproduktion schlug. 2004 wurde die Raffinerie geschlossen, seither ist sie Anziehungspunkt für Künstler und Kreative.

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Foto: dbox for CIM Group & Macklowe Properties

Aber auch Immobilienspekulanten werfen schon lange ein Auge auf dieses letzte, mit fast fünf Hektar größte Industriegelände Williamsburgs. 2012 schnappte sich das Vater-Sohn-Team David und Jed Walentas das Areal - für 185 Millionen Dollar. Die Walentas hatten zuvor schon weite Teile Brooklyns mit ihrer uniformen Vision geprägt. Darunter Dumbo, das VIP-Viertel zwischen Brooklyn Bridge und Manhattan Bridge.

Mit dem Masterplan für das 1,5 Milliarden Dollar teure Domino-Vorhaben beauftragten die Walentas Chakrabartis Architekturfirma ShoP. Heraus kam ein "Xanadu" ("New York Magazine") aus Parks, Tech-Büros, Läden und Hochhäusern mit 55 Etagen. "Wir stehen am Anfang eines historischen urbanen Umbruchs", glaubt Chakrabarti. "Die Leute ziehen wieder in die Stadt."

Domino soll nun ein Präzedenzfall werden. Der Widerstand war groß. Seit Jahren müssen die Williamsburger zusehen, wie Billigmieten und Tante-Emma-Läden dem Immobilienwahn zum Opfer fallen. "Reiche bauen für Reiche", fasst Aktivist Miles das zusammen. Tausende unterschrieben seine Petition gegen das Domino-Projekt: "Ein Jahrzehnt der Spekulation hat unsere Gemeinde zerstört."

Es half nichts. Stadt- und Gemeindeverwaltung segneten den Walentas-Plan ab - unter der Bedingung, dass ein Drittel der 2200 Wohnungen billige Mietwohnungen werden.

Anfang Juli begannen die Abrissarbeiten.

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