
Prämienverträge Wie die Sparkassen einem das Sparen verleiden


Gestern war Weltspartag. Ein Feiertag ist das sicher nicht: Klassisches Sparen macht keinen Spaß mehr. Und schuld daran ist nicht nur die Europäische Zentralbank mit ihrer Nullzinspolitik.
Ich habe am Weltspartag als Kind eine Spardose bekommen. Mit Grimms Märchen drauf. Und im Jahr darauf in meiner Volksbank die Spardose ausgeleert mit vielen Markstücken – und einem Insekt, war das peinlich. Aber ansonsten war Sparen ein schönes Erlebnis und die Bank ein Ort, zu dem ich gern gegangen bin. Meine Nichte, Jahrzehnte jünger, erzählte von Kuscheltieren beim Leeren des Sparschweins und einem Zauberer, der das Kinderkonto eröffnete.
Das ist heute für viele Leute anders. Weil Banken oftmals ihre Kunden gar nicht mehr haben möchten. Für mich geht diese Vertreibung mit dem Bankautomaten los, der erst noch in der Vorhalle und dann vor der Tür installiert wurde. Als Kunde lässt man mich buchstäblich im Regen stehen.
Und dann sind einige Banken ja sogar dazu übergegangen, die eigenen Automaten abzubauen und gleichzeitig den Kunden das Geldabheben bei Aldi, Lidl und Co. zu ermöglichen. Die Supermärkte, die alles tun, damit der Kunde kommt, haben gern zugegriffen. Und die Banken, die die Kunden möglichst nicht mehr sehen wollten, hatten ihr Ziel fast erreicht.

Micha Kirsten / Finanztip
Hermann-Josef Tenhagen, Jahrgang 1963, ist Chefredakteur von »Finanztip«. Der Geld-Ratgeber ist Teil der gemeinnützigen Finanztip Stiftung. »Finanztip« refinanziert sich über sogenannte Affiliate-Links. Mehr dazu hier . Tenhagen hat zuvor als Chefredakteur 15 Jahre lang die Zeitschrift »Finanztest« geführt. Nach seinem Studium der Politik und Volkswirtschaft begann er seine journalistische Karriere bei der »Tageszeitung«. Dort ist er heute ehrenamtlicher Aufsichtsrat der Genossenschaft. Auf SPIEGEL.de schreibt Tenhagen wöchentlich über den richtigen Umgang mit dem eigenen Geld.
2021 erreicht die Kundenverachtung einen Höhepunkt. Die Sparkasse Leipzig macht vorsichtshalber gar nichts zum Weltspartag. Sparen sei ja übers ganze Jahr aktuell, nicht nur an einem Tag, so eine Sprecherin.
Nun haben zwar die Sparkassen den Weltspartag erfunden , aber die Vorsicht hat Gründe. Tausende von Sparerinnen und Sparen haben in den vergangenen Jahren feststellen müssen, dass man sie bei ihren Prämiensparverträgen hinters Licht geführt hat. Sie schlossen sich zu einer Musterfeststellungsklage zusammen. Die Sparkasse Leipzig hat diese im Oktober krachend in höchster Instanz verloren.
Die Idee der Prämiensparverträge
Wie begeistert man seine Kunden fürs Sparen, hatten sich die Sparkassen und einige andere Banken einst gefragt und das Prämiensparen ersonnen. Die Idee: Es gibt einen kleinen Zins aufs ganze Sparvolumen wie bei einem normalen Sparbuch. Und zusätzlich eine Prämie am Jahresende auf das neu eingezahlte Geld. Diese Prämie steigt Jahr für Jahr – damit die Sparer dabei bleiben. Die Verträge, um die jetzt gestritten wird, stammen vor allem aus den Neunziger- und Nullerjahren. Gegen die Prämienidee spricht grundsätzlich nichts. Strittig aber ist die Grundverzinsung. Die Idee: Steigen die allgemeinen Zinsen, bekommt der Sparer mehr, fallen sie, bekommt er weniger .
Was die Sparerinnen und Sparer sich nicht vorstellen konnten: Dass ihre Sparkasse oder Bank die Regel für die Anpassung absichtlich besonders lose formulierten, damit sie sie schamlos ausnutzen konnten, um ihnen Zinsen vorzuenthalten. Genau das aber ist passiert.
Zinsen nach Gutsherrenart kleingerechnet
Die Banken haben die Zinsen einfach nach Gutdünken, oft zu ihren Gunsten angepasst. Und sie haben das so frech gemacht, dass der Bundesgerichtshof schon 2004 erstmals geurteilt hat (Az. XI ZR 140/03), diese Anpassung nach Gutsherrenart, das gehe nicht. Zahlreiche Urteile folgten – ohne dass der Großteil der Kunden irgendwas davon hatte .
Doch inzwischen gibt es das Instrument der Musterfeststellungsklage. Die Verbraucherzentralen haben bereits acht Klagen eingeleitet . Die Erste in Leipzig. Und jetzt im Oktober 2021 urteilte der Bundesgerichtshof gegen die Sparkasse Leipzig, dass sie sich bei den Zinszahlungen an langfristigen Zinssätzen der Bundesbank orientieren müsse, die Zinsen monatlich anpassen und entsprechend nachzahlen müsse. Falle der Referenzzinssatz um 50 Prozent, dürften Banken den Zins für die Kunden auch nur um die Hälfte senken. Im Schnitt über 3000 Euro pro Kunde, hatten die Juristen der Verbraucherzentrale Sachsen für ihre Mandanten ausgerechnet (Az. XI ZR 234/20).
17 Jahre liegen zwischen beiden Urteilen.
Selbst die Finanzaufsicht ist genervt
17 Jahre, da ist dann auch der Finanzaufsicht Bafin der Geduldsfaden gerissen.
Die Bafin hat im Juni dieses Jahres alle Banken mit solchen Prämiensparplänen mit einer Allgemeinverfügung aufgefordert, endlich ihre Kunden richtig zu informieren und ihnen die Zinsen im Zweifel nachzuzahlen. Aber informieren, das wollten Sparkassen und Banken nicht. Statt zu informieren, haben die Banken erst mal fast alle Widerspruch eingelegt, um die lästige Informationspflicht doch noch zu verhindern .
Was soll ich als Sparer tun?
Vielleicht fragen Sie sich jetzt auch, ob es noch eine andere Branche im Land gibt, die so mit ihren Kunden umgeht. Aber fragen nützt ja nichts. Handeln ist gefragt.
Wenn Sie also zu der rund eine Million Kunden mit einem solchen Prämiensparvertrag gehören, fordern Sie Ihre Sparkasse oder Bank auf, sie korrekt zu informieren. Und wenn die Bank nicht reagiert, sollten Sie sich das nicht bieten lassen. Wie schnell Sie zu Rechtsmitteln greifen müssen, hängt von Ihrem Vertrag ab.
Variante 1: Der Vertrag läuft noch
Die gute Nachricht: Solange Ihr Vertrag noch läuft, haben Sie alle Zeit der Welt. Sie können abwarten, wie sich die Lage weiterentwickelt. Ihre Ansprüche verjähren frühestens drei Jahre nach Ende des Sparvertrags. Und wir bleiben dran bei Finanztip, und halten Sie auf dem Laufenden. Trotzdem müssen Sie ja nicht untätig bleiben.
Schreiben Sie zum Beispiel einen Brief an die Bafin und beschweren Sie sich. Die Aufseher haben mir am Telefon gesagt, dass sie natürlich beim nächsten Besuch bei ihren Sparkassen und Banken solche Beschwerden zur Sprache bringen würden. Adresse: Bafin, Postfach 1253, 53002 Bonn oder einfach Poststelle@bafin.de .
Lassen Sie bei einer Verbraucherzentrale nachrechnen, wie viele Zinsen ihnen eigentlich wirklich zustehen. Fragen Sie an der Stelle, ob vielleicht sogar eine Musterklage gegen Ihre Sparkasse oder Bank in der Pipeline ist. Der können Sie sich anschließen.
Variante 2: Der Vertrag ist frisch gekündigt
Anders ist die Lage, wenn die Sparkasse Ihren Prämiensparvertrag schon gekündigt hat. Dann müssen Sie sich wehren. Einmal gegen die Kündigung und zweitens gegen die wahrscheinlich ungenügende Auszahlung.
Lassen Sie dazu eine Verbraucherzentrale prüfen, ob die Kündigung überhaupt rechtens ist. Ja, auch das gibt es: Viele kündigen Sparverträge, weil ihnen die Prämien zu teuer geworden sind. Lassen Sie die Verbraucherzentrale auch gleich die Zinsen nachrechnen – und fordern Sie die bei der Bank ein. Reagiert die Sparkasse nicht angemessen, schließen Sie sich einer Musterklage an oder klagen Sie selbst: Meine Kollegen bei Finanztip haben eine Liste von Anwälten zusammengestellt, die sich erfolgreich darauf spezialisiert haben, Ihr Geld aus solchen Verträgen zurückzuholen.
Variante 3: Der Vertrag ist schon lange gekündigt
Richtig eilig wird es, falls Ihr Vertrag schon 2018 gekündigt wurde. Dann verjähren Ihre Ansprüche Ende des Jahres, und womöglich Tausende Euro wären verloren. Darauf legen es viele Banken und Sparkassen mit ihrer Verschleppungstaktik ja gerade an. Auch deswegen wehren sie sich gegen die Bafin-Anordnung, ihre Kunden zu informieren. Als Sofortmaßnahme hilft eine Eingabe bei den Ombudsleuten der Banken , das hemmt die Verjährung. Wenn die Sparkasse dann immer noch nicht zahlt, suchen Sie sich die beste Klagemöglichkeit. Oder Sie gehen gleich zum eigenen Anwalt oder schließen sich einer Musterklage der Verbraucherzentralen an, wenn das möglich ist.
Wenn Sie den Eindruck haben, ich sei ein wenig aufgebracht, dann liegen Sie richtig. Viele Banken und Sparkassen treiben es aktuell nämlich auf die Spitze.
Nach den Prämiensparverträgen spielen sie auch bei den illegal kassierten Gebühren für Girokonten auf Zeit und informieren ihre Kunden nicht. Das entsprechende Urteil des Bundesgerichtshofes liegt jetzt sechs Monate zurück.
Vom Zahlen ist auch hier ganz zu schweigen. Solche Gebühren bekommen Sie mit einem Musterbrief von Finanztip zurück .
Gott sei Dank bin ich mit meinem Brass nicht allein. Am Freitag haben wir von Finanztip mit der Verbraucherzentrale Sachsen und der Bürgerbewegung Finanzwende vor der Sparkasse Leipzig gestanden . Mit einem offenen Brief und um dem Unmut Luft zu machen: Zahlt endlich die Zinsen, war die Botschaft.
Ein Hoffnungsschimmer: Der neue Chef der Finanzaufsicht, Mark Branson, will sich offenbar an die Missachtung von Kundeninteressen auch nicht gewöhnen. Er schrieb allen Kreditinstituten kurz vor dem Weltspartag eine Aufsichtsmitteilung und forderte sie auf, auch bei den Kontogebühren endlich zu informieren und zu zahlen. »Unsere diesbezüglichen Erwartungen sind klar. Die Bafin steht für eine faire Behandlung von Kundinnen und Kunden des Finanzsektors.« Dem Brief seien zahlreiche Gespräche vorangegangen, hieß es aus der Bafin. Die hätten einen solchen Mahnbrief nötig gemacht.