Henrik Müller

Weltwirtschaft Wettlauf der Währungskrieger

Die eskalierenden Handelskonflikte haben eine unheilvolle Dynamik in Gang gesetzt: Die Wechselkurse werden zu zentralen Steuerungsgrößen der Wirtschaftspolitik. Die Risiken sind gigantisch.
Wechselstube in Hongkong

Wechselstube in Hongkong

Foto: Anthony Kwan/ Bloomberg/ Getty Images

Die Weltwirtschaft droht in einen Wettlauf der Währungskrieger hineinzuschlittern. Die Gefahr besteht, dass die Notenbanken, bislang in vielen Ländern weitgehend unabhängige Institutionen, zu Akteuren in den eskalierenden Handelskonflikten werden - mit schwerwiegenden Folgen.

In der abgelaufenen Woche ist der seit Längerem brodelnde Konflikt um die Währungsverhältnisse hochgekocht: China hat seinen Wechselkurs abwerten lassen, unter die eherne Schwelle von sieben Yuan pro Dollar. Die US-Regierung hat daraufhin China zum "Währungsmanipulator" erklärt.

Die Börsen reagierten entsetzt. Schließlich trifft der Vorwurf, China verschaffe sich mit einem zu schwachen Renminbi unfaire Wettbewerbsvorteile, schon lange nicht mehr zu: Peking hat seine Währung über Jahre kontrolliert aufwerten lassen; der einst gigantische außenwirtschaftliche Überschuss ist deutlich geschrumpft. In den vergangenen Jahren hat sich Chinas Führung sogar massiv gegen eine Abwertung des Yuan gestemmt und dafür viele Milliarden Dollar an Währungsreserven aufgewendet.

Aber derlei Tatsachen spielen im Zeitalter alternativer Fakten allenfalls eine untergeordnete Rolle.

Auch die Europäer hat Donald Trump im Visier. EZB-Chef Mario Draghi manipuliere den Wechselkurs des Euro zu Amerikas Ungunsten, schimpfte der US-Präsident bereits im Juni via Twitter. Kurz darauf sagte er in einem Interview , er würde sich Draghi als Chef der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) wünschen - "we should have Draghi instead of our Fed person". Ein Frontalangriff gegen Jerome Powell, den von Trump selbst installierten Fed-Chairman - und ein deutlicher Hinweis darauf, dass er sich eine Notenbank wünscht, die den Dollar drückt, um Amerikas Bilanz im Außenhandel zu verbessern.

Das ist neu. In den vergangenen Jahrzehnten sah das globale währungspolitische Arrangement in etwa so aus: Die großen westlichen Länder kümmerten sich nicht weiter um die Wechselkurse ihrer Währungen. Ihre Notenbanken steuerten einen Kurs, den sie für ihre jeweilige Volkswirtschaft für angemessen hielten. Kleinere westliche Volkswirtschaften und insbesondere viele Schwellen- und Entwicklungsländer orientierten sich an den USA, teils auch an der Eurozone.

Nun aber setzen steigende Zölle und sonstige Handelsbeschränkungen eine neue Dynamik in Gang: Der Wechselkurs wird auch in großen etablierten Volkswirtschaften zur zentralen wirtschaftlichen Steuerungsgröße. Damit droht die Geld- und Währungspolitik sukzessive unter das Primat der Handelspolitik gestellt zu werden.

Die Fed hilft Trump

Es sind vor allem zwei Kanäle, über die die Notenbanken in den Sog des Protektionismus gezogen werden:

Erstens drückt der bröckelnde Außenhandel auf die Konjunktur. Nicht nur in exportstarken Ländern wie China und Deutschland (achten Sie Mittwoch auf neue Zahlen zum Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal), sondern rund um den Globus, auch in den USA selbst. Die Notenbanken reagieren darauf, indem sie die Zinsen senken - so wie kürzlich die Fed, die auf die gestiegenen weltwirtschaftlichen Risiken verweist. Andere Notenbanken sind in der abgelaufenen Woche gefolgt: Indien, Neuseeland, Thailand und die Philippinen haben angesichts der flauen Weltkonjunktur ebenfalls die Leitzinsen gesenkt. Weitere dürften folgen.

Das sind fragwürdige Schritte. Denn der grassierende Protektionismus hat das Potenzial, die Inflation anzuheizen (achten Sie Dienstag auf neue US-Zahlen). Auch politisch sind sie heikel, weil die Notenbanken damit den Regierungen eine Art Versicherungspolice für ihre Handelspolitik ausstellen. Trump kann allerlei Unfug treiben - und nun damit rechnen, dass die Fed bereitsteht, die negativen Folgen abzumildern.

Zweitens kommt der Abschwung zu einer Zeit, da wirtschaftspolitische Instrumente knapp werden. Viele Staaten sind hochverschuldet, sodass der Spielraum für üppige Konjunkturpakete begrenzt ist. Auch den Notenbanken ist die Munition weitgehend ausgegangen: Die Zinsen sind bereits extrem niedrig, teils sogar negativ. Ob weitere Ankäufe von Wertpapieren die reale Wirtschaft noch nennenswert ankurbeln können, ist unter Ökonomen umstritten. Umso mehr rückt der Wechselkurs als wirtschaftspolitischer Hebel in den Fokus.

Das gilt übrigens gerade für die EZB. So pries Draghi vor einigen Monaten Strafgebühren auf Bankeinlagen bei der Zentralbank ("negative Einlagezinsen") als "sehr wichtiges Instrument", auch weil damit der Wechselkurs des Euro gedrückt werde. Insofern ist Trumps harsche Kritik an der EZB nicht ganz unberechtigt. Der relativ schwache Euro hat in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, dass die Eurozone inzwischen den größten außenwirtschaftlichen Überschuss aller Volkswirtschaften fährt - sodass ein massives weltwirtschaftliches Ungleichgewicht entstanden ist.

Maßnahmen und Gegenmaßnahmen

Das Szenario eines Abwertungswettlaufs lässt sich leicht skizzieren. Neben Zinssenkungen - die die Nachfrage nach der jeweiligen Währung vermindern und damit tendenziell eine Abwertung bewerkstelligen sollen - kämen dafür auch Interventionen am Devisenmarkt infrage.

China und andere asiatische Volkswirtschaften haben es in den Nullerjahren vorgemacht: Sie kauften damals Billionen von Dollar-Wertpapieren auf, überwiegend US-Bundesanleihen, um ihre Währungen niedrig zu halten. Das Ziel war klar: den Export in die USA zu steigern. Wie gesagt, China hat diese Strategie längst aufgegeben.

Der Unterschied zu heute liegt auf der Hand: Damals ließen die USA China und andere gewähren. Nun aber sind Gegenreaktionen zu erwarten. Auch hochentwickelte Volkswirtschaften könnten "ausgleichende Interventionen" tätigen, wie der Washingtoner Ökonom Fred Bergsten dieses Vorgehen genannt hat . Die Fed würde dann beispielsweise Anleihen von Euro-Mitgliedstaaten aufkaufen und dafür Dollars auf den Markt werfen - was den Preis des Dollar gegenüber dem Euro tendenziell senken würde. Umgekehrt könnte die EZB amerikanische Staatsanleihen aufkaufen, um den Euro gegenüber dem Dollar zu drücken.

Beide Seiten würden versuchen, sich wechselseitig zu neutralisieren - und dabei immer mehr Geld in die Märkte spülen.

Denn um die Wechselkurse tatsächlich zu bewegen, müssten die Notenbanken gigantische Summen einsetzen. Devisenmärkte sind die liquidesten aller Finanzmärkte. Rund um den Globus wurden 2016 Umsätze im Wert von fünf Billionen Dollar getätigt - täglich. Der mit Abstand größte Teil des Handels entfiel auf Transaktionen zwischen Dollar und Euro . Der chinesische Renminbi war übrigens nur an vier Prozent der Devisengeschäfte beteiligt, auch weil Chinas Kapitalmarkt nach wie vor teilweise abgeschottet und der Yuan nicht völlig frei konvertibel ist. Da genügen kleinere Summen, um Wirkungen auf Wechselkurse zu erzielen. (Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) erhebt diese Zahlen nur alle drei Jahre. Dieses Jahr veröffentlicht sie einen neuen Survey, erste Zahlen sollen im September vorliegen .)

Und nun die entscheidende Frage: Was - und wem - würde ein solcher Währungskrieg nützen?

Hohe Kosten, unklarer Nutzen, enorme Risiken

Unmittelbar schadet eine schwache Währung den Konsumenten, die nun höhere Preise für Importgüter bezahlen müssen. Ob Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, im Gegenzug davon profitieren würden, ist indes fraglich.

Die traditionelle Gleichung - billigere Währung = mehr Export, mehr Jobs, mehr Investitionen, mehr Wachstum - ist jedenfalls reichlich simpel. Viele Industrien sind inzwischen durch grenzüberschreitende Wertschöpfungsketten so engmaschig vernetzt, dass Wechselkursverschiebungen (und Zölle) kaum vorhersehbare Folgewirkungen nach sich ziehen. Gewinner und Verlierer lassen sich unter diesen Bedingungen nicht mehr so einfach ermitteln. Vermutlich führt die zusätzliche politische Unsicherheit dazu, dass Wertschöpfungsketten einfach gekappt werden, mit dauerhaft negativen Folgen. Die daraus erwachsenden politischen Konflikte würden die nationalistischen Animositäten weiter schüren.

Risikoreich wäre ein ausgewachsener Währungskrieg insbesondere wegen der hohen weltweiten Verschuldung. Viele Staaten und Unternehmen schieben enorme Verbindlichkeiten vor sich her. Wilde, politisch provozierte Wechselkursschwankungen tragen ein zusätzliches Unsicherheitsmoment in dieses fragile System. Das gilt auch für China, dessen Unternehmenssektor horrende Verbindlichkeiten aufgebaut hat. Firmen, Privatbürger und Staat haben zusammen eine Bruttoverschuldung von mehr als 240 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aufgebaut, kalkuliert die BIZ. Eine Abwertung, die außer Kontrolle geriete, könnte eine Kapitalflucht und damit einen kapitalen Crash auslösen. Vernünftigerweise kann Peking kein Interesse an einem möglichst schwachen Renminbi haben.

Global betrachtet droht ein Wettlauf um die schwächste Währung eine massive Liquiditätsschwemme auszulösen. Dadurch würden einige Sektoren, insbesondere die Immobilienmärkte und die Baubranche, überstimuliert - inklusive weiter steigender Verschuldung.

Stell dir vor, es ist Währungskrieg, und keiner geht hin

Die beste Lösung wäre eindeutig eine vernünftige grenzüberschreitende Koordination. Die Institution dafür gibt es seit Langem - den Internationalen Währungsfonds (IWF). 1944 wurde er eben zu diesem Zweck gegründet, um Ordnung in die Währungsbeziehungen zu bringen. Eine Wiederholung der desaströsen 1930er Jahre, als eine Kombination aus Zoll- und Wechselkursprotektionismus den internationalen Handel weitgehend zum Erliegen gebracht hatte, sollte verhindert werden. Aber ohne die Unterstützung der wichtigsten Volkswirtschaften, zumal der USA, ist der IWF handlungsunfähig.

Aus Sicht populistischer Politiker jedoch ist eine aktivistische Währungspolitik auch attraktiv, weil sie über diesen Umweg Einfluss auf bislang unabhängige Notenbanken gewinnen.

In der Währungspolitik haben Regierungen traditionell ein Wort mitzureden. Das gilt für die USA, wo Trump offenbar möchte, dass die Notenbank einen Boom befeuert, der ihn zur Wiederwahl im kommenden Jahr trägt. Unabhängige Technokraten in der Notenbank stören da nur. Das gilt potenziell auch für die Eurozone.

Der Rat der Finanzminister der Euro-Mitgliedstaaten kann mit qualifizierter Mehrheit "allgemeine Orientierungen für die Wechselkurspolitik" formulieren, wie es in Artikel 219 des EU-Vertrags heißt. Wie genau solche Orientierungen aussehen können, ist offen. Bislang ist dieses Instrument noch nie eingesetzt worden.

So könnten die Minister einen Zielwert für den US-Dollar oder eine Abwertung gegenüber allen wichtigen Handelspartnern der Eurozone vorgeben. Vieles ist denkbar. Die EZB müsste wohl diesen Vorgaben folgen, jedenfalls sofern dadurch keine Inflation droht und somit das oberste Ziel der Zentralbank - Preisstabilität - nicht gefährdet wäre.

Inflation im Euroraum ist allerdings derzeit nicht in Sicht. Der wechselkurspolitischen Phantasie sind insofern kaum vertragliche Grenzen gesetzt.

Die wichtigsten Wirtschaftsereignisse der bevorstehenden Woche

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