Tierqual in Mastbetrieb für Wiesenhof-Konzern Arbeiter erschlagen Enten mit Mistgabeln
Hamburg - Er gehört für viele zum Weihnachtsfest dazu wie der geschmückte Christbaum und die Bescherung: der Entenbraten. Meist steht er ausschließlich zu diesem Anlass auf dem Tisch. Rund 60 Prozent aller Enten werden laut Branchenexperten im letzten Quartal des Jahres verkauft.
Und weil sich gerade an der Weihnachtstafel nicht das schlechte Gewissen regen soll, entscheiden sich viele Verbraucher bewusst für eine Ente aus einem deutschen Stall - im Vertrauen, dass Gesetze und Vorschriften zum Tierschutz strikt eingehalten werden.
SPIEGEL ONLINE liegen Fotos und Filmaufnahmen von Aktivisten der Tierrechtsorganisation Animal Equality vor. Sie sollen belegen, dass ein Brandenburger Zulieferbetrieb des Geflügelkonzerns PHW, der seine Produkte vor allem unter der Marke Wiesenhof vertreibt, gegen das Tierschutzgesetz verstößt.
Es dürfte einer der größeren Betriebe in Deutschland sein: Im ganzen Land wurden im vergangenen Jahr knapp 20 Millionen Enten geschlachtet - allein dieser Betrieb liefere jährlich eine Million Enten an Wiesenhof, sagte der Betriebsleiter im September 2013 der "Märkischen Oder-Zeitung". Genaugenommen wurde das Tochterunternehmen Fläminger Entenspezialitäten, teilt PHW mit. Dieses vermarkte seine Enten wiederum zu 20 Prozent unter dem Markennamen Wiesenhof, zu 80 Prozent als Handelsmarken.
Aktivisten filmten und fotografierten Anfang Dezember heimlich in den Anlagen des Brandenburger Mastbetriebs. Zudem installierten sie eine versteckte Kamera. Insbesondere deren Aufnahmen dokumentieren einen brutalen Umgang mit den Tieren: Auf ihnen ist zu sehen, wie Arbeiter - während sie mit einem Traktor Streu im Stall verteilen - mit Mistgabeln auf lebende Enten einschlagen, sie anschließend aufspießen und in eine Kiste auf dem Anhänger des Traktors legen. Darin liegen weitere, bereits reglose Enten. Mögliches Motiv: Die schwächsten Tiere sollen frühzeitig aus der Mast ausgesondert werden.

Tierqual bei Wiesenhof-Zulieferer: Mit der Mistgabel gegen Enten
Mehrere Fachleute bewerten dieses Vorgehen unabhängig voneinander als illegal. Christian Sürie von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover leitet seit 2011 im Auftrag des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums die Arbeitsgruppe Enten und Gänse des "Tierschutzplan Niedersachsens". Seine Einschätzung: "Auf den Aufnahmen sind Verstöße gegen geltendes Recht zu sehen":
- So sei die Tötung eines Tieres laut Paragraf 17 des Tierschutzgesetzes nur aus einem "vernünftigen Grund" erlaubt, etwa um es von Schmerzen oder Leid zu befreien. Daher sollte ein verletztes oder schwaches Tier zuerst von der Herde getrennt und seine Entwicklung aufmerksam beobachtet werden, sagt Sürie. Erst wenn sich sein Gesundheitszustand nicht offensichtlich bessert und das Tier nicht von Schmerzen oder Leiden befreit werden könne, dürfe es tierschutzgerecht getötet werden. "Ob die Tiere gelitten haben oder nicht, ist in diesem Fall überhaupt nicht klar", sagt Sürie. Der Arbeiter habe offenbar fast wahllos auf Enten geschlagen, die ihm langsamer vorgekommen seien als andere.
- Tiere müssen vor der Tötung ordnungsgemäß betäubt werden. Das heißt: Die Ente müsste ergriffen, fixiert und mit einem gezielten Schlag auf den Hinterkopf betäubt werden, erklärt Sürie. Die Aufnahmen zeigten aber deutlich, dass die Tiere nicht fixiert wurden und kein ausreichend gezielter Schlag geführt wurde.
- Die Tötung selbst muss unverzüglich nach der Betäubung erfolgen, erläutert Sürie. Erlaubt sei die Tötung entweder durch Genickbruch oder durch einen Kehlschnitt. Offensichtlich wurden die Tiere auf den Aufnahmen aber bei vollem Bewusstsein mit der Mistgabel erschlagen oder durch das anschließende Aufspießen tödlich verletzt. Möglich sei aber auch, dass manche Tiere auch noch nach der Ablage in die Kiste eine Zeitlang gelebt hätten.
Er sei bei Ansicht der Aufnahmen regelrecht schockiert gewesen, sagt der Experte. Dazu beigetragen habe auch, dass das Vorgehen der Arbeiter routiniert wirke - als sei es hier ein alltäglicher Ablauf.
Auf Anfrage reagierte der Betrieb unmissverständlich: Die "offenbar durch unsere Mitarbeiter an den Tieren vorgenommenen Misshandlungen verabscheuen und verurteilen wir", teilt der Geschäftsführer SPIEGEL ONLINE mit. Die Mitarbeiter würden laufend geschult und auf die Einhaltung aller Tierschutzvorschriften verpflichtet. Dies würde von Betriebsleitung und Geschäftsführung regelmäßig kontrolliert. Man werde die Vorfälle zum Anlass nehmen, Schulung und Kontrolle zu intensivieren. Gegen die betroffenen Mitarbeiter würden die erforderlichen Konsequenzen gezogen.
Für den Mastbetrieb sind die Konsequenzen ohnehin erheblich. Der Vertrag einer Tochtergesellschaft mit dem selbstständigen Landwirt sei fristlos gekündigt worden, teilte der Wiesenhof-Konzern SPIEGEL ONLINE mit. Zudem habe man bereits Strafanzeige gestellt. Man distanziere sich in aller Form von dem Betrieb und schätze die Vorkommnisse als schwere Tierrechtsverstöße ein, dies sei für die Unternehmensleitung völlig inakzeptabel. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb trotz regelmäßiger Personalschulungen, klarer schriftlicher Richtlinien und zahlreicher Kontrollen solch verantwortungslose Handlungen passierten.
"Extreme Zucht auf Brustmuskelfleisch"
Nach Einschätzung von Christian Sürie sind derartige Szenen in deutschen Entenställen "die absolute Ausnahme". Verschärfte Kontrollen, vor allem aber verbesserte Haltungsbedingungen und gesteigertes Fachwissen hätten eigentlich einen tiergerechteren Umgang in der deutschen Entenhaltung herbeigeführt. Anders sehe es im Ausland aus, etwa in China oder manch osteuropäischen Ländern. Dort seien derartige Tierschutzverstöße an der Tagesordnung, sagt Sürie.
Karl Fikuart, ehemaliger Leiter des Tierschutzausschusses der Bundestierärztekammer, kommt nach Ansicht der Aufnahmen ebenfalls zum Schluss: "Es besteht der dringende Verdacht einer Straftat." Doch für Fikuart beginnen die Missstände nicht erst mit dem brutalen Einsatz der Mistgabel. Bereits die Haltung der Enten erfülle nicht die Anforderungen eines europäischen Übereinkommens, zu denen sich Deutschland verpflichtet habe, etwa was den Zugang der Enten zu Wasser betreffe, sagt Fikuart.
Auf einem weiteren Video, das Animal Equality vorliegt, betreten Tierschutzaktivisten nachts einen der Entenställe des Brandenburger Betriebs. In dem Stall finden die Aktivisten Enten mit großflächigen Blutspuren vor sowie zahlreiche Tiere, die auf den Rücken gefallen sind und aus eigener Kraft nicht mehr auf die Beine kommen - letzteres ist für Fikuart Folge der "extremen Zucht auf Brustmuskelfleischansatz", durch die Statik und Motorik der Enten "absolut unphysiologisch" werde. Anders ausgedrückt: Die Tiere werden obenrum so schwer, dass sie sehr leicht umkippen.
Allerdings ist dieses Problem beileibe nicht auf den Brandenburger Mastbetrieb beschränkt, und nicht nur auf die Entenzucht. Andere Geflügelarten wie Hühnchen oder Pute, aber auch Schweine oder Rinder werden ebenfalls auf Hochleistung - sprich möglichst viel Fleischertrag - gezüchtet. Weder der Brandenburger Mastbetrieb noch der Wiesenhof-Konzern nahmen zu Vorwürfen einiger Tierärzte Stellung, diese Hochleistungszucht erfülle womöglich den Tatbestand der gesetzlich verbotenen Qualzucht.
Die Tierschutzaktivisten von Animal Equality haben ebenfalls Strafanzeige gegen den Wiesenhof-Zulieferbetrieb gestellt. Auf den Bildern sei "wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs" zu sehen, sagt Hendrik Haßel, Sprecher von Animal Equality. "Den meisten Verbrauchern ist gar nicht bewusst, welche Qualen Enten in der Mast durchleben müssen."