Ausstieg aus Share Now Der Carsharing-Traum von BMW und Mercedes ist geplatzt

BMW i3 und Mercedes-Smart: »Gamechanger im Wachstumsmarkt für urbane Mobilität«
Foto: Fabian Sommer / dpaBei ihrer Ankündigung im Februar 2019 sparten BMW und Daimler nicht mit Superlativen. »Einen neuen globalen Player« wollten die beiden Erzrivalen aus München und Stuttgart bilden, einen »Gamechanger im Wachstumsmarkt für urbane Mobilität«. Die Carsharing-Anbieter DriveNow (BMW) und Car2Go (Daimler) wurden zu Share Now verschmolzen. Zwei der erfolgreichsten Premiumhersteller der Welt, so die Botschaft, wollten mehr sein als reine Autobauer. Sie wollten die Mobilität der Zukunft revolutionieren. Eine Zukunft, in der Autos zunehmend gemietet und geteilt, nicht mehr unbedingt gekauft werden.
BMW und Daimler versprachen ihren Kunden nicht nur schicke Fahrzeuge, sondern ein komplettes Mobilitätsangebot von Tür zu Tür, Kombinationen aus Bus, Bahn, Carsharing, Shuttles und E-Scootern. Ergänzt wurde Share Now durch digitale Angebote für Laden (Charge Now), Parken (Park Now), Taxidienste (Free Now) sowie eine Plattform, die alle verfügbaren Verkehrsangebote miteinander verbinden sollte (Reach Now).
Vor wenigen Jahren hieß es noch: »The sky is the limit«
Man schaffe so ein »Mobilitätsangebot mit vollelektrischen und selbstfahrenden Flotten, die sich selbstständig aufladen und parken sowie mit anderen Verkehrsmitteln vernetzen lassen«, schwärmte der damalige BMW-Boss Harald Krüger, das sei »ein zentraler Baustein in unserer Strategie als Mobilitätsanbieter«. Sein damaliger Amtskollege Dieter Zetsche setzte noch einen drauf: »The sky is the limit«, tönte der Daimler-Chef, allein der Himmel begrenze die Pläne der Autobauer.
Nur gut drei Jahre später ist von den hochfliegenden Ambitionen nicht mehr viel zu spüren. Mit einer dürren Meldung verkünden BMW und der Daimler-Konzern, der mittlerweile Mercedes-Benz heißt, ihren Ausstieg aus dem Herzstück der einstigen Kooperation: Share Now, die Carsharing-Plattform, wird an den Wettbewerber Stellantis verkauft, jenen frischgebackenen Großkonzern, zu dem unter anderem Opel, Peugeot, Citroën, Fiat und der ehemalige Mercedes-Partner Chrysler gehören.

Ex-Bosse von BMW und Daimler, Harald Krüger und Dieter Zetsche (2019): »The sky is the limit«
Foto: Reiner Zensen / IMAGODer Verkauf zeigt: Entgegen den einst so blumig formulierten Visionen haben Mercedes und BMW keine Strategie für das Zukunftsgeschäft der Mobilitätsdienste. Zwar halten sie am Ride-Hailing-Angebot Free Now (ehemals MyTaxi) weiter fest. Doch das Versprechen, die Multimobilitäts-App werde »in Europa weiter wachsen«, klingt wenig ambitioniert.
Bereits im Herbst 2020 gab es Gerüchte, wonach der US-Rivale Uber an Free Now interessiert sei. Nicht auszuschließen, dass die beiden Autobauer nur auf eine gute Gelegenheit warten, sich auch aus dem Ride-Hailing zurückzuziehen. Die Mobilitäts-App Reach Now (ehemals Moovel) wurde bereits Ende März eingestellt. Auch Park Now haben die beiden Premiumpartner längst abgestoßen.
Keine Airline wie Lufthansa, eher ein Flugzeugbauer wie Airbus
Die Nachfolger Krügers und Zetsches, Oliver Zipse und Ola Källenius, konzentrieren sich wieder zunehmend auf das, was den Autokonzernen die höchsten Gewinne einbringt: der Verkauf renditestarker Limousinen und SUVs. BMW hat die frühere Strategie, den Premiumhersteller zum vielseitigen Mobilitätsanbieter umzubauen, beerdigt. Man sei keine Airline wie Lufthansa, sondern eher ein Flugzeugbauer wie Airbus, sagte Zipse einmal im übertragenen Sinn, um den Strategieschwenk zu erklären.
Auch Mercedes hat schon lange davon Abstand genommen, Share Now irgendwann zu einer selbstfahrenden Großstadtflotte hochzurüsten. Automatisierte Fahrfunktionen dienen den Stuttgartern mittlerweile vorrangig zur Hochrüstung ihrer Limousinen, nicht zur Ausstattung von Roboshuttles oder -taxis. Aus der gemeinsamen Entwicklung eines Robotertaxis mit dem Zulieferer Bosch ist Vorstandschef Källenius ausgestiegen.
»In der Mobilität der Zukunft wird Carsharing eine wichtige Rolle spielen«
Aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht mag die neue Strategie Sinn ergeben. So hat die Mobilitätstochter von BMW und Mercedes über die Jahre hohe Verluste angehäuft. Die Kosten für Flottenbetrieb und Wartung standen bislang in keinem Verhältnis zu den Einnahmen. Außerdem stecken in der Share-Now-Flotte vor allem Auslaufmodelle wie der i3 von BMW und die B-Klasse von Mercedes, als Verkaufshebel für die nun noch mehr auf Luxus getrimmte Modellpalette ist das Sharing somit aus Sicht der Hersteller nicht mehr geeignet. Die Pandemie, in der viele Kundinnen und Kunden die Nutzung von Sharing-Fahrzeugen vermieden, versetzte dem Gemeinschaftsunternehmen einen zusätzlichen Schlag. Die beiden Autokonzerne stecken das knappe Kapital lieber in ihr Kerngeschäft, den Autobau.
Aufholjagd
Doch langfristig ist der Ausstieg aus dem Carsharing und anderen Mobilitätsdiensten ein großes Risiko. Er bedeutet nämlich, dass BMW und Mercedes kein funktionierendes Geschäftsmodell außer dem reinen Autoverkauf vorweisen können. Das wird dann zum Problem, wenn der Individualverkehr zunehmend aus den Innenstädten verdrängt wird. Eine Tendenz, die bereits in vielen Metropolen zu beobachten ist.
»In der Mobilität der Zukunft wird Carsharing eine wichtige Rolle spielen«, sagt Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management. »Daimler und BMW gehörten in diesem Bereich lange zu den Top-Performern, nun geben sie wertvolle Erfahrung und Kompetenzen ab.« Insbesondere wenn sich das autonome Fahren in den Innenstädten stärker durchsetze, dürfte das Geschäft mit den Mobilitätsdiensten lukrativ werden, sagt Bratzel: Das könne noch in diesem Jahrzehnt passieren.
In diesem Szenario wird die Mobilität der Zukunft dann nicht mehr von BMW oder Mercedes angeboten, sondern von Uber, Lyft – oder Stellantis. Auch andere Autokonzerne wie Volkswagen oder Hyundai experimentieren weiter mit Verkehrsdienstleistungen.
Bratzel prognostiziert deshalb eine »Zweiteilung der Mobilitätswelt«: hier die modernen Dienstleister mit einer Vielfalt an Mobilitätsangeboten, dort die reinen Autobauer. So könnten BMW und Daimler zum reinen Hardwarelieferanten für die großen Plattformen werden und sich ansonsten in ihre Nische als Premiumhersteller zurückziehen. Die Zukunft der Mobilität gestalten dann andere.