Henrik Müller

Wirtschaftsausblick 2019 Investiert endlich!

Der Weltwirtschaft droht 2019 ein Abschwung unter historisch neuen Bedingungen: Die Schulden sind auf Rekordhöhe, die Wirtschaftspolitik ist weitgehend handlungsunfähig. Jetzt kommt es vor allem auf Deutschland an.
Foto: Bernd Wüstneck/ dpa

Die Pessimisten sind los. Quer durch Europa steigt die Zahl der Bürger, die glauben, dass 2019 schlechter laufen wird als 2018, wirtschaftlich gesehen. In Deutschland erwarten nur noch elf Prozent eine Verbesserung der Lage, 24 Prozent hingegen eine Verschlechterung, so die aktuelle Eurobarometer-Umfrage .

Auch bei den Unternehmen hat sich die Stimmung merklich eingetrübt. Der Geschäftsklimaindex des Ifo-Instituts  ist über die vergangenen Monate gesunken, vor allem in der Industrie. Ein Warnsignal.

Die Börsen sind unter Druck. 2019 wirft seine Schatten voraus. Unsicherheit über die politische Entwicklung sorgt für Nervosität. Der Handelskonflikt zwischen den USA und China, der drohende ungeordnete Ausstieg Großbritanniens aus der EU im März, der schwelende Konflikt um die Geldpolitik zwischen US-Präsident Donald Trump und Notenbank-Chef Jay Powell, die Gefahr, dass nach den EU-Parlamentswahlen im Mai die Nationalpopulisten in Europa endgültig den Ton angeben, die Unklarheit über den weiteren Kurs der EZB nach Mario Draghis Verabschiedung im kommenden Oktober - die Liste ließe sich verlängern.

Drei Thesen zur Konjunktur 2019

Steigende Unsicherheit heißt nicht, dass es im neuen Jahr unbedingt zu einer Rezession kommt. Die Prognostiker rechnen mit einer Abkühlung der Dynamik, nicht mit einem Schrumpfen der Wirtschaftsleistung. Aber Vorhersagen an konjunkturellen Wendepunkten sind selten sonderlich exakt.

Hier sind drei Thesen zur Konjunktur im neuen Jahr:

  • 2019 betreten wir Neuland, denn ein zyklischer Abschwung trifft auf hohe Schulden, gerade in den reichen Volkswirtschaften. Eine gefährliche Konstellation.
  • Sollte es zu einer Rezession kommen, steht eine raue Phase bevor. Die Wirtschaftspolitik kann kaum gegensteuern, da ihre Instrumente weitgehend funktionsunfähig geworden sind.
  • Deutschland ist die einzige größere westliche Volkswirtschaft, die noch über konjunkturpolitische Manövrierfähigkeit verfügt. Staat und Wirtschaft sollten sich darauf vorbereiten und einen Investitionspakt schließen.

Jede Menge Schulden

Als 2008 die letzte große Rezession die Weltwirtschaft erfasste, war die Verschuldung auf historisch hohen Niveaus. Das Problem ist nur: Seither ist sie noch weiter gestiegen.

Damals lagen die Verbindlichkeiten von Staaten, Unternehmen und Privatbürgern zusammengenommen bei 233 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den westlichen Ländern. Dann rollte die Finanzkrise über uns hinweg - Entlassungen, Pleiten, Sparprogramme, Bankenrestrukturierungen. Die Notenbanken öffneten die Geldschleusen und regten mit aller Macht die Nachfrage an.

Doch von einem Schuldenabbau ist nicht viel zu sehen. Im Gegenteil. Inzwischen liegen die Bruttoverbindlichkeiten in den westlichen Volkswirtschaften bei 269 Prozent des BIP. Parallel dazu haben auch die Schwellenländer, voran China, ihre Verschuldung drastisch erhöht. Inzwischen stehen sie mit 176 Prozent in der Kreide, 60 Prozentpunkte mehr als vor der Finanzkrise, so die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, BIZ (pdf ).

Insbesondere die dortigen Unternehmen haben die niedrigen Zinsen genutzt und sich in Dollar und Euro verschuldet. Kredite in Westwährung waren ja billig wie nie. Nun kommt die Quittung. Während die Zinsen allmählich steigen, wird es für hochverschuldete Volkswirtschaften eng. Die Krisen der Türkei und Argentiniens im abgelaufenen Jahr sind Symptome eines größeren Problemkomplexes.

Auch bei westlichen Unternehmen sind die Verbindlichkeiten bedenklich hoch. In den USA übersteigen die Lasten den Stand des Jahres 2008. Noch schwieriger ist die Lage in Europa. Trotz einigem Schuldenabbau in Ländern wie Spanien und Portugal liegen die Firmenverbindlichkeiten in der Eurozone insgesamt bei 106 Prozent des BIP, wie aus BIZ-Statistiken hervorgeht . Das sind zehn Prozentpunkte mehr als 2008.

Schon jetzt wenden Firmen einen großen Teil ihrer Einnahmen für den Schuldendienst auf. Gelder, die nicht für Investitionen bereitstehen. Durch die schwächelnde Konjunktur wird die Lage umso wackliger.

Der Crash kommt, die Airbags sind kaputt

Eigentlich gibt es erprobte Mittel gegen einen Abschwung. Der Staat sollte gegensteuern: Die Notenbanken senken die Zinsen; die Staatshaushalte drehen ins Defizit, um die Nachfrage zu stützen. Doch dieses Mal ist alles anders.

Die Europäische Zentralbank (EZB) und die Bank von Japan halten die Zinsen immer noch bei Null und kaufen Wertpapiere (die EZB beendet ihre Käufe zum Jahresende). Selbst in den USA, wo die Federal Reserve seit einigen Jahren in Trippelschritten vorangeht, sind die Sätze im historischen Vergleich immer noch niedrig.

Auch die Finanzpolitiker haben ihr Pulver weitgehend verschossen. In vielen Ländern erreicht die öffentliche Schuldenlast inzwischen 100 Prozent des BIP. In den USA (Staatsverschuldung: 115 Prozent) haben US-Präsident Trump und die republikanische Mehrheit im Kongress 2018 sogar noch die Hochkonjunktur mit massiven Steuersenkungen weiter angeheizt - Mittel, die im bevorstehenden Abschwung fehlen, um die Konjunktur zu stützen.

Das ist tragisch. Die Weltwirtschaft schlittert womöglich in den nächsten Crash - aber die Airbags sind nach wie vor kaputt.

Als 2008 die Krise ausbrach, konnten die Staaten eine Menge tun. EZB und Fed senkten die Leitzinsen von Niveaus zwischen 4,25 und 5,25 Prozent. Später kauften sie in großem Stil Wertpapiere auf (quantitative easing).

Auch die Finanzminister waren handlungsfähig: Die Staatsschulden waren in den meisten westlichen Ländern moderat, sodass defizitfinanzierte Ausgabenprogramme die wegbrechende private Nachfrage zum Teil ausgleichen konnten.

Ganz anders heute: Wenn die nächste Krise zuschlägt, sind Zinssenkungen weitgehend ausgeschlossen, denn die Sätze sind ja bereits extrem niedrig. Die Staatsverschuldung wiederum hat Niveaus erreicht, die den meisten Staaten ein deficit spending in großem Stil verbieten.

Ich gehe davon aus, dass die Notenbanken in den kommenden Jahren ihre Wertpapierkäufe wieder hochfahren, und zwar massiv. Es geht gar nicht anders. Viele Staaten drohen sonst in der nächsten Rezession Pleite zu gehen. Ob derlei Interventionen allerdings noch wirksam die Konjunktur stützen können, ist eine andere Frage.

Ein Investitionspakt für Deutschland

Es gibt eine wacklige, hochverschuldete Weltwirtschaft. Und dann gibt es - Deutschland.

Zwar macht sich die ökonomische Abkühlung auch hierzulande längst bemerkbar, wie der BIP-Rückgang im dritten Quartal 2018 gezeigt hat. Aber die Basis ist deutlich solider als in praktisch allen vergleichbaren Ländern.

Staat und Wirtschaft sind ausgesprochen konservativ finanziert. Beide Sektoren haben in den vergangenen Jahren Schulden abgebaut. Die öffentlichen Verbindlichkeiten werden 2019 voraussichtlich wieder unter die Grenze von 60 Prozent des BIP sinken.

Deutschland ist deshalb eines der wenigen Länder, die im kommenden Abschwung noch über Handlungsspielraum verfügen. Und den sollten Bundesregierung und Wirtschaft gemeinsam nutzen und einen Investitionspakt schließen. In den kommenden Jahren könnten sie damit sowohl die Konjunktur stützen als auch die längerfristigen Wachstumsaussichten verbessern.

Es geht nicht nur um öffentliche Ausgaben für Bahnnetz, Straßen oder Brücken. Gerade private Investitionen in Deutschland sind vergleichsweise gering: Seit Jahren weist der Unternehmenssektor einen Finanzierungsüberschuss aus. Das heißt: Die Firmen bunkern Geld, investieren wenig, jedenfalls nicht hierzulande.

Deutschland ist in einer außergewöhnlichen Situation: Alle Teile der Volkswirtschaft - Unternehmen, Bürger und Staat - sparen. Dieses Geld fließt zum großen Teil ins Ausland. Der Überschuss in der Leistungsbilanz liegt inzwischen bei 280 Milliarden Euro; kein anderes Land der Erde exportiert soviel Kapital. Die große Frage lautet: Warum eigentlich?

Hiesige Unternehmen verwenden Gewinne heute anders als früher. Sie stocken ihr Eigenkapital auf, und sie halten immer mehr Bares vor. Vermutlich eine Folge des Finanzschocks von 2008, als die Finanzmärkte binnen weniger Wochen austrockneten und Anschlussfinanzierungen nicht zu bekommen waren.

Doch deutsche Unternehmen investieren einen Teil ihrer Gewinne im Rest der Welt. Die Größenordnungen sind erstmal überraschend, denn die Bundesrepublik gilt ja als eines der wettbewerbsfähigsten Länder der Welt. Allerdings glauben viele Unternehmen offenbar nicht, dass dies so bleibt.

Die Alterung der Gesellschaft schreitet voran. Bei der Digitalisierung spielt Deutschland nicht vorne mit. Die Statik unseres Heimatmarkts, der Eurozone, ist nach wie vor instabil. Der grassierende Protektionismus erschwert das Exportgeschäft. All das spricht gegen Investitionen im Inland.

Doch an all diesen Faktoren lässt sich arbeiten. Dafür sollte die Regierung mit der Wirtschaft einen Investitionspakt schließen. Kernpunkte:

  • eine langfristige Strategie für Zuwanderung und Integration, um die demografischen Perspektiven zu verbessern;
  • mehr staatliche Investitionen in digitale Netze, Bildung und Wissenschaft, wenn nötig verbunden mit einer Reform der Unternehmensbesteuerung;
  • die Zusage von privaten Investitionen in technologieintensiven Bereichen, Bildung und Integration;
  • die Stabilisierung der Eurozone, ausgehend von den Vorschlägen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron;
  • ein glaubwürdiger Plan, den deutschen Leistungsbilanzüberschuss abzubauen, um die protektionistischen Reflexe anderswo einzudämmen, nicht zuletzt in den USA.

Politik und Wirtschaft sollten nicht darauf warten, dass die Dinge irgendwann schon von allein ins Lot kommen - sondern die Krise als Chance verstehen.


Wegen der Feiertage gibt es in der bevorstehenden Woche keine relevanten angekündigten Wirtschaftstermine. Kommenden Sonntag erscheint "Müllers Memo" wieder mit der üblichen Terminvorschau.

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