Werbung beim Wort genommen Probefahrt? Rallye!

Verschmutztes Fahrzeug: "Ich glaube, ich drehe durch"
Es war ein Sonntag, das weiß ich noch ganz genau. Den "Tatort " hatte ich gerade noch geschafft, danach war ich wie immer eingenickt. Der übliche Dämmerzustand auf dem Sofa also, an einem Sonntagabend nach einer langen Woche. Als ich wieder aufwachte, war ich irgendwie im Privatfernsehen gelandet. Werbung, ich wollte gerade umschalten, als ich diese witzige Geschichte sah.
Es geht um den neuen Ford Focus, der Konkurrent vom VW Golf. Ein Autoverkäufer nimmt winkend Abschied von einer jungen, brünetten Frau, die in dem Neuwagen zu einer Probefahrt startet. Das klingt noch nicht richtig spannend, aber was die Fahrerin dann mit dem brandneuen Ford Focus anstellt, hat man im Zusammenhang mit einer Probefahrt noch nicht gesehen: Sie rast Waldwege rauf und runter, Matsch und Dreck fliegen durch die Luft und auf den Neuwagen, die Probefahrt wird zur Rallye, die Gänge krachen, die Reifen rutschen, die Kiste röhrt.
Im Gegenschnitt trinkt der Autoverkäufer ahnungslos einen Kaffee und putzt einen klitzekleinen Fleck von der Haube eines Ausstellungsfahrzeugs. Mit einem völlig verdreckten Neuwagen rast die Rallyefahrerin zurück zum Autohändler. Der Anzugträger wischt irritiert über die Motorhaube, schaut ziemlich blöd aus der Wäsche, bewahrt aber Fassung: Der Kunde ist eben König.
Die Frau am Steuer wird übrigens als "Claudia K., Rallyefahrerin" vorgestellt. Alle Probefahrten sind gleich, behauptet Ford.
Wirklich? Kann man bei der Fahrt mit einem geliehenen Neuwagen im Wert von damals 28.000 Mark so viel Spaß haben, ohne lästige Rücksicht auf den Zustand des Fahrzeugs? Ist der Autohändler als Besitzer des Probewagens stillschweigend damit einverstanden? Die Idee lässt mich nicht mehr los: Was passiert, wenn man diese Werbung beim Wort nimmt? Kostet nichts und könnte durchaus das eigene Leben bereichern. Ein Abenteuer des Alltags.
Eine Woche später, an einem Montagnachmittag, stehe ich zum ersten Mal in meinem Leben in den Verkaufsräumen eines Ford-Händlers in meiner Heimatstadt Bremen. Ford, bisher nicht meine Marke, gilt zur Jahrtausendwende als besonders dröge. Was soll man schon von einem Auto halten, das als Markensymbol eine Pflaume auf dem Kühlergrill trägt?
Egal, denn beim neuen Ford Focus ist laut Werbung alles anders, außerdem verfolge ich ja ohnehin eigene Ziele, die ich natürlich nicht vorher verrate. Zwei-Liter-Maschine, 145 PS - das sollte reichen. Selbstverständlich blitzsauber - umso besser. Der Verkäufer - grünes Polohemd, schwarze Stoffhose - gibt sich alle Mühe, mir die Vorzüge eines Ford Focus zu erklären. Ein ganz neuer Maßstab in der Kompaktklasse, technisch ausgereift und ein Spitzenprodukt. Ich höre kaum zu. Wann kann ich endlich losbrausen?
"Der sieht ja prima aus. Richtig schön sauber", lobe ich. Kopie vom Personalausweis, Unterschrift unter der Erklärung für die Versicherung - dann endlich gehört der grüne, dreitürige Focus eine Stunde lang mir. Ich rolle vom Hof.
Wer Werbung beim Wort nimmt, kommt um ein gewisses Maß an Vorbereitung nicht herum. Wie wird die Gegenseite reagieren? Wie vermeidet man Forderungen auf Schadensersatz und eine Anzeige bei der nächsten Polizeidienststelle? Generell hoffe ich auf Verständnis für mein Tun: Schließlich denke ich mir den nachfolgenden Quatsch nicht willkürlich aus, sondern vollziehe nur nach, was in der Werbung gezeigt wird.
Es hat geregnet, der Parkplatz vor dem Weserstadion in Bremen mit den vielen Pfützen und Schlaglöchern ist hervorragend geeignet, ein Auto innerhalb kurzer Zeit vollständig einzusauen. Wenn man es darauf anlegt - und das tue ich - nachhaltig.
Um ein perfektes Erscheinungsbild des Fahrzeugs wie in dem Werbespot zu erreichen, schütte ich noch drei vorher vorbereitete Eimer mit stinkendem, dickflüssigem Matschwasser über das Neufahrzeug. So vergeht die Stunde wie im Fluge, und schon muss ich den Ford Focus zurück zum Händler bringen. Die optische Verwandlung ist nahezu perfekt gelungen. Völlig verdreckt, mit Matsch auf Scheiben und Dach, sieht das Fahrzeug jetzt aus wie in dem Werbespot.
"Ich glaube, ich drehe durch"
Da werden die bei Ford entweder herzlich lachen oder mich wegen dieser ausgiebigen Probefahrt loben als einen Kunden, den man ernst nehmen sollte.
Der für mich zuständige Autoverkäufer wartet offenbar schon und macht keinesfalls einen ausgeglichenen Eindruck. Er sieht die Bescherung durch die Schaufensterscheibe. "Ich habe ihn auf Herz und Nieren getestet", lautet mein Erklärungsversuch nach der Rückkehr. "Ja. Sie bleiben dann aber auch bitte noch mal hier, weil wir eben die Polizei holen", sagt er mit deutlich aufgeregter Stimme. Die Polizei? Warum? "Weil das kein Testwagen ist. Wissen Sie, wie der aussieht? Können Sie das sehen?" Der Mann ist wohl richtig sauer auf mich. "Wo sind Sie denn mit dem Auto gewesen?", will er wissen.
Mein Hinweis auf die Werbung kann ihn leider nicht beruhigen: "Ich glaube, ich drehe durch. Gucken Sie doch mal, wie der aussieht. Der hat doch selbst auf dem Dach Dreck. Damit sind Sie doch nicht nur im Gelände gewesen." Er wendet sich an einen Kollegen, der bereits draußen fassungslos den Probewagen bestaunt hatte: "Mark, ruf mal eben die Herrschaften von der Polizei." Wir können uns schließlich gütlich einigen: Eine erste Überprüfung ergibt, dass keine ernsthaften Schäden an Karosserie, Motor und Getriebe entstanden sind. Ich sichere zu, dieses Autohaus nie wieder zu betreten.
Aber es gibt in der Stadt ja noch weitere Händler, die über einen brandneuen Ford Focus verfügen. Reagieren alle so?
Oder hatte ich nur Pech, und das Bild von den Toleranzgrenzen bei Ford ist durch einen einmaligen Versuch völlig verfälscht, was ja auch nicht in Ordnung wäre. Beim nächsten Ford-Händler im Bremer Norden ist der Focus rot, mit fünf statt drei Türen, der Verkäufer älter, nur meine Vorgehensweise bleibt dieselbe. Nach meiner Probefahrt ist der Neuwagen völlig verdreckt, ich habe mir dabei erneut größte Mühe gegeben. Reaktion des Verkäufers bei der Rückgabe: "Das darf doch wohl nicht wahr sein."
Sein Chef, noch ein paar Jahre älter, erscheint und brüllt ohne Vorwarnung los: "Meinen Sie, ich nehm so ein Auto zurück? Für wen halten Sie uns denn?" Mein Hinweis auf die entsprechende Werbung von Ford geht in seinem Geschrei unter: "Ich verkaufe seit 1972 Autos, aber so ein Auto habe ich noch nie gesehen." Wieder komme ich leider gar nicht zu Wort. Der etwa 65-Jährige ist nicht mehr zu stoppen, ich hoffe, dass ich hier keinen Herzinfarkt auslöse. "Das ist eine Frechheit, mit so einem Auto wiederzukommen. Das ist noch mehr: Das ist eine bodenlose Frechheit. Eine bodenlose Frechheit."
Ich murmele eine Entschuldigung, drücke ihm den Autoschlüssel in die Hand und ziehe mich aus seinem Verkaufsraum zurück.
Ende einer Probefahrt. Den Ford Focus habe ich nicht gekauft. Nichts bezahlt, aber Spaß gehabt. Werbung beim Wort genommen - das sorgt für einen gewissen Nervenkitzel und dient letztendlich einer guten Sache. Wer wirbt, muss damit rechnen, dass die Aussagen eines Tages auch mal überprüft werden. Ich bin bereit für das nächste Abenteuer.