Supermarkt-Razzien Die Dumping-Tricks der Discounter

Netto-Markt in Oldenburg: Trickreiches Lohndumping bei Discountern
Foto: ASSOCIATED PRESSHamburg - Die Razzia bei Kaufland und Netto war ungewöhnlich groß: Drei Staatsanwaltschaften hatten sich abgesprochen und 60 Durchsuchungsbeschlüsse ausgestellt - fünf Zollämter schickten in einer sauber koordinierten Aktion 450 Fahnder der Finanzkontrolle Schwarzarbeit in Logistikzentren, Büros und Privaträume der beiden Discounter-Ketten und zahlreicher Subunternehmen in fünf Bundesländern. Die Ermittler beschlagnahmten nicht nur Akten und Computer, sie befragten auch Mitarbeiter - denn der Verdacht, den die Staatsanwaltschaften hegen, lässt sich mit Unterlagen nicht unbedingt beweisen.
Es geht um Lohndumping durch sogenannte Werkverträge, die immer häufiger die Leiharbeit ersetzen. Der Trick ist simpel: Die Discounter übertragen einfache Tätigkeiten in ihren Lagern, wie das Packen von Paletten, auf Subunternehmen. Der Vorteil: Die Handelsunternehmen zahlen pauschal pro fertig gepackter Palette, also pro Werk, daher die Bezeichnung Werkvertrag. Die Lagerarbeiter, Kommissionierer oder Staplerfahrer arbeiten für die Subunternehmen und nicht für die Einzelhändler - Netto, Rewe, Kaufland und Co. müssen also nur die Werkpauschale zahlen und nicht etwa die wesentlich höheren Tariflöhne im Einzelhandel oder die Mindestlöhne für Leiharbeiter. Diese Praxis ist zwar von Gewerkschaften und Teilen der Politik nicht gerne gesehen, aber legal.
Bei den aktuellen Razzien geht es um die Frage, ob Netto, Kaufland und deren Subunternehmer die Werkverträge genutzt haben, um Löhne zu drücken und in der Folge Sozialversicherungsbeiträge zu hinterziehen. Deshalb mussten die Fahnder auch Beschäftigte in den Verteilzentren befragen: Wenn die Arbeiter ihre Anweisungen direkt von Netto- oder Kaufland-Beschäftigten bekommen, dann würde es sich um Scheinwerkverträge handeln. Die Fahnder sichten jetzt das beschlagnahmte Material - Ergebnisse dürften erst in einigen Monaten vorliegen.
Kaufland und Netto haben die Vorwürfe zurückgewiesen. Nach eigenen Angaben unterstützen sie die Ermittler und gewähren Einblicke in alle Dokumente. Kaufland verweist auf Nachfrage darauf, dass der interne Mindestlohn von 8,50 Euro, den das Unternehmen im vergangenen Frühjahr eingeführt hat, auch für die 950 Mitarbeiter von Werkvertragsunternehmern gelte. Warum Kaufland dann nicht lieber Leiharbeiter beschäftigt, bleibt allerdings unklar. Eine Möglichkeit: Bei Werkverträgen muss der Betriebsrat die Einstellung neuer Mitarbeiter nicht genehmigen.
Der große Umfang der Ermittlungen zeigt, dass die Probleme mit Werkverträgen zunehmen - auch als unerwünschte Folge des gesetzlichen Mindestlohns in der Leiharbeit, der seit 1. Januar 2012 gilt, sagt der Einzelhandelsexperte von ver.di, Rainer Kuschewski: "Die Arbeitgeberverbände der Zeitarbeit hatten angekündigt, dass die Zahl der Leiharbeiter auf eine Million steigen wird. Das ist deshalb nicht erreicht worden, weil immer mehr einfache Aufgaben mit Werkverträgen ausgelagert werden." Die Zeitarbeitsfirmen hätten das Schlupfloch Werkverträge schnell genutzt, sagt Kuschewski: "Viele Verleihfirmen haben sich mit Werkverträgen ein zweites Standbein geschaffen - so müssen sie nicht der Tarifvereinbarung für die Leiharbeit folgen."
Zahlreiche Firmen wurden gegründet, die dieselbe Dienstleistung anbieten wie vorher, nur billiger. Damit die Politik das Lohndumping nicht unterbindet, gründeten die Unternehmen sogar den Verband Instore und Logistik Services e.V. und handelten mit der umstrittenen christlichen Mini-Gewerkschaft DHV einen Tariflohn von 6 Euro im Osten und 6,50 Euro im Westen aus.
Der Einzelhandelsverband HDE sieht diesen "Trend zum Outsourcing" an Werkvertragsunternehmen gelassen. Auf Anfrage heißt es: "Dies ist in einer arbeitsteiligen Wirtschaft ein normaler Vorgang und führt - wegen der Spezialisierung der Werkunternehmer - zu Effizienzgewinnen. Dies ist auch ein sinnvoller Vorgang, weil sich das Unternehmen damit auf sein Kerngeschäft konzentrieren kann." Die Werkvertragsunternehmen würden zudem nur in den großen Logistikzentren eingesetzt. Die Arbeit dort sei nicht die Kernkompetenz von Einzelhandelsunternehmen.
Genau das aber stimmt nicht, sagt ver.di-Experte Kuschewski: "Bei Rewe oder Real zum Beispiel werden auch in den Filialen die Regale auf Werkvertragsbasis eingeräumt. Das ist schlicht billiger, als Leiharbeiter einzusetzen." Real hat das sogar offiziell bestätigt. Der HDE sieht trotzdem keinen Grund, die neue Praxis zu kritisieren. Heikel ist in diesem Zusammenhang, dass der HDE-Vizepräsident Markus Mosa gleichzeitig Chef der Einzelhandelsgruppe Edeka ist - zu der auch die derzeit beschuldigte Discounter-Kette Netto gehört.