Hermann-Josef Tenhagen

Prämiensparverträge Es gibt noch viele Zinsen zu holen

Hermann-Josef Tenhagen
Eine Kolumne von Hermann-Josef Tenhagen
Viele Sparkassen und Banken haben über Jahre hinweg zu wenig an Prämiensparer ausgeschüttet. Schauen Sie noch vor Jahresende nach, ob das auch für Sie gilt und holen Sie sich Ihr Geld zurück!
Frankfurter Bankenskyline

Frankfurter Bankenskyline

Foto: Boris Roessler / dpa

Vor 18 Monaten hat die Finanzaufsicht Bafin die deutschen Sparkassen und Banken aufgefordert, Hunderttausenden von Prämiensparern mitzuteilen, dass ihnen noch jede Menge Zinsen zusätzlich zustehen . Doch statt bedächtigem Nicken musste die Aufsicht damals eine Rudelbildung der Banken gegen die Staatsmacht beobachten. 1156 Banken legten Widerspruch gegen die Verfügung der Bafin ein. Die Sparkunden bekommen ihr Geld weiterhin nicht, Tausende Euro in vielen Einzelfällen. Schlimmer noch: Ansprüche verjähren. Zum Jahresende verlieren vor allem Kunden aus Dresden, München, Nürnberg, Saarbrücken oder Osnabrück die Möglichkeit, ihre Zinsen zu bekommen. Denn drei volle Jahre nach Vertragsende läuft die entscheidende Frist ab.

Das müssen Sie sich nicht gefallen lassen.

Hier die Vorgeschichte: Seit 2004 hat der Bundesgerichtshof in einer Reihe von Urteilen festgelegt, welche Zinsen Sparerinnen und Sparer bei sogenannten variablen Prämiensparverträgen erhalten müssen. Die wurden unter den Namen Vorsorgesparen, VZ Zukunft oder Combisparen millionenfach angeboten.

Das ist nicht trivial, weil diese Prämiensparverträge ihren Kunden eine Mischung aus einem jährlichen Bonus und einem variablen Zins bieten. Der Bonus ist meist einfach zu bestimmen, steht schwarz auf weiß in den Verträgen. Doch strittig ist, welche variablen Zinsen gezahlt werden müssen, wenn die allgemeinen Zinsen auf den Märkten steigen und fallen – was ja kontinuierlich passiert (Bundesgerichtshof: AZ: XI ZR 140/03).

Die Geldhäuser versuchen, ihren Kunden Zinsen vorzuenthalten, die ihnen eigentlich zustehen

Tatsächlich läuft es seit zwanzig Jahren etwa so, wie Sie jetzt mit Ihren Vorurteilen vermuten würden: Sparkassen und einige Banken versuchen, ihren Kunden Zinsen vorzuenthalten, die ihnen eigentlich zustehen. Die Strategie war zunächst einfach. Fallen die Zinsen, können Sparkassen die Zinsen auch schnell senken. Steigen sie hingegen, dauert es oft etwas länger, bis die Kunden davon profitieren. Das hatte bereits 2004 nicht nur die Stiftung Warentest beobachtet .

Auch dem Bundesgerichtshof sind schon bei der ersten Beschäftigung mit dem Thema diese Zinszahlungen nach Gutsherrenart übel aufgestoßen, und er hat den Sparkassen deshalb im Laufe der Jahre detailliert aufgetragen, welche Zinsen zu zahlen sind :

  1. Die variablen Zinsen müssen nach einem nachvollziehbaren und fairen Modell an den jeweiligen Marktzins angepasst werden; und dieses Modell muss mit den Kunden vorab vereinbart werden. Als Marktzins gelten Zinssätze, die die Bundesbank regelmäßig ermittelt hat. Im Fachjargon heißen die Referenzzinsen. Zum Beispiel: Es werden immer Dreiviertel eines solchen Referenzzinses gezahlt. Liegt der bei vier Prozent, zahlt die Bank dann drei Prozent.

  2. Der ausgewählte Referenzzins muss zur Art des Sparvertrages passen. Weil die Kunden langfristig in variablen Prämiensparverträgen sparen, muss auch der Referenzzins einer sein, den zum Beispiel die Bundesbank für langfristige Geschäfte ermittelt. Und langfristige Zinsen sind höher als kurzfristige.

  3. Die Anpassung der Zinsen muss zügig vonstattengehen. Steigen die Zinsen beim Referenzzins, müssen die Zinsen für den Kunden schnell mitsteigen. Fallen sie, dürfen sie schnell mit fallen. Im Zweifel auch monatlich. Die Buchhaltung der Banken läuft schließlich längst per Computer, so die Richter anno 2010, da kann man ruhig kleinteilig und exakt rechnen.

  4. Die Anpassung der Zinsen muss relativ erfolgen, nicht etwa mit einem konstanten Abstand. Ist der Referenzzins von vier auf zwei Prozent gefallen, hat er sich halbiert. Wenn die Bank den Prämiensparern vorher drei Prozent Zinsen gezahlt hat, dürfte dieser Zins sich ebenfalls halbieren: auf 1,5 Prozent. Der Prämiensparzins darf aber nicht um zwei Prozentpunkte auf nur noch ein Prozent sinken. Nur mit diesem relativen Abstand könne »das Grundgefüge der Vertragskonditionen« beibehalten werden.

Der BGH hatte diese vier Grundregeln zur Zinsanpassung in einem Urteil 2010 ausführlich vorgeschrieben (Bundesgerichtshof Az: XI ZR 197/09).

Genau genug, möchte man meinen. Und, wohlgemerkt, vor mittlerweile zwölf Jahren. Doch auch nach 2010 haben Sparkassen und Banken sich weitere Urteile vom Bundesgerichtshof gefangen, in denen ihre Art der Zinszahlung moniert wurde, zuletzt drei Urteile im Herbst 2021.

Schließlich wurde es auch der Finanzaufsicht Bafin zu bunt. Sie versuchte Banken und Sparkassen nach vielen Einzelgesprächen an einem Runden Tisch klarzumachen, dass nicht nur in zahllosen Fällen Zinsen nachgezahlt werden müssten, sondern auch Hunderttausende von Kunden, die von ihrem Recht auf mehr Zins noch gar nichts mitbekommen hatten, erst mal informiert werden müssten, dass ihnen noch mehr Geld zusteht .

Noch viel Streit darüber, wie viel die Institute nachzahlen müssen

2018 hatte die Bafin ermittelt, dass bei 255 Banken mehr als 1,1 Millionen solcher Sparverträge abgeschlossen waren . Welcher Kunde rechnet schließlich damit, dass sich eine Bank bei den Zinsen verrechnet?

Gleichzeitig erstritten die Verbraucherzentrale Sachsen und auch der Verbraucherzentrale Bundesverband in Musterprozessen gegen einzelne Sparkassen Urteile, nach denen die Kreditinstitute viel Geld an Prämiensparer nachzahlen müssen. Zurzeit tobt noch der Streit darum, wie viel Geld genau, also welchen konkreten Zinssatz die Sparkassen anwenden müssen.

Zudem hat die Finanzaufsicht Bafin die renitenten Kreditinstitute mit der oben schon erwähnten Allgemeinverfügung versucht zu zwingen, ihre Kunden wenigstens darüber zu informieren, dass ihnen womöglich zusätzlich Geld zusteht.

Bafin-Chef Mark Branson nennt diese Allgemeinverfügung als »Beispiel« für die notwendige härtere Gangart der Finanzaufsicht: »Wenn es einen Missstand gibt, müssen wir etwas tun, auch wenn dieser Sachverhalt im Gesetz nicht ganz eindeutig geregelt ist 

Annähernd vollständige Informationen der Kunden für einen funktionierenden Markt – das ist für Banken und Sparkassen zu viel verlangt. Die mindestens 1156 oben genannten Sparkassen und Banken legten Widerspruch gegen diese Informationspflicht ein. Jetzt bekämpfen die Kreditinstitute  die notwendige Information ihrer Sparkunden vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt – koordiniert vom Sparkassenverband DSGV und dem Verband der Genossenschaftsbanken BVR. So kann das noch Jahre dauern.

Warum schreibe ich das alles jetzt?

Einmal um zu zeigen, wie in diesem Fall viele Sparkassen und Banken mit ihren Sparern umgehen. Erst Ansprüche vorenthalten, dann nach Urteilen die Kunden nicht informieren und schließlich eine vom Staat auferlegte Informationspflicht verhindern. Das bringt mich auf die Palme.

Meine Kollegen von Finanztip haben gemeinsam mit der Verbraucherzentrale Sachsen und der Bürgerbewegung Finanzwende sogar eine Petition  gegen diesen Sparkassenwahnsinn auf den Weg gebracht. So was tut Finanztip sonst nicht.

Zum anderen ärgert mich die Sache, weil es für Zehntausende Kunden zum Jahresende wieder um die Wurst geht. Ihre Prämiensparverträge sind 2019 ausgelaufen oder gekündigt worden. Am Ende des dritten Jahres – also jetzt zum 31. Dezember 2022 – verjähren diese Ansprüche. Wenn diese Kunden also jetzt nichts tun, ist das Geld, auf das sie Anspruch haben, endgültig weg. Während die Inflation die höchsten Raten der Nachkriegsgeschichte erreicht, gehen sparenden Rentnerinnen und Rentnern Tausende Euro verloren .

Gott sei Dank gibt es in Deutschland inzwischen einen einfachen Weg, sich gegen diese Art von Nepp zu wehren.

  • Wenden Sie sich mit einer Beschwerde über nicht bezahlte Zinsen an die Ombudsleute der Sparkassen oder der Genossenschaftsbanken und verlangen Sie die Auszahlung dieser Zinsen. Mit dieser Beschwerde hemmen Sie die mögliche Verjährung und sichern Ihre Ansprüche. Zudem, Wäschekörbe mit Einspruch-Einschreiben zu Weihnachten hinterlassen auch bei hartgesottenen Bankiers Eindruck .

  • Als Kundin mancher Sparkassen konnten oder können Sie sich auch kostenlos und ohne finanzielles Risiko den Musterfeststellungsklagen  der Verbraucherzentralen gegen das jeweils konkrete Kreditinstitut anschließen und so Ihre Ansprüche wahren.

  • Und mit einem guten Anwalt und einer Rechtsschutzversicherung können Sie sogar selbst der Sparkasse Ihre Zinsen abjagen. Eine Liste in dieser Sache erfolgreicher Anwälte finden Sie hier . Anwälte haben am Landgericht Deggendorf und am Landgericht Regensburg zuletzt 11.000 und 12.000 Euro Zinsnachzahlung erstritten.

  • Als Wahlbürger oder Wahlbürgerin können Sie derweil auch mit Ihren Bürgermeisterinnen oder Landräten sprechen, die sitzen oft den Verwaltungsräten der örtlichen Sparkasse vor und sollten die Sorgen ihrer lokalen Sparer ernst nehmen.

Was Sie nur nicht tun sollten: die Hände in den Schoß legen und diese Kreditinstitute mit einer Politik durchkommen lassen, die auf untätige oder gar wegsterbende Kunden setzt – in einer Branche, die eigentlich vom Vertrauen der Kunden lebt.

Kurzer Hinweis: Wenn Ihr Sparvertrag derzeit noch läuft, sind Ihre Ansprüche noch nicht von der Verjährung bedroht. Wenn Sie aber noch kein Schreiben bekommen haben, das Ihnen für Ihren ausgelaufenen variablen Prämiensparvertrag mehr Zinsen verspricht, fragen Sie ruhig mal nach, wann denn die Sparkasse oder Bank Sie darüber informieren will. Information ist für eine funktionierende Marktwirtschaft schließlich zentral.

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