Horrende Kosten bei Riester-Verträgen Anbieter kassieren bis zu 38 Prozent des eingezahlten Geldes

Dass es ein Problem gibt, ist schon länger klar: Die Riester-Rente sei zu intransparent, zu bürokratisch und zu teuer, beklagen Experten immer wieder. Wie teuer, das hat jetzt die Bürgerbewegung Finanzwende ausgerechnet, die sich für gerechtere Finanzmärkte einsetzt. Die Experten haben sich 65 Riester-Rentenversicherungen vorgenommen und gemeinsam mit einem Versicherungsmathematiker die Kosten für einen 37-jährigen Musterkunden ohne Kinder ausgerechnet, der – inklusive staatlicher Zulagen – pro Jahr 1200 Euro auf seinen Vertrag einzahlt, und das über 30 Jahre.
Die Ergebnisse sind ernüchternd: Bei einem durchschnittlichen Vertrag gingen demnach nahezu ein Viertel der Einzahlungen für die Gebühren drauf. Jede dritte Police, die untersucht wurde, habe sogar 30 Prozent oder mehr des Geldes an Kosten vereinnahmt. »Das heißt: Von 100 eingezahlten Euro gehen 30 Euro an den Versicherer und den Vermittler«, sagt Britta Langenberg, Vorsorgeexpertin bei Finanzwende. Bei einem Produkt des Anbieters Alte Leipziger waren es den Berechnungen zufolge sogar maximal 38 Euro.
Genaugenommen müssen die Kunden bei vielen Riester-Angeboten, etwa bei fondsgebundenen Rentenversicherungen, bis zu drei Dienstleister bezahlen: den Vermittler, den Versicherer und die Fondsgesellschaft. Besonders teuer sind laut Finanzwende vor allem jene Riester-Verträge, die höhere Ertragschancen in Aussicht stellen. Die Produkte wiederum, die geringere Kosten kalkulieren, seien oft die vergleichsweise risikoarmen. Deren Chancen auf Wertsteigerungen seien jedoch so mau, dass die zu erwartende Rendite für den Kunden nach Abzug der Kosten in der Regel jährlich weniger als 0,5 Prozent betrage.
Insgesamt liegt die zu erwartende Rendite aller betrachteten Produkte nach Kosten beim Rentenstart im Schnitt bei 1,6 Prozent pro Jahr – und damit unter der durchschnittlichen Inflationsrate der letzten 30 Jahre, so die Bürgerbewegung.
Den Gebührenanteil für die einzelnen Produkte habe man auf Basis der Angaben in den Muster-Produktinformationsblättern der Anbieter ermittelt, erklärt Finanzwende. Es handle sich jeweils um die Obergrenze: Die tatsächlichen Kosten könnten individuell geringer ausfallen, etwa wegen möglicher Überschüsse, die der Versicherer auszahle. Man gehe aber davon aus, dass die Zahlen insgesamt ein realistisches Bild zeichneten.
Lohnt sich eine Riester-Rente also einfach nicht mehr?
So kann man die Berechnungen nicht lesen. Zum einen beziehen sich die Renditeangaben immer auf die Gesamteinzahlungen: also auf die eigenen Beiträge und die staatlichen Zulagen. Das heißt: Je nach individueller Situation kann sich ein Vertrag trotz der teils horrenden Kosten für den einzelnen Kunden noch lohnen – eben wegen der Staatszuschüsse. Wer Kinder hat, bekommt zum Beispiel zusätzliche Zulagen, außerdem wird die Riester-Rente in der Sparphase steuerlich begünstigt. Bei Gutverdienern kann dieser Steuervorteil die Höhe der direkten Zuschüsse, mit denen er verrechnet wird, sogar noch übertreffen.
Für den Staat – und damit für den Steuerzahler – ist die Riester-Rente aber ein wenig lukratives Investment, wenn man die Kalkulationen betrachtet. »Am Ende fließt zu viel Geld in die Kostenapparate der Versicherer, für die Altersvorsorge bleibt oft zu wenig übrig. Das kann nicht der Sinn einer staatlich geförderten Altersvorsorge sein«, sagt Expertin Langenberg.
Vorbild Schweden
Finanzwende plädiert deshalb für einen Systemwechsel. »Die Versicherer hatten fast zwei Jahrzehnte, um ihre Kostenapparate anzupassen. Sie haben es bislang kaum getan – zum Schaden der Sparer«, heißt es in einem »Faktenblatt« der Bürgerbewegung. Die bessere Alternative sei ein »staatlich organisierten und kapitalgedeckten Vorsorgeprodukt für alle, das sich im Kern am schwedischen Vorsorgefonds orientiert«.
In Schweden nämlich fließt ein kleiner Teil des Rentenbeitrags, den jeder Bürger zahlt, automatisch in eine kapitalgedeckte Altersvorsorge – in der Regel in den staatlich verwalteten Aktienfonds AP7, es sei denn der Anleger entscheidet sich aktiv für ein anderes Produkt. Und das tun die wenigsten Schweden.
Denn der AP7 Aktienfonds läuft bestens. Mit einem Anlagevolumen von fast 58 Milliarden Euro wurde er laut Fondsratingagentur Morningstar im August zum größten Fonds Europas. »An die Spitze gebracht hat den Fonds eine Kombination aus zwei Faktoren: Eine fantastische Performance und stetige Mittelzuflüsse«, schrieb Ali Masarwah, als Chefredakteur zuständig für die deutsche Website der Agentur, in einer Analyse Ende September geradezu euphorisch. Weil aber die Aktienmärkte unsicheres Terrain sind, wird das angesparte Kapital eines jeden schwedischen AP7-Kunden nach seinem 55. Geburtstag Schritt für Schritt umgeschichtet in einen weniger riskanten Rentenfonds.
Der Vorteil einer solch staatlich organisierten, kapitalgedeckten Altersvorsorge seien die niedrigen Kosten, argumentiert Finanzwende. Schließlich arbeiten die Fondsverwalter nicht gewinnorientiert. Das macht unter dem Strich ganz schön etwas aus, wie die Bürgerbewegung ausgerechnet hat. Unterstelle man eine jährliche Wertentwicklung von fünf Prozent, hätte der genannte Musterkunde nach 30 Jahren in dem schwedischen Modell mit rund 77.200 Euro etwa 16.600 Euro mehr auf dem Rentenkonto als bei einer durchschnittlichen deutschen Riester-Rente.
Bürgerbewegung Finanzwende
Ob es in Deutschland allerdings jemals ein ähnliches Modell geben wird wie in Schweden, ist unklar. Die Große Koalition ist noch uneins in der Frage, ob und wie das Riester-Regime aufgehübscht werden kann – oder ob es nicht besser ganz abgeschafft werden muss. Und die Anbieter kämpfen: Schon vergangenes Jahr stellten die Verbände der Versicherer, Fondsgesellschaften und Bausparkassen einen Fünfpunkteplan mit Reformvorschlägen für die Riester-Rente vor. Darin schlagen sie unter anderem die Entwicklung von einfachen Standardprodukten »ohne komplizierte Wahlmöglichkeiten« vor, die dann auch kostengünstiger angeboten werden könnten. Außerdem fordern sie, dass die sogenannte Bruttobeitragsgarantie aufgelockert wird. Bislang nämlich müssen Anbieter von Riester-Produkten zusichern, dass zum Rentenbeginn zumindest die einbezahlten Beiträge inklusive der Zulagen zur Verfügung stehen. Das zwingt etwa die Versicherer zu einer extrem konservativen Anlagestrategie, die in Zeiten niedriger Zinsen kaum noch etwas abwirft.
Dorothea Mohn, Teamleiterin Finanzen beim Verbraucherzentrale Bundesverband, warnt jedoch davor, diese Garantie abzuschaffen, ohne das System grundlegend zu ändern. »Das würde nur dazu führen, dass die Anbieter und allen voran die Versicherer mehr Spielraum bekommen würden, weitere Kosten einzukalkulieren – zum Nachteil der Verbraucher«, sagt sie. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben ihrer Ansicht nach gezeigt: Die Versicherungsbranche, die nach wie vor einen Großteil aller Riester-Produkte vertreibt, müsse »konsequent aus der Altersvorsorge herausgehalten werden. Das Ansparen im Versicherungsmantel ist schlicht nicht sinnvoll.«