Silicon Valley Finanzkrise lähmt Amerikas Ideenschmiede
San Francisco - Die Warnung kam leise und schon vor Monaten: Im zweiten Quartal ging kein einziges Unternehmen an die Börse. Das sei zum letzten Mal im Jahr 1978 der Fall gewesen, teilte der Verband amerikanischer Venture-Capital-Firmen Anfang Juli mit. Grund für die Misere: Die Finanzierung für Start-ups funktioniert nicht mehr.

Silicon Valley: "Ich schätze, dass nur 500 bis 750 Firmen übrig bleiben."
Foto: CorbisDie Pleite der renommierten Investmentbank Lehman Brothers , der Verkauf von Merrill Lynch , der Beinah-Crash von AIG - all das hat weitreichende Folgen für die Tech-Branche. Weitere Bankenpleiten und das Scheitern des milliardenschweren Rettungspakets der US-Regierung verschlimmern die Situation. Der Bankencrash macht zur Mangelware, was die jungen Industriezweige zum Wachsen brauchen: Geld. Keine Region wird das deutlicher zu spüren bekommen als das Silicon Valley, das globale Zentrum der Computer- und Biotechnologie.
"Durch den Zusammenbruch des Finanzmarktes wird sich das Umfeld für Start-ups dramatisch verschlechtern", sagt John Fisher, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität San Francisco. "Dieser Crash wird schlimmere Folgen haben als das Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000. Dieses Mal sind grundsätzliche Mechanismen unseres Finanzsystems zerstört."
Die Technologie-Industrie leidet doppelt unter dem Finanzbeben. Laut dem Marktforschungsinstitut Forrester machen IT-Firmen 20 Prozent ihres gesamten IT-Umsatzes in den USA mit Finanzfirmen - allein die Wall Street sorgt für sechs Prozent. Dem Branchenblatt "American Banker" zufolge erwirtschaften Branchen-Riesen wie Sun Microsystems oder IBM sogar 24 beziehungsweise 29 Prozent ihres Umsatzes durch das Geschäft mit der Finanzindustrie.
"Aber nicht nur aus diesem Bereich werden die Aufträge ausbleiben", sagt Fisher. "Alle anderen großen Branchen wie etwa die Automobilbranche sind Kunden der großen Tech-Unternehmen. Und auch diese Branchen leiden unter der Wirtschaftskrise und werden dementsprechend weniger Aufträge vergeben. Vom Rückgang des privaten Konsums mal ganz abgesehen."
Start-up-Firmen scheuen den Börsengang
Leiden die Großen, hat das auch Folgen für die Kleinen vor allem in den neuen Branchen wie Biotech: "Bislang haben große Pharmakonzerne innovative Start-ups mit interessanten Produkten irgendwann aufgekauft, weil es ihnen selbst an kreativem Potential fehlt. Deshalb hat es sich für Venture-Capital-Firmen bislang gelohnt, Start-up-Firmen zu unterstützen, sie haben damit langfristig Gewinn gemacht", sagt Matt Gardner, Chef von BayBio, dem Biotech-Branchenverband in Kalifornien. "Jetzt könnte es deutlich schwerer werden, das notwendige Kapital aufzutreiben."
Auch die Venture-Capital-Unternehmen bekommen den Geldmangel zu spüren: "Nicht alle Firmen werden das Beben überleben, aber das ist vielleicht auch gut für unsere Industrie", sagt Mark Heesen, Präsident des Venture-Capital-Verbandes. Durch das Platzen der Internetblase habe sich die Zahl der Venture-Capital-Firmen von rund 1800 auf 1200 reduziert, schätzt John Fisher von der Uni San Francisco. "Dieses Mal wird der Einbruch erneut zu spüren sein: Ich schätze, das nur 500 bis 750 Firmen übrig bleiben."
Mit Blick auf die Kapitalknappheit und das schwache Marktumfeld wagen immer weniger Unternehmen den Börsengang. Gab es im ersten Halbjahr 2007 noch 43 Börsengänge, rechnen Experten für das Jahr 2008 nicht mal mit zehn. 64 Prozent aller Risikokapitalfirmen machen laut dem Branchenverband NVCA die Kreditkrise dafür verantwortlich. Gleichzeitig ist die Zahl der Unternehmen, die einen Börsengang planen, in den vergangenen drei Jahren um 40 Prozent gefallen. "Im Schnitt dauert es für ein Unternehmen inzwischen 8,6 Jahre, um an die Börse zu kommen so lange, wie noch nie", sagt Wirtschaftsfachmann Fisher.
Hoffen auf ausländische Kapitalgeber
So flüchtet sich das Silicon Valley in die Langfristperspektive: "Die nächsten Monate werden vielleicht ein bisschen schwieriger werden, Projekte werden sich verzögern, Planungen etwas länger dauern", sagt Ron Lissak, der lange als Investment-Banker an der Wall Street gearbeitet hat und seit 2001 Gelder für Software- und Internetfirmen in dem Technologie-Mekka akquiriert. "Langfristig aber sind die Unternehmen hier weniger von der Krise betroffen als etwa die Banken in Frankfurt. Denn sowohl die Umwelt- als auch die Biotechnologien sind die Branchen der Zukunft. Wir brauchen sie und deshalb werden wir auch Wege finden, sie zu finanzieren."
Die Tech-Firmen hoffen jetzt auf neue Investoren von außerhalb. Der Dollar ist schwach, die Zukunftsaussichten der Branche gut das lockt ausländische Investoren: "Die Europäer haben schon immer traditionell in unserem Land investiert, jetzt kommen Gelder aus Asien und dem mittleren Osten dazu", sagt Lissak. Das Silicon Valley werde sich bald umstellen: "Da draußen ist so viel Geld und es gibt genügend Leute, die mit den neuen Technologien Geld verdienen wollen."
Auch Branchen-Kenner Gardner ist vorsichtig optimistisch: "Das Gute an der Krise ist, dass es die Industrie zwingt, kreativer zu werden. Wir werden uns nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten umsehen müssen, genauer überlegen, wo die Marktlücken sind und welche ungewöhnlichen Wege wir gehen können. Das kann uns langfristig nur helfen."