Hermann-Josef Tenhagen

Klaglos klagen Brauche ich eine Rechtsschutzversicherung?

"Sie hören von meinem Anwalt!" Rechtsschutzversicherungen haben Zulauf. Aber sie zahlen nicht immer. Und sie schmeißen allzu streitlustige Kunden gerne raus.
Justitia auf dem Gerechtigkeitsbrunnen in Frankfurt am Main

Justitia auf dem Gerechtigkeitsbrunnen in Frankfurt am Main

Foto: Frank Rumpenhorst/ dpa

Haben Sie eigentlich eine Rechtsschutzversicherung? Rund die Hälfte der Haushalte in Deutschland haben angeblich eine und es werden immer mehr.

Dabei hat sich die Welt der Rechtsberatung in den vergangenen Jahren drastisch verändert. Nicht nur die Anwälte sind viel mehr geworden. Die Bezahlung über eine Rechtsschutzversicherung ist nicht mehr die einzige Möglichkeit, solche Leistungen zu finanzieren. Auch die Antwort auf die Frage, welche Leistungen die Rechtschutzversicherung finanziert, ändert sich laufend.

Erstens, weil die Versicherer festgestellt haben, dass sie Rechtsschutz in bestimmten Bereichen sehr teuer kommen kann und sie deshalb versuchen, solch teuren Schutz mehr und mehr einzuschränken.

Das auch, indem sie teure Kunden loswerden. Kunden etwa, die nach der Finanzkrise Banken verklagt hatten. Kunden, die sich Fehler bei der Widerrufsbelehrung von Baufinanzierungen zunutze gemacht und dabei lukrative Vergleiche mit den Banken geschlossen hatten . Eine Folge solcher Vergleiche: Die recht hohen Rechtskosten teilten Banken und ihre Kunden unter sich auf. Jeder zahlte seine eigene Zeche. Und bei Bankkunden, die rechtsschutzversichert waren, kam für deren Anteil die Rechtsschutzversicherung auf.

Zweitens, weil sogenannten Rechtsdienstleister in immer mehr Alltagsbereichen Rechtsschutzaufgaben übernehmen. Sie holen gerade für nicht versicherte Kunden Entschädigungen und Kosten von Fluglinien oder auch überhöhte Mieten zurück. Dienstleister, wie EU-Flight, EU Claim oder Fairplane geben an, für mehrere zehntausend Fluggäste im Jahr Entschädigungen bei den Fluglinien zu erstreiten. Es geht um Hunderte von Millionen Euro .

Drittens, weil sich immer mehr Versicherer eigene Hotlines zulegen, bei denen ihre Kunden dann kostenlos anrufen können, ohne selbst schon einen Anwalt beauftragen zu müssen.

An den Telefonen der Hotlines sitzen oft eigens von den Versicherern bestellte Anwälte. Gute Rechtsschutzversicherer bieten diesen Telefonservice inzwischen rund um die Uhr an. Bezahlt werden auch Mediatoren, selbst in Bereichen wie Ehescheidung, in denen Rechtsschutzversicherer traditionell nichts bezahlen .

Ist die Rechtsschutzversicherung also Pflicht?

Nüchtern betrachtet, wahrscheinlich nicht. Jedenfalls hat die Police keine Priorität. Wichtiger sind erst einmal Haftpflicht und eine Berufsunfähigkeitsversicherung[MU3] . Die gehen eindeutig vor. Nur jeder vierte Erwachsene hatte in den vergangenen zehn Jahren einen Termin vor Gericht. Und etliche davon auch nur als Zeugen.

Diese Statistik schließt natürlich nicht aus, dass sich übermorgen der Streit Ihres Lebens anbahnt und Sie mit einer Rechtsschutzversicherung für diesen Streit deutlich besser gerüstet gewesen wären.

Wenn Sie aber einen nervigen Chef haben, gern im Möbelgeschäft auf ihrem Standpunkt beharren und Ihrem VW-Händler nach dem Diesel-Skandal die rote Karten zeigen wollen , dann wäre eine solche Rechtschutzversicherung doch ganz nützlich.

Zum Autor
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Micha Kirsten / Finanztip

Hermann-Josef Tenhagen, Jahrgang 1963, ist Chefredakteur von »Finanztip« und Geschäftsführer der Finanztip Verbraucherinformation GmbH. Der Geldratgeber ist Teil der Finanztip Stiftung. »Finanztip«  refinanziert sich über sogenannte Affiliate-Links, nach deren Anklicken »Finanztip« bei entsprechenden Vertragsabschlüssen des Kunden, etwa nach Nutzung eines Vergleichsrechners, Provisionen erhält. Mehr dazu hier .

Tenhagen hat zuvor als Chefredakteur 15 Jahre lang die Zeitschrift »Finanztest« geführt. Nach seinem Studium der Politik und Volkswirtschaft begann er seine journalistische Karriere bei der »Tageszeitung«. Dort ist er heute ehrenamtlicher Aufsichtsrat der Genossenschaft. Auf SPIEGEL.de schreibt Tenhagen wöchentlich über den richtigen Umgang mit dem eigenen Geld.

Dieses Bedürfnis ist in Deutschland weit verbreitet:

  • Vier Milliarden Euro haben die Kunden 2017 nach der Statistik des Gesamtverbands der Versicherungswirtschaft für ihre 22 Millionen Rechtschutzversicherungen ausgegeben.
  • Vier Millionen Schäden haben die Versicherer in dem Jahr gezählt,
  • 2,8 Milliarden Euro haben die Versicherer ihren Kunden erstattet.

Sind Sie ein solcher Kunde, dann ist die schöne neue Rechtschutzwelt sogar von Nutzen. Über die Hotline ihrer Versicherung können Sie jetzt praktisch regelmäßig Rechtsrat bei der Versicherung einholen. Meist selbst zu Fragen, bei denen Sie laut Vertrag gar keinen Rechtsschutz haben. Also mit Verkehrsrechtsschutzvertrag doch mal die Chancen beim Streit mit dem Kakerlaken-Hotelier klären. Oder die Frage, ob sie die Garantieversicherung aus dem Technikmarkt nicht einfach zurückgeben können. All das ohne dass eine solche Frage als Rechtsschutzfall zählt, Geld kostet und Ihr Rechtsschutzkonto belastet.

Die Beratungshotlines überdeckt so zwei der zentralen Kundenprobleme dieser Versicherungssparte.

Erstes Problem: "Die" Rechtsschutzversicherung gibt es nicht, es gibt Privat-, Berufs, Wohn- und Verkehrsrechtsschutz. Was brauchen Sie also? Manchen Rechtsschutz haben Sie vielleicht schon. Berufsrechtsschutz etwa gibt es bei der Gewerkschaft, Mietrechtschutz beim Mieterverein oder für Vermieter beim Interessenverband Haus und Grund. Aber wo hört der Schutz jeweils auf? Und wer weiß schon, welche Police man wirklich braucht? Und wenn man das ganz große Paket kauft, wie viel hundert Euro kostet das denn? Zweihundert oder Zwölfhundert?

Zweites Problem: Selbst eine umfassende, teure Police schützt bei wichtigen und wirklich teuren Streitthemen normalerweise nicht oder nur teilweise, etwa bei Hausbau, Unterhalt oder Scheidung. Für Streitigkeiten, die beim Abschluss der Versicherung schon liefen, zahlen die Versicherer ohnehin nicht. Auch in den ersten Monaten nach Abschluss fließt oft erstmal kein Geld zum Kunden. Die Versicherer sagen dann, das habe der Kunde doch sicher vorher gewusst, dafür ist eine Versicherung nicht da.

Wegen dieses Blickes auf die Welt stehen Rechtsschutzversicherer auch unter besonderer Beobachtung beim Versicherungsombudsmann . In keiner Versicherungssparte gab es 2018 mehr Kundenbeschwerden als bei der Rechtsschutzversicherung, nämlich über 4000.

Einen Rechtsschutzfall zu haben ist paradoxerweise bei der Rechtsschutzversicherung das größte Risiko auch für den Kunden, nicht nur für den Versicherer. Der gute Versicherer vertritt zwar Ihre Interessen und leistet im Rechtsstreit das, wozu er sich vertraglich verpflichtet hat. Traditionell aber zählt er dann nach, wie oft er sie eigentlich hat vertreten müssen. Und wenn das zu oft war, dann zieht der Versicherer die Reißleine und kündigt. Daher stellt sich schon die Frage:

Rechtsschutzversicherung - ja oder nein?

Zu Ihrer persönlichen Antwort sollten Sie die folgenden zwei Schritte gehen.

  • Prüfen Sie noch einmal ganz ernsthaft, ob Sie den Vertrag wirklich brauchen.

Wenn Sie den Vertrag dann haben, nutzen Sie die Hotline intensiv, bevor Sie sich entscheiden, wirklich einen Anwalt aufzusuchen. Die Hotline-Nutzung ist inklusive und gefährdet nicht ihren Versicherungsschutz.

Verbraucherschützer in West- und Südeuropa haben übrigens schon vor einem Jahrzehnt gemerkt, wie wirkungsvoll solche Hotlines zur Kundengewinnung sind. In Portugal hat die Verbraucherorganisation Proteste in kurzer Zeit 300.000 zahlende Mitglieder unter anderem mit einem solchen Servicetelefon gewonnen, und das bei bloß 10 Millionen Einwohnern.

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