Warteschleife "Wo du wolle?"

Taxistand: "Sie können mir den Weg aber schon beschreiben?"
Foto: dapdZweimal in der Woche nehme ich an der deutschen Taxilotterie teil. Jedes Mal, wenn ich in eines dieser cremefarbenen Autos steige, dann rollt die Kugel. Man weiß nie, was einen erwartet.
Eigentlich sollte eine Taxitour keinerlei Überraschungen bergen, sondern folgendermaßen ablaufen: Man steigt in eine Mercedes E-Klasse, deklariert sein Ziel und wird zügig hingebracht. Stattdessen ist Taxifahren ein Vabanquespiel, bei dem man eigentlich nur verlieren kann.
Als ich am Hamburger Bahnhof den Wagen am Anfang der Schlange sehe, möchte ich am liebsten kehrt machen. Der 20 Jahre alte Mercedes hat mehrere Rostflecken von der Größe eines Platztellers, ferner unzählige Schrammen, die beredt Zeugnis vom nonchalanten Fahrstil seines Besitzers ablegen.
Die Frau, die sich nach mehrmaligem Scheibenklopfen aus dem Benz quält, muss an die siebzig sein. Sie trägt abgeschnittene Jeans und einen arg angeschmuddelten Biedermeier-Strohhut. Mein Fahrziel ist ihr unbekannt. "Sie können mir den Weg aber schon beschreiben?", fragt sie vorwurfsvoll.
Ortskundig wie ein betrunkener Tourist
Ich könnte, aber eigentlich will ich nicht. Genausowenig wie ich meinem Gärtner erklären möchte, wie der Rasen zu mähen ist, will ich für eine Taxifahrerin namens Gerda (das steht auf ihrer Plakette) den Fremdenführer spielen.
Gerda beginnt gen Osten zu fahren, obwohl wir zum westlichen Stadtrand wollen. Deshalb tue ich Ihr dann doch den Gefallen und gebe hilfreiche Tipps wie "nach Pinneberg geht es da lang". An der Autobahnauffahrt ist sie unsicher, ob wir die Nord- oder die Südrichtung nehmen sollten. "Wo würden Sie denn jetzt?"
Irgendwann einmal lautete das Taxi-Produktversprechen: Du musst nicht mit der ungewaschenen Plebs in der U-Bahn sitzen. Stattdessen kaufst du dir eine halbe Stunde gepflegte, klimatisierte Ruhe. Heute bin ich froh, wenn Taxifahrer und Gefährt nicht genauso schmuddelig sind wie die Tram zum Oktoberfest.
In den vergangen Wochen erlebte ich:
- einen Chauffeur, der zunächst mehrere leere Bierflaschen aus dem Hinterraum entfernen musste.
- einen, der sich vor dem Aussteigen erstmal die offene Hose zugürtete.
- einen, der darum bat, die Gepäckstücke mit in den Fond zu nehmen, er habe "hinten Sperrmüll drin".
- einen, der Rahlstedt nicht kannte - Hamburgs größten Stadteil.
Fernerhin allerlei verranzte Fahrzeuge - rostig, schmuddlig, nach kaltem Rauch stinkend. Und immer weniger Taxis sind Oberklasse-Limousinen. Aus unerfindlichen Gründen bevorzugen viele Taxler neuerdings die Familienkutsche VW Touran. Dessen Fond ist jedoch für Sechsjährige konzipiert, sodass man sitzt wie auf dem Schleifstein.
Gerda ruckelt inzwischen die Kieler Straße hinunter. Ich versuche, diese Horrorfahrt positiv zu sehen. Wenigstens, denke ich, sülzt sie mich nicht voll. Doch dann erspäht sie im Fahrzeug neben uns eine vermutlich aus der Türkei stammende Frau mit Kopftuch.
Am Airport stehen nur Galgenvögel
Bevor ich Gerda bremsen kann, beginnt sie, mir ihre Meinung über die Defizite bundesdeutscher Integrationspolitik darzulegen. Ein interessantes Thema - aber nicht, wenn es mir von jemandem aufbereitet wird, der seine Kenntnisse ausschließlich aus der Boulevardpresse hat. Überhaupt: Wer nicht einmal die vier Himmelsrichtungen auseinanderhalten kann, sollte beim Thema Migration lieber die Klappe halten.
Ich bin natürlich selber schuld. Warum hatte ich keinen Wagen vorbestellt? Der größte Seuchenherd des Taxi-Biotops, man weiß das, sind Flughäfen und Bahnhöfe. Mit Taxlern ist es nämlich so: Es gibt Top-Leute, gutes Mittelmaß und Fischfutter. Die besseren Fahrer arbeiten entweder bei großen Unternehmen wie Hansataxi oder sie haben einen festen Kundenstamm. Am Airport stehen häufig nur jene Galgenvögel, die anderswo keine Fuhre bekommen.
Der ADAC fordert deshalb seit Jahren Servicestandards, bisher ohne Erfolg. Als die Stadt Berlin am Flughafen Tegel vor zwei Jahren Qualitätskontrollen durchsetzen wollte, rebellierten die Fahrer.
Deshalb gilt nach wie vor: Orts- und Sprachkenntnisse ("Wo du wolle?") sind ebenso Glücksache wie Sauberkeit und Manieren.
Es gibt noch Hoffnung
Und das Problem wird von Jahr zu Jahr drängender. Gerda ist dafür der beste Beweis. Als sie zum zweiten Mal binnen Minuten falsch abbiegt, frage ich: "Sie fahren wohl noch nicht so lange, was?"
"Doch, seit Jahrzehnten", entgegnet sie. "Aber heute habe ich sehr lange in einem Roman gelesen." Ich müsste jetzt wohl nachhaken, inwiefern die Lektüre von Konsalik das Fahrverhalten beeinträchtigt - oder ob "Roman" vielleicht Taxlercode für Weizenkorn ist. Aber ich lasse es lieber.
Es gibt ein bisschen Hoffnung, dass irgendwann alles besser wird. Denn seit Kurzem gibt es Mobiltelefon-Apps wie MyTaxi. Mit ihnen darf man Taxler bewerten. Bevor man einen Wagen bestellt, kann man sich zudem ein Foto des Fahrers und sein Durchschnittsrating angucken.
Bei Gerda hätte ich das Rating gar nicht gebraucht, das Foto hätte gereicht. Fahrern mit Hut ist einfach nicht zu trauen.
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