Hermann-Josef Tenhagen

Digitale Revolution Wie Versicherungskunden Milliarden sparen können

Die Digitalisierung hilft Versicherungsnehmern beim Sparen. Sie können Angebote besser vergleichen als je zuvor. Doch auch Anbieter gelangen besser an Informationen - oft zum Nachteil der Kunden.
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Micha Kirsten / Finanztip

Hermann-Josef Tenhagen, Jahrgang 1963, ist Chefredakteur von »Finanztip« und Geschäftsführer der Finanztip Verbraucherinformation GmbH. Der Geldratgeber ist Teil der Finanztip Stiftung. »Finanztip«  refinanziert sich über sogenannte Affiliate-Links, nach deren Anklicken »Finanztip« bei entsprechenden Vertragsabschlüssen des Kunden, etwa nach Nutzung eines Vergleichsrechners, Provisionen erhält. Mehr dazu hier .

Tenhagen hat zuvor als Chefredakteur 15 Jahre lang die Zeitschrift »Finanztest« geführt. Nach seinem Studium der Politik und Volkswirtschaft begann er seine journalistische Karriere bei der »Tageszeitung«. Dort ist er heute ehrenamtlicher Aufsichtsrat der Genossenschaft. Auf SPIEGEL.de schreibt Tenhagen wöchentlich über den richtigen Umgang mit dem eigenen Geld.

Google ist ziemlich stolz. In einer aktuellen Studie zeigt die Hamburger Dependance der Datenkönige, dass die deutschen Sachversicherer mit 18 Milliarden Euro von der Digitalisierung profitieren könnten. Sachversicherer, das sind die Unternehmen, die Ihr Auto versichern, Ihr Haus, Ihren Hausrat und auch Ihr Recht.

18 Milliarden, das wäre eine Stange Geld. 14 Milliarden davon kämen durch Einsparungen zustande, rechnet Google vor, weitere vier Milliarden Euro wären mehr an Umsätzen drin.

Doch wieso sollen nur die Unternehmen profitieren? Schließlich organisieren Versicherer doch im Wesentlichen das Kollektiv der Versicherten, das dann am Ende die Rechnung zahlt. Profitieren müssten am Ende deshalb eigentlich die Kunden der Versicherer. Sie müssten einen Großteil der 18 Milliarden auf ihren Konten verbuchen, oder doch wenigstens bessere Leistungen für ihr Geld erhalten.

Wenn man sich anschaut, wo Google die Milliarden in der Sachversicherung gefunden hat und wie der Konzern die Zukunft sieht, kann man den Kunden nur sagen: Holt sie euch jetzt! Wartet nicht auf die Versicherer.

Google stellt sich die Zukunft so vor, dass sich Versicherer ihre "Kunden intelligent auswählen" wie es in der Studie heißt. Aber warum sollte es nicht genau andersherum sein: Warum sollten nicht die Kunden genauer vergleichen und sich ihrerseits den richtigen Versicherer auswählen? Von sich aus werden die Versicherer kaum etwas von den Milliarden herausrücken, die sie künftig sparen. Etliche digitale Projekte in der Versicherungsbranche helfen den Kunden schon heute beim Sparen.

Einige Hundert Euro Ersparnis

Die beste Waffe der Kunden auf dem Weg zu den digitalen Milliarden ist der Versicherungsvergleich. Der ist digital viel einfacher als früher. Und Virtuosität bei der Nutzung der verschiedensten Vergleichsportale zahlt sich schon jetzt aus.

Zum Jahresende kann man beim Vergleich der Autoversicherungen feststellen, dass die teuerste Police mehr als doppelt so teuer ist wie die preiswerteste. Die richtige Wahl bringt für den normalen Haushalt einige Hundert Euro Ersparnis.

Noch mehr Geld ist drin, wenn man den eigenen Schutz maßschneidert, bevor man die preiswerteste Versicherung sucht . Nicht jeder will den Kegelklub das eigene Auto mitnutzen lassen oder fährt 20.000 Kilometer im Jahr. Ganz abgesehen von der monatlichen oder vierteljährlichen Zahlungsweise, die sollte sich jeder sparen.

Oder nehmen wir das Beispiel Rechtsschutz. Ganz neu: Die Arag Rechtsschutz Sofort ermöglicht den Erwerb von Verkehrsrechtsschutz, nachdem die rote Ampel überfahren und der Führerschein in Gefahr ist. Der Versicherer prüft den Antrag binnen Stunden (das Smartphone hilft), kann sich eine Meinung über die Erfolgsaussichten bilden und - falls er überzeugt ist - sofort Deckung zusagen. Win-win sozusagen. Mehr Geschäft für den Branchenführer, und der Kunde fühlt sich gut vertreten. Gute Idee, aber günstiger sind beim Verkehrsrechtsschutz nach wie vor ganz andere Anbieter .

Oder bei der Hausratversicherung und Gebäudeversicherung. Die Provinzial Nord (Marktführer im feuchten und windigen Norddeutschland) will ab 2017 ein "Digitales Notfallmanagement SmartHome" anbieten mit subventionierter Alarmanlage gegen Einbrüche, Rauchmeldern und Wasserschadenwarnung - auf Wunsch mit angeschlossenem Klempner. Die immer häufiger werdenden Leitungswasserschäden sind für die Versicherer besonders teuer.

Rechnen soll sich das Ganze für die Provinzial, indem das Ausmaß der Schäden durch den neuen Service kleingehalten wird. Vor allem Großschäden sollen so vermieden werden. Das ist auch gut für den Kunden: Keiner will die Wohnung unter Wasser stehen haben. Auch hier gilt allerdings: Kunden sollten erst mal die Preise vergleichen. Auch beim Hausrat sind die Unterschiede enorm .

Am schönsten wird das Prinzip der digitalen Markterschließung allerdings woanders deutlich: bei der Zahn-App. Mit Meine Zahn-App des Versicherers Ergo kann man schon heute Preise von Zahnärzten aus der Region für dieselbe Leistung vergleichen, so ähnlich wie My Hammer, nur dass am Ende der Auswahl, wenn man will, ein Krankenversicherer steht, der schon aus Eigeninteresse eine ordentliche Ausführung der Zahnreparatur im Auge hat. Einige Hundert Euro Ersparnis sind bei manchen Zahnbehandlungen drin. Das Schöne in diesem Fall: Man muss nicht einmal Kunde der Ergo sein, um deren App zu nutzen.

Die Versicherer wählen sich ihre Kunden rigoros aus

So weit, so schön. Es gibt allerdings einen Aspekt in Googles Zukunftsprojektion, der die Kunden vor Probleme stellt. Wenn sich die Versicherer künftig ihre "Kunden intelligent auswählen" können, dann heißt das auch, dass die Versicherer all das noch besser vermeiden können, was man im Branchenjargon "schlechte Risiken" nennt.

Eigentlich soll die Versicherung den Kunden schützen, indem sie aus vielen Kunden ein Kollektiv bildet. Wenn sich viele Kunden zusammentun und gemeinsam Geld zurücklegen, dann können sie die wenigen auffangen, die einen allein unbezahlbaren Schaden erleiden. So das Prinzip.

Die Digitalisierung aber ermöglicht es den Versicherern, die Schadenswahrscheinlichkeiten bei vielen Kunden deutlich besser einzuschätzen und eine rigorose Risikoauswahl und damit eine Auslese von Kunden zu betreiben. Die Folge: Wer als Versicherungskunde ein besonders schlechtes Risikoprofil hat, könnte künftig große Schwierigkeiten haben, seine Versicherung noch zu finanzieren. Oder überhaupt eine Police zu bekommen. Das ist ganz sicher nicht im Sinne des Kollektivs der Versicherten.

Ohne den Kollektivgedanken aber ist die Idee der Versicherung am Ende. Vieles spricht dafür, dass hier der Gesetzgeber flankierend eingreifen und dafür sorgen muss, dass Versicherungen, die gebraucht werden, auch bezahlt werden können. Ganz egal, was auf uns zukommt: Wir Kunden sollten darauf achten, dass der größte Teil der Digitalmilliarden bei uns bleibt.


Offenlegung des Autors: Ich sitze in der Jury für den Digitalen Leuchtturm in der Versicherungswirtschaft, der einmal im Jahr von Google und "Süddeutscher Zeitung" vergeben wird. Prämiert werden spannende und potenziell besonders relevante Digitalisierungskonzepte aus der Versicherungswirtschaft.

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