Bestellung auf Rechnung Wie Kunden beim Onlinekauf durchleuchtet werden

Onlinehändler Amazon
Foto: Sebastian Gollnow/ dpaWer im Onlineshop auf "Zur Kasse" klickt, denkt vielleicht noch an die altmodische Registrierkasse im Ladengeschäft. Tasten werden gedrückt, Barcodes eingescannt, die Ware geht über den Tresen. In Wahrheit gleicht das Bezahlen im Internet eher der Sicherheitskontrolle am Flughafen. Der Warenkorb wird durchleuchtet und die Kunden müssen ihr Finanzleben offenlegen, das alles in wenigen Millisekunden und ohne dass der Nutzer es mitbekommt. So kann es passieren, dass ein Kunde nicht auf Rechnung bestellen darf oder sogar die gesamte Order storniert wird.
Onlinekunden können dem Verfahren kaum entkommen. Von den 30 größten Onlineshops in Deutschland behalten sich 27 eine solche Bonitätsprüfung vor, wie eine SPIEGEL-Analyse der Datenschutzerklärungen zeigt. Nutzer müssen damit rechnen, dass etwa ihr Name und Anschrift an eine Auskunftei wie die Schufa, Creditreform oder Infoscore übermittelt werden.
So gängig die Praxis ist, so ungern sprechen die Shops darüber. Der größte Onlinehändler in Deutschland, Amazon, verweist auf Anfrage schmallippig auf seine Datenschutzerklärung. Dort heißt es allgemein, Amazon erhalte "Auskünfte bezüglich der Kreditgeschichte von Kreditauskunfteien". Darüber hinaus gehende Fragen beantwortet der Konzern nicht. Der Elektronikhändler Notebooksbilliger.de schreibt ablehnend, man sei mit mehreren Aktionen beschäftigt und könne sich deshalb zu den Fragen "leider nicht äußern".
So prüfen Händler
Andere Händler sind offener - wollen sich allerdings nur anonym äußern. Ihre Aussagen zeigen, was passiert, wenn ein Kunde zur digitalen Kasse geht. "Will ein Neukunde auf Rechnung zahlen, wird standardmäßig die Bonität überprüft", sagt der Sprecher eines deutschen Onlinehändlers. Gängig scheint dabei ein mehrstufiges Verfahren zu sein.
Erstens holt sich der Versandhändler einen sogenannten Score von einer Auskunftei wie der Schufa. Diese Unternehmen sammeln Finanzdaten zu Verbrauchern. Hat jemand mal eine Rechnung nicht bezahlt? Wie viele Girokonten hat eine Kundin? Aber auch Merkmale, die jemand gar nicht oder nur schwer beeinflussen kann, können einfließen, etwa das Geschlecht, das Alter und die Wohnadresse. Daraus wird berechnet, wie wahrscheinlich es ist, dass jemand eine Rechnung bezahlt. (Lesen Sie hier mehr dazu, wie die "Blackbox Schufa" funktioniert.)
Zweitens fügt der Händler diesen Scores eigene Analysen und Regeln hinzu. Eine Rolle kann zum Beispiel spielen, ob Kleidung oder Elektronik bestellt wird, wie hoch der Rechnungsbetrag ist oder ob ein Kunde noch offene Rechnungen hat. Zudem suchen manche Firmen nach verdächtigen Bestellungen, die sich stark von anderen Nutzern unterscheiden.
Mit all diesen Daten entscheidet ein Computer in kürzester Zeit, ob jemand auf Rechnung bestellen darf oder nicht. "Das läuft alles vollautomatisch im Hintergrund, bei der Vielzahl der Bestellungen ist es händisch nicht mehr möglich", sagt der Sprecher. Im Extremfall könne es passieren, dass eine Bestellung ganz abgelehnt wird. "Das wird aber von einem Mitarbeiter vorher geprüft."
Einen solchen Fall erlebte im vergangenen Jahr eine Kölnerin. Wie der "Kölner Express" berichtete , hatte die Frau vier Hosen beim Onlineshop von H&M bestellt, die aber nicht geliefert wurden. Das Problem: Die Frau wohnte in der falschen Straße. "Aufgrund wiederholter Betrugsfälle und laufender Inkassoverfahren kommt es hin und wieder zu Sperrungen vereinzelter Hausnummern. Ganze Straßenzüge sind allerdings eine Ausnahme", sagte damals eine Unternehmenssprecherin. H&M hat die Aussagen auf SPIEGEL-Anfrage noch einmal bestätigt.
"Leider beobachten wir regionale Häufungen von Betrugsfällen", sagt der Sprecher eines anderen Unternehmens. Das Problem ist nicht auf Köln begrenzt, auch in Berlin gibt es Straßen, die von einzelnen Versandhändlern nicht mehr beliefert werden.
Die Händler stecken in einem Dilemma: Einerseits ist der Kauf auf Rechnung die beliebteste Zahlungsmethode in Deutschland. Andererseits ist die Zahl der registrierten Fälle, in denen Ware bestellt, aber nie bezahlt wurde, in den vergangenen Jahren stark angestiegen - von 2010 bis 2017 laut Bundeskriminalamt um 58 Prozent. Teilweise werden Pakete im Hauseingang abgefangen, sodass auch Vorkasse keine absolute Sicherheit bietet.
Doch es erwischt eben auch Unschuldige, wie die Frau aus Köln. Sie hatte ja nicht selbst betrogen, sondern wohnte lediglich in einer Gegend mit Betrugsfällen. Auch Auskunfteien bewerten Verbraucher teilweise auf Basis ihrer Nachbarschaft, Datenschützer haben diese Praxis wiederholt als "Sippenhaft" kritisiert. Und die Schufa bewertet Verbraucher mitunter selbst dann schlecht, wenn über sie ausschließlich positive Informationen vorliegen, wie eine Recherche des Bayrischen Rundfunks und des SPIEGEL ergeben hat.
Dazu kommt, dass die Nutzer an der Onlinekasse weder erfahren, ob sie gescort werden, noch mit welchem Ergebnis - teilweise verbieten Datenschutzgesetze, dass die Händler solche Informationen anzeigen. Wer es wissen will, dem bleibt nur eins: Er muss bei den Auskunfteien eine kostenlose Selbstauskunft anfordern. (Wie das geht lesen Sie hier.)
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