
Verbraucher-Scoring Blackbox Schufa
Hunderttausende Entscheidungen täglich stützen sich auf das Urteil der Schufa – beim Handyvertrag, Hauskredit oder der Mietwohnung. Doch eine exklusive Datenauswertung zeigt: Viele Menschen werden unverschuldet zum Risiko erklärt.
Eine Recherche von SPIEGEL Data und BR Data
Ein Roadtrip sollte es werden, zwei Wochen mit dem Mietwagen durch die USA. Aber als Sven Drewert* für den Urlaub sein Kreditkartenlimit erhöhen will, erlebt er eine Überraschung. Die Bank lehnt die Erhöhung ab. Der Grund: Seine Bewertung bei der Wirtschaftsauskunftei Schufa sei zu schlecht. Und das obwohl er stets seine Rechnungen bezahlt hat.
Was ist das für eine Institution, die mit ihren Bewertungen, Scores genannt, ein Urteil über fast jeden Verbraucher fällt? Es ist keine staatliche Stelle, wie manche meinen. Die Schufa Holding AG ist ein privatwirtschaftliches Unternehmen. Auf ihre Bewertungen stützen sich Banken, Mobilfunkunternehmen und Onlinehändler, die für ihre Geschäfte auf verlässliche Informationen über potenzielle Kunden angewiesen sind. Die Schufa ist kein Monopolist: Auch andere Auskunfteien wie Crif Bürgel, Creditreform Boniversum oder Arvato Infoscore sammeln Daten von Personen und Firmen und urteilen über deren Kreditwürdigkeit. Doch keine andere Auskunftei ist in Deutschland so einflussreich wie die Schufa, wenn es um das Bewerten von Verbrauchern geht.
Ohne Schufa-Auskunft ist die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben kaum noch vorstellbar: kein Handyvertrag, keine Mietwohnung, kein Bankenkredit, kein Zahlen auf Rechnung im Onlineshop. Die Schufa verfügt nach eigenen Angaben über Informationen zu mehr als 67 Millionen Verbraucherinnen und Verbrauchern. Darunter negative Daten wie Zahlungsausfälle oder Einträge aus dem Schuldnerverzeichnis. Aber auch sogenannte „positive Informationen“, über Kreditkarten, Girokonten oder Immobilienkredite. Viele dieser Daten werden von Banken und Unternehmen übermittelt.
Von Sven Drewert hat die Schufa nur positive Merkmale gespeichert, und trotzdem: Ein „zufriedenstellendes bis erhöhtes Risiko“ lautete das Urteil, das die Schufa der Bank übermittelte. Kreditinstitute entscheiden zwar nicht allein auf Basis des Schufa-Scores, mit wem sie Geschäfte machen, doch oft genug kann er hier zu Problemen führen.
Drewert hatte Glück, seine Freundin konnte für den USA-Urlaub mit ihrer Kreditkarte aushelfen. Doch warum die Schufa ihm ein erhöhtes Risiko attestiert, weiß er bis heute nicht. Denn wie genau die Schufa zu ihrer Bewertung kommt, ist Geschäftsgeheimnis. Man könnte es auch intransparent nennen. Der Algorithmus gleicht einer Blackbox: Nur sehr vage lässt sich nachvollziehen, wie er funktioniert – bis jetzt.
Journalisten des SPIEGEL und des Bayerischen Rundfunks konnten die Schufa-Daten von mehr als 2000 Verbraucherinnen und Verbrauchern auswerten. Eine geheime Schufa-Formel werden wir nicht enthüllen: Der Datensatz stellt nur einen kleinen, durchaus verzerrten Ausschnitt der Verbraucher in Deutschland dar – Männer sind überrepräsentiert, ältere Menschen unterrepräsentiert.
Die Daten gewähren dennoch einen nie dagewesenen Einblick in das Innerste von Deutschlands wichtigster Auskunftei und lassen wichtige Rückschlüsse auf die Funktionsweise des Schufa-Scorings zu. Sie zeigen, dass die Schufa über viele Menschen weit weniger weiß, als man meinen könnte – und sich dennoch die Berechnung eines genauen Scores zutraut. Die Daten geben auch Hinweise darauf, wie sich Alter und Geschlecht auf die Risikobewertung auswirken können. Und welche Nachteile Verbraucher haben können, wenn Unternehmen alte Score-Versionen verwenden.
Der Bundesgerichtshof erklärte die Schufa-Formel 2014 zum Geschäftsgeheimnis. Nur den zuständigen Datenschutzstellen ist sie bekannt. Um mehr über die Funktionsweise der Schufa zu erfahren, haben die Organisationen AlgorithmWatch und Open Knowledge Foundation Deutschland im Frühjahr 2018 das Projekt OpenSchufa gestartet. Sie riefen Verbraucher dazu auf, Selbstauskünfte bei der Schufa zu beantragen, einzuscannen und anonymisiert auf einem gemeinsamen Portal hochzuladen.
Jede Verbraucherin und jeder Verbraucher darf von Auskunfteien eine kostenlose Selbstauskunft verlangen. Die Unternehmen müssen darin offenlegen, welche Informationen sie über die Person gespeichert haben und welche Banken, Händler und Provider in den zurückliegenden zwölf Monaten Daten angefragt haben.
Datenjournalisten des SPIEGEL und des Bayerischen Rundfunks haben die Daten exklusiv ausgewertet. In die vorliegende Auswertung flossen alle Schufa-Auskünfte ein, die von den Journalisten technisch ausgelesen werden konnten: die anonymisierten Daten von mehr als 2000 Personen. Außerdem beantworteten diese einen Fragebogen, etwa zur Zahl der Umzüge und zum Alter. Der Datensatz enthält Auskünfte bis einschließlich September 2018.

Kapitel 1: Positive Merkmale – trotzdem kein Vertrag
Die Schufa selbst gibt an: Von mehr als 90 Prozent aller Verbraucher habe sie nur positive Vertragsinformationen gespeichert, also etwa das Vorhandensein von Konten und Verträgen. „Und das ist auch gut so“, heißt es auf der Schufa-Website, denn das könne dem Verbraucher das Leben leichter machen. Für Menschen wie Sven Drewert muss das wie Hohn klingen. Denn positive Merkmale bedeuten noch lange keinen einwandfreien Score. Im Gegenteil: Von jenen Verbrauchern im Datensatz, zu denen ausschließlich positive Merkmale vorliegen, bescheinigt die Schufa jedem Achten ein „erhöhtes“ oder gar „hohes“ Risiko im Schufa-Basisscore. Ob dieses Urteil etwa auf der Zahl ihrer Girokonten basiert, oder ob vielleicht doch die zweite Kreditkarte den Ausschlag gab, erfahren die Verbraucher von der Schufa nicht.

Außerdem fällt auf: Über viele Menschen weiß die Schufa überraschend wenig. Zu fast einem Viertel der Personen im Datensatz hat die Schufa maximal drei Informationen aus dem Wirtschaftsleben gespeichert – beispielsweise die Einrichtung eines Girokontos sowie den Abschluss eines Kreditkarten- und eines Handyvertrags. Sonst verfügt sie nur über allgemeine Daten wie Adressen, Alter und Geschlecht. Und obwohl die Schufa in einigen Fällen derart wenig weiß, vergibt sie Bewertungen, die für Verbraucher zum Problem werden können.
Was das bedeuten kann, erfuhr ein 20-jähriger Angestellter, der seine Selbstauskunft dem Projekt OpenSchufa zur Verfügung gestellt hat. Ihm bescheinigt die Schufa ein „erhöhtes bis hohes Risiko“. Ihr Urteil stützt sich neben seinem Alter, Geschlecht und der Zahl seiner Adressen lediglich auf das Vorhandensein von drei Girokonten, eines davon besteht seit mehreren Jahren.
Damit ist der Mann nicht allein. Im Datensatz finden sich mehr als 20 Verbraucherinnen und Verbraucher, denen die Schufa ein „erhöhtes Risiko“ bescheinigt, obwohl ihre Finanzhistorie nicht mehr als drei Einträge umfasst – ausschließlich positive. Auch von Sven Drewert, dem wegen dieses Urteils ein höheres Kreditkartenlimit verwehrt wurde, weiß die Schufa nicht viel mehr: In seiner Selbstauskunft sind drei Girokonten verzeichnet, eines davon mit Kreditkarte. Das reicht der Schufa offenbar, um ihn zum Risikofall zu erklären.

Laut Datenschützern passiert es immer wieder, dass Auskunfteien wie der Schufa wichtige Informationen aus der Kredithistorie einer Person fehlen. Und es kommt vor, dass Unternehmen eine Bonitätsauskunft über Personen anfordern, die die Schufa nicht zu kennen glaubt – obwohl die Menschen längst im Datenbestand hinterlegt sind. Einem der beteiligten Journalisten dieser Recherche ist das vor einigen Jahren selbst passiert: Nach einem Umzug verweigerte ihm ein Provider einen Festnetzanschluss, weil die Schufa ihn angeblich nicht kannte und in der Folge einen sehr pessimistischen Score zurückspielte. Erst später stellte sich heraus: Durch den Umzug waren die Daten nicht richtig zugeordnet worden. Die Schufa selbst hat das erst auf Nachfrage bemerkt. (Lesen Sie hier die ganze Geschichte.)
In unserem Datensatz finden sich nun ähnliche Fälle: Ein Mann aus Süddeutschland will einen Handyvertrag abschließen. Der Provider erkundigt sich bei der Schufa über dessen Zahlungsmoral. Die Schufa sagt zunächst, sie kenne den Mann nicht, und übermittelt keinen Score. Offensichtlich nimmt sie die Anfrage zum Anlass, ein Profil des Mannes anzulegen. In seine Kredithistorie trägt sie ein: „Anfrage zur Bonitätsprüfung vor Abschluss eines Telekommunikations-Vertrages“. Als der Handyanbieter kurz darauf erneut anfragt, kennt die Schufa den Mann inzwischen und spielt einen Score zurück. Der Wert kann sich auf nicht viel mehr stützen als die Personendaten des Mannes und die Tatsache, dass zu ihm eine Anfrage erfolgte – der Score ist miserabel, der Vertrag kommt nicht zustande. Dabei verfügt der Mann schon länger über ein Girokonto, das der Schufa hätte bekannt sein sollen. Inzwischen taucht das Konto auch in seiner Selbstauskunft auf. Die darauf dokumentierte zeitliche Abfolge legt nahe, dass er selbst die Schufa darauf hingewiesen hat. So ironisch das klingen mag: Wenn Verbraucher in ihrem Datenauszug Lücken entdecken, sollten sie die Schufa darüber informieren.
Noch dringender gilt das für negative Informationen, sollten sie falsch sein: Meldet ein Unternehmen Zahlungsstörungen, zieht dieses Negativmerkmal jeden noch so hohen Score nach unten. Die Schufa speichert solche Einträge für mehrere Jahre – selbst dann, wenn der oder die Betroffene die Angelegenheit für längst abgeschlossen hält.
In unserem Datensatz gibt es mehrere Personen, die – verschuldet oder unverschuldet – zahlungsunfähig wurden und sich aus dieser Situation wieder herausgekämpft haben: Sie haben eine Verbraucherinsolvenz durchlaufen und bis zu sechs Jahre lang einen gesetzlich festgelegten Teil ihrer Einnahmen darauf verwendet, die angehäuften Schulden zu tilgen. Als Belohnung für diese sogenannte Wohlverhaltensperiode hat ein Richter sie von den Restschulden befreit. Das soll Menschen einen wirtschaftlichen Neustart ermöglichen – eigentlich. Bei der Schufa bleibt die Restschuldbefreiung für weitere drei Jahre gespeichert. Über die Zeit, das legen die Daten nahe, wird der Einfluss dieser Information nach und nach schwächer. Aber gerade zu Beginn ist an einen Wiedereinstieg ins gesellschaftliche Leben kaum zu denken: Mit einem Negativeintrag in der Auskunft für Vermieter findet man in einer Großstadt kaum eine neue Wohnung. Und auch die Zahl der geschäftswilligen Handyanbieter dürfte überschaubar sein.

Kapitel 2: Jung und männlich – also unzuverlässig
Es ist eigentlich falsch, von dem Schufa-Score zu sprechen. Für verschiedene Branchen wie Banken, Telekommunikationsunternehmen oder Versandhändler berechnet die Schufa unterschiedliche Werte. Und über die Jahre kamen neue Versionen dieser Branchenscores hinzu, in denen die Schufa ihre Formeln angepasst hat. Anfang 2018 waren drei verschiedene Versionen im Einsatz. Außerdem können sich Unternehmen ihren eigenen, individuellen Schufa-Score berechnen lassen. Die grundsätzliche Funktionsweise der Scores ist aber ähnlich.
Aus der Kombination ihrer gespeicherten Daten berechnet die Schufa für eine Person einen Wert zwischen 0 und 10.000 Punkten. Wie genau welches Merkmal in die Berechnung einfließt, ist geheim, die Gewichtung unterscheidet sich von Branche zu Branche und von Version zu Version. Klar ist: je höher der Wert, desto besser. In der Auskunft eines jungen Mannes aus dem Datensatz errechnet die Schufa für die Bankenbranche etwa eine Punktzahl von 9493 Punkten. Das klingt gar nicht so schlecht, doch die Schufa folgert daraus, dass seine Erfüllungswahrscheinlichkeit, also die Wahrscheinlichkeit, mit der er Zahlungen vertragsgemäß leistet, bei 93,79 Prozent liegt. In Worten bedeutet das ein „zufrieden stellendes bis erhöhtes Risiko“.
Hätte der Mann nur zwei Punkte mehr erreicht, stünde hier ein Prozentwert von 95,62 Prozent, und er hätte nur ein „geringes bis überschaubares Risiko“. Denn was viele nicht wissen: Für jede Score-Variante wird nur eine begrenzte Zahl von etwa 15 verschiedenen Erfüllungswahrscheinlichkeiten übermittelt. In diesem Fall etwa 93,79 Prozent oder 95,62 Prozent. Bewertungen dazwischen, etwa eine Wahrscheinlichkeit von 94 Prozent, gibt es nicht.

Von all dem erfährt der Verbraucher in aller Regel nichts. Die Einordnung der Schufa ist hier kompromisslos, sie zieht harte Grenzen, gibt keine statistischen Fehlerbereiche an. Kleinigkeiten können dazu führen, dass ein Verbraucher in die nächstschlechtere Kategorie abrutscht, dadurch einen teureren Kredit bekommt oder sich für ein Prepaid-Handy entscheiden muss, weil der Anbieter ihm keinen Vertrag geben will.
Doch nicht nur Informationen über Girokonten und Handyverträge können eine Rolle spielen. Besonders in älteren Score-Versionen wirken sich auch solche Merkmale auf die Schufa-Bewertung aus, die sich gar nicht beeinflussen lassen: Ein 25-jähriger Mann muss mit einer anderen Behandlung rechnen als eine 65-jährige Frau.
Ablesen lässt sich das am sogenannten „Risiko in den Datenarten“, das in den Schufa-Auskünften ausgewiesen wird. Unter „Allgemeine Daten“ bewertet die Schufa das Risiko der Verbraucher basierend auf Informationen wie dem Geburtsdatum, dem Geschlecht und der Zahl der gespeicherten Adressen. Wer hier Minuszeichen in seiner Auskunft hat, dem bescheinigt die Schufa in dieser Kategorie ein „überdurchschnittliches Risiko“. Im Datensatz werden hier zum Beispiel jüngere Menschen häufiger schlecht bewertet als ältere, und das mit ansonsten ähnlichen Merkmalen. Weiter fällt auf, dass in dieser Kategorie bei Männern im Vergleich zu Frauen häufiger Minuszeichen zu finden sind. Bei jungen Männern ist das im Datensatz besonders häufig der Fall.

Und die Daten deuten außerdem darauf hin, dass sich auch viele Umzüge negativ auf die Bewertung auswirken. Dennoch: Selbst mit den mehr als 2000 uns zur Verfügung stehenden Auskünften lässt sich nicht abschließend sagen, wie genau die Faktoren auf den jeweiligen Score wirken und ob die Schufa diese einzeln in die Berechnung eingehen lässt oder sie kombiniert.
Dass Alter und Geschlecht überhaupt in den Score einfließen, ist übrigens nicht verboten – solange es tatsächlich statistisch nachweisbare Unterschiede gibt. Die Schufa betont, nur solche Informationen zu verwenden, die nach dem Gesetz für die Berechnung von Kreditscores zulässig sind. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das Verbraucher vor Benachteiligung aufgrund von Alter und Geschlecht schützen soll, greift bei Auskunfteien nicht.

Kapitel 3: Vertrag oder nicht – kommt auf die Version an
Immerhin: In bestimmte Branchenscores fließen die Angaben zu Alter und Geschlecht inzwischen nicht mehr ein. Die jüngste Generation der Schufa-Scores, „Version 3.0“, wurde 2017 eingeführt und berücksichtigt für manche Branchen nur noch Angaben aus dem Wirtschaftsleben eines Verbrauchers. Die neue Version biete exaktere Voraussagen, schreibt die Schufa auf ihrer Website.
Doch die Datenauswertung zeigt: Viele Firmen nutzen die angeblich genaueren Prognosen offenbar noch gar nicht. In den vorliegenden Daten haben Unternehmen im Jahr 2018 mehrheitlich alte Score-Versionen angefragt. Noch können sie Scores der Version 2 abrufen, deren Formeln inzwischen seit zehn Jahren im Einsatz sind. Bis Juni dieses Jahres kam sogar noch die Version 1 zum Einsatz, die die Schufa 2001 eingeführt hatte.

Das ist für Verbraucher nicht per se von Nachteil. Die Datenauswertung zeigt: Einige Verbraucher haben in alten Score-Versionen eine bessere Bewertung als in der neuen Version 3. Es geht aber auch genau andersherum: Ein Carsharing-Anbieter etwa fragte für seine Kunden stets einen alten Score der Handelsbranche an. Im extremsten Fall bekam das Unternehmen die Information, dass der Verbraucher ein „sehr hohes Risiko“ darstelle, obwohl die neueste Score-Version nur noch ein „geringes bis überschaubares Risiko“ sieht.
Auch beim Banken-Score gibt es diese Unterschiede. Welche Score-Version eine Bank konkret verwendet, ist für Verbraucher vor Abschluss eines Geschäfts aber nicht ersichtlich. Wie stark sich die Berechnungsmethoden unterscheiden, zeigt sich, wenn man die verschiedenen Versionen des Banken-Scores aller Personen im Datensatz nebeneinanderlegt: In der folgenden Grafik verbindet jede Linie die Erfüllungswahrscheinlichkeiten ein und derselben Person miteinander – links der Banken-Score nach Version 2, rechts in der aktuellen Version 3.

Die Schufa und ihre Kunden weisen stets darauf hin, dass der von ihr übermittelte Score nur ein Entscheidungskriterium von vielen ist, wenn es etwa darum geht, einen Kredit zu vergeben. Unternehmen haben auch die Möglichkeit, die von der Schufa gespeicherten Positiv- und Negativmerkmale direkt zu verwenden. Und oft kennt eine Bank die Person ohnehin schon länger und weiß etwa, wie viel Gehalt jeden Monat auf ihrem Konto eingeht.
Banken-Insider, die anonym bleiben wollen, bestätigen aber, dass allein ein zu niedriger Schufa-Score schon dazu führen kann, dass die Bank einen Kredit ablehnt. Auch im Fall des USA-Reisenden Sven Drewert bezog sich die Bank auf dessen Schufa-Score, als sie ihm das höhere Kreditkartenlimit verwehrte.
Wir haben der Schufa die Erkenntnisse unserer Auswertung vorgelegt und sie um eine Stellungnahme gebeten. Wir fragten nach den verschiedenen Score-Versionen und nach den Auswirkungen von Alter und Geschlecht auf den Score. Wir wollten wissen, warum auch Menschen ohne Negativmerkmale schlechte Bewertungen bekommen und mit welcher Unsicherheit Scores behaftet sind, die sich nur auf wenige Informationen stützen. Die Schufa antwortete zwar in einem neunseitigen Schreiben, möchte aber nicht, dass wir daraus zitieren oder den Inhalt sinngemäß wiedergeben.

Kapitel 4: Ein besseres Scoring ist möglich!
Verbraucher- und Datenschützer fordern von der Schufa und anderen Auskunfteien seit Jahren mehr Transparenz. „Scoring-Anbieter sollen den Verbrauchern die für sie wesentlichen Merkmale, auf deren Basis sie gescort werden, sowie möglichst auch deren Gewichtung, auf verständliche und nachvollziehbare Weise offenlegen“, heißt es im jüngst veröffentlichten Gutachten des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen, einem Beratungsgremium des Bundesjustizministeriums. Allerdings dürften Geschäftsgeheimnisse dadurch nicht verletzt werden.
Gerd Gigerenzer ist Mitautor des Gutachtens. Auskunfteien erfüllten eine wichtige Funktion, meint der renommierte Wissenschaftler. Aber er sagt auch: „Es ist an der Zeit, dass wir die Interessen der Verbraucher über die Geschäftsinteressen der Auskunfteien stellen.“ Er wünsche sich, „dass Verbraucher das Recht bekommen, zu verstehen, wie ihr Wert zustande kommt.“ Dieses Recht hätten Verbraucher noch nicht.
Die Schufa reagierte auf die Rufe nach mehr Transparenz stets gleich: mit Abwehr. Inzwischen erfahren Verbraucher sogar noch weniger als früher, wenn sie eine kostenlose Selbstauskunft bestellen: Als im Mai 2018 die EU-Datenschutzgrundverordnung in Kraft trat, nahm die Schufa die neuen Regeln offensichtlich zum Anlass, die kostenlose Selbstauskunft auf das Nötigste zusammenzustreichen. Wer seine aktuellen Branchenscore-Werte erfahren will, muss seitdem zahlen.
Wie ein besser erklärtes Scoring aussehen könnte, zeigt ein Beispiel aus den USA. Die dortige Auskunftei Fico erläutert Verbrauchern in einer Broschüre, wie der sogenannte Fico Score funktioniert. „Wie Sie Ihre Rechnungen bezahlt haben, ist ein sehr wichtiger Faktor des Fico-Scores“, heißt es dort zum Beispiel. Der Punkt „Zahlungshistorie“ macht demnach 35 Prozent des Fico-Scores aus. Und der Verbraucher erfährt, dass auch eingeht, wie lange die verpasste Zahlung her und wie groß der fällige Betrag gewesen ist.
Zum Vergleich: Die Schufa teilt Verbrauchern etwa mit, dass „Informationen über unbestrittene, fällige und mehrfach angemahnte oder titulierte Forderungen“ verarbeitet werden. Aber mit welchem Gewicht diese Information in welche Scorevariante einfließt, bleibt unklar. Anschauliche Grafiken? Alltagsnahe Sprache? Fehlen ebenso.
*Name geändert
Der Schufa-Mitbewerber Arvato gehört zum Bertelsmann-Konzern. Dessen Tochter, der Zeitschriftenverlag Gruner + Jahr ist mit 25,5 Prozent am SPIEGEL-Verlag beteiligt. Zudem gehört die Bertelsmann-Stiftung zu den finanziellen Unterstützern der Organisation AlgorithmWatch, die das Projekt OpenSchufa mitverantwortet. Der SPIEGEL berichtet ungeachtet dessen redaktionell unabhängig.