Zur Ausgabe
Artikel 37 / 121

Strom Solarenergie, ja bitte

Sonnenenergie vor dem Durchbruch? Großkonzerne in den USA und in Japan planen die industrielle Großfertigung von Solaranlagen, die Hersteller melden schon heute einen Auftragsboom. Nur die deutsche Industrie wehrt sich im eigenen Land gegen den Trend - sie will ihre Gewinne aus der traditionellen Stromerzeugung nicht gefährden.
aus DER SPIEGEL 30/1996

Zukunftsminister Jürgen Rüttgers hat für die Solarenergie nicht viel übrig - zumindest kein Geld. Das 100 000-Dächer-Programm der Sozialdemokraten, wetterte der CDU-Minister, sei »eine Kriegserklärung an die Vernunft«.

Mit rund drei Milliarden Mark Steuergeldern will die SPD den Kauf von Solardächern in den nächsten zehn Jahren fördern. Reiner »Budenzauber«, befand Rüttgers. Der Anteil des Solarstroms werde sich selbst mit einer Milliardenspritze um lediglich 0,04 Prozent erhöhen. Das Gerede der Opposition vom Solarzeitalter sei »Wahnsinn«.

Der Wahnsinn breitet sich weltweit aus. An der Spitze der Solarbewegung, die erstmals nennenswerte Teile der Wirtschaft erfaßt, stehen Japan und die USA.

Nachdem die japanische Regierung im vergangenen Jahr ein aufwendiges Förderprogramm auflegte, werfen Großkonzerne wie Sanyo, Mitsubishi, Sharp oder Kyocera fast monatlich neue Sonnenenergiesysteme auf den Markt. »Wir stehen«, heißt es bei Sanyo, »vor einer entscheidenden Wende« in der Energieversorgung. Und die wollen die Japaner nicht verpassen.

Selbst branchenferne Unternehmen wie Toyota engagieren sich. Ein Joint-venture mit einem der führenden japanischen Hersteller von Sonnenheizungen, Asahi Solar, soll dem Autobauer einen Spitzenplatz auf dem lukrativen Zukunftsmarkt sichern.

Euphorie auch in den USA: Die amerikanische Solarindustrie, titelt die New York Times, befinde sich in einem wahren »Export-Boom«. »Wir haben«, freut sich Allen Barnett, Chef der viertgrößten amerikanischen Solarfirma Astro Power, »mehr Nachfrage, als wir bewältigen können.« Wie zahlreiche seiner meist kleinen und mittelständischen Branchenkollegen will deshalb auch Barnett die Produktionskapazität in den nächsten Monaten drastisch aufstocken - Solarenergie, ja bitte.

Dabei steht der große Aufschwung noch bevor: In den nächsten fünf Jahren, schätzt die US-Energiebehörde, werde sich der Absatz von Solarzellen weltweit um rund 70 Prozent erhöhen. Auf diesem Markt, prophezeit Christine Ervin, bei der Bundesbehörde verantwortlich für regenerative Energie, sei schon bald enorm viel Geld zu verdienen.

Selbst die nicht gerade sonnenverwöhnten Briten beginnen sich für Solarenergie zu erwärmen. Module, auf Dächern montiert und in die Fassaden von Bürogebäuden integriert, so das Ergebnis eines Forschungsprojekts, könnten rund ein Drittel des benötigten Stroms erzeugen. Fasziniert von diesem Gedanken, widmete die Financial Times dem neuen Phänomen gleich eine ganze Serie: »Here comes the sun.«

Nur Deutschland ist - wieder mal - dabei, den Anschluß an eine Technologie zu verpassen. Auf dem Solarmarkt wiederholt sich, was in der Unterhaltungselektronik und auf dem Computermarkt vor langem schon passierte: Die heimische Forschung ist weltweit vorn. Die Entwicklung marktreifer Produkte übernehmen andere.

Dabei wird die Notwendigkeit zur Energiewende von niemandem ernsthaft bestritten. Durch die Verfeuerung von fossilen Energieträgern wie Kohle, Öl oder Gas spitzt sich die Klimasituation auf der Erde dramatisch zu. Allen Krisenkonferenzen zum Trotz steigt der CO2-Ausstoß weiter an. Mit der Sonne steht ein schier unerschöpfliches Potential zur Verfügung, das durch die Solartechnik in Strom umgewandelt werden kann - ohne jeden Schadstoffausstoß.

Noch immer steht die Entwicklung der Solartechnik im Gegensatz zur konventionellen Kraftwerkstechnik erst am Anfang. Der Wirkungsgrad von heute 15 bis 17 Prozent, schätzen Wissenschaftler übereinstimmend, könnte schon in wenigen Jahren über 30 Prozent liegen.

Doch in deutschen Industriekonzernen ist von Aufbruchstimmung keine Spur. Man dürfe, warnt Siemens-Chef Heinrich

von Pierer, »die Bedeutung der Solarenergie nicht überschätzen«. In hiesigen Breiten werde der Sonnenstrom in den nächsten Jahren keine bedeutende Rolle spielen. Siemens-Solar, nach dem Kauf der amerikanischen Arco Solar 1990 zum Weltmarktführer aufgestiegen, baut in Europa sogar Kapazitäten ab.

Nach zwei Verlustjahren ist in dem Gemeinschaftsunternehmen mit dem Stromerzeuger Bayernwerk ein harter Sparkurs angesagt. Das Werk in München wird derzeit auf die Größe einer Pilotanlage zusammengestutzt. Nicht einmal 100 Menschen sollen dort Ende des Jahres noch arbeiten.

Das sei, rechtfertigt Geschäftsführer Gernot Oswald die Entscheidung, die Anpassung an die tatsächlichen Verhältnisse, an den Markt. In Entwicklungsländern, wo die Technik gebraucht werde, fehle das Geld. In Europa sei das Geld vorhanden, aber die Technik erweise sich als nicht wirtschaftlich. Jedes Kilowatt aus Solarproduktion, so der Geschäftsführer, sei in Deutschland fünf- bis achtmal so teuer wie Strom aus herkömmlichen Kraftwerken.

Warum die Module so teuer sind, zeigt ein Blick in die Münchner Produktionshallen. Jeder mittelständische Konservenhersteller erreicht einen höheren Automatisierungsgrad als die Solarproduktion der High-Tech-Firma Siemens. Per Hand werden die Glasscheiben auf Bänder gelegt, per Hand werden Kontakte verlötet, und selbst die Verpackung ist fast maschinenfrei.

Seit Jahren krankt die Solarenergie an genau diesem Phänomen: Die Hersteller scheuen Investitionskosten für eine industrielle Fertigung, weil der Markt zu klein sei. Der Markt aber bleibt so klein, weil die industrielle Fertigung fehlt.

Ein Teufelskreis, den japanische und amerikanische Unternehmen jetzt aufbrechen wollen. Diese arbeiten an automatisierten Herstellungsverfahren, um die Modulkosten auf ein Viertel des heutigen Preises zu drücken.

Besonders in den zahlreichen mittelständischen Betrieben auf dem amerikanischen Markt herrscht Aufbruchstimmung. So hat sich Solarex, hinter Siemens der zweitgrößte Hersteller von Solartechnik auf dem US-Markt, ehrgeizige Pläne gesetzt.

Das Unternehmen will im indischen Rajasthan für rund 100 Millionen Dollar eine Solarfarm errichten, mit der rund 200 000 Häuser versorgt werden könnten. Im nächsten Jahr soll deshalb eine neue Fabrik in den USA für rund 25 Millionen Dollar entstehen. Außerdem wird im bestehenden Werk die Kapazität verdreifacht. Zur Zeit werden in den USA neue automatisierte Produktionsverfahren erprobt, die den Preis von rund 4,50 Dollar pro Watt auf unter einen Dollar senken sollen.

Bei Siemens-Solar sieht man für einen solchen Kraftakt derzeit keine Notwendigkeit. Dort will man auf eine leistungsfähige Generation von Zellen warten. Denn gerade auf dem deutschen Strommarkt mit seinem »exzellenten Angebot«, sagt Oswald, habe die Sonne ohne politische Fördermaßnahmen in absehbarer Zeit keine Zukunft.

Kein Wunder: Die großen Stromproduzenten, wichtige Abnehmer für den Siemens Kraftwerksbau, sperren sich seit Jahren gegen jeden Angriff auf ihre Monopole - und die Solarenergie ist ein Frontalangriff. Zwar ist die derzeitige Leistung in Deutschland (0,3 Prozent) winzig klein. Doch preisgünstige Solardächer könnten dazu führen, daß sich Millionen Hausbesitzer an jeder Stelle ins Netz einklinken, um ihre selbstgewonnene Energie einzuspeisen. Für die Stromwirtschaft mit ihren zentralen Großkraftwerken ist ein solches Internet der Kleinstromproduzenten eine Horrorvorstellung.

Auch Siemens hätte unter diesen Strukturen zu leiden. Im Kraftwerksgeschäft mit den Strombossen setzt das Unternehmen 8,4 Milliarden um. »Wer legt sich schon ohne Not mit seinen besten Kunden an?« fragt SPD-Energiepolitiker Hermann Scheer.

Wie rigide die deutschen Energieversorger mit dem Thema umgehen, hat Stromprimus RWE Ende vergangenen Jahres eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Die Angewandte Solarenergie GmbH (ASE), der zweite nennenswerte Solarzellenproduzent neben Siemens, schloß in Wedel bei Hamburg ihre Tore. Nur drei kleine Produktionen werden in Deutschland noch weitergeführt.

Dabei hatten RWE und Daimler erst eineinhalb Jahre zuvor ihre Solaproduktion unter dem Dach der ASE zusammengefaßt. Mit geballter Kompetenz, so hieß es damals, wolle man in den Markt einsteigen.

Doch der Sinneswandel kam schnell. Solarenergie, ließ RWE schon wenige Monate später verkünden, sei in »Deutschland einfach noch nicht anwendungsreif« - der Todesstoß für ASE.

In einer gerade erschienen Denkschrift des Bundesverbandes Solarenergie, in dem RWE, Siemens und das Bayernwerk vertreten sind, wird das eigentliche Ziel der Konzerne deutlich: Solarenergie ja, aber nicht bei uns. Für Entwicklungs- und Schwellenländer beurteilen die Manager die Perspektiven hingegen günstig.

In der Dritten Welt wollen die Strombosse denn auch ihren guten Willen beweisen. Erst kürzlich beschlossen acht führende Energieversorger, die sich in Köln zu einem Spitzengespräch über ihren Beitrag zur Klimavorsorge verständigten, in Indonesien ein umweltfreundliches Solarprojekt zu bauen. Ein Teil der Kosten in Höhe von 4,3 Millionen Dollar, so RWE-Chef Dietmar Kuhnt großzügig, werde von den Stromriesen getragen.

Doch ganz so uneigennützig, wie der RWE-Boß die Sache verkauft, ist sie nicht. Künftige Umweltprojekte in der Dritten Welt wollen sich die Unternehmen auf ihrem Schadstoffkonto zu Hause gutschreiben lassen. Eine elegante und

besonders preiswerte Lösung, so hoffen sie, ihrem Versprechen zur drastischen

Minimierung des CO2-Ausstoßes nachzukommen.

Unterdessen kann die Blockadepolitik vor der eigenen Haustür weitergehen. Vehement wehren sich die Stromkonzerne selbst gegen kleinste Vorstöße der wachsenden Schar von Solaranhängern. So kämpfte der Aachener Stadtrat in einer seltenen Koalition von CDU, SPD und Grünen monatelang mit RWE um eine kostendeckende Einspeisevergütung für Solarstrom. »Das war wie David gegen Goliath«, klagt CDU-Stadtrat Wolfgang Vorbrüggen.

Erst als die Aachener drohten, den Konzessionsvertrag mit RWE nicht wieder zu verlängern, lenkte der Stromriese ein. Genau zwei Mark erhalten Aachener Bürger seitdem für jede Kilowattstunde ins Netz eingespeisten Solarstroms. Der Stromproduzent kann die Mehrkosten auf den allgemeinen Stromtarif umlegen.

Auch manchen Politikern gefällt das Aachener Modell. Besonders bei den Grünen gibt es ernsthafte Überlegungen, eine kostendeckende Einspeisevergütung gesetzlich zu verankern.

Grund genug für RWE, Anfang des Monats in die Offensive zu gehen. Als erster Energieversorger bietet das Essener Unternehmen einen Ökotarif an. Der Plan: Die Kunden bezahlen freiwillig 20 Pfennig mehr pro Kilowattstunde Strom, was in etwa eine Verdoppelung des Preises bedeutet. RWE legt noch mal zwei Groschen drauf und verpflichtet sich, davon Öko-Kraftwerke zu bauen.

Viel Zuspruch zu diesem Tarif, hofft RWE offenbar, werde es nicht geben. Vielmehr soll der Nachweis erbracht werden, daß Öko-Strom in Deutschland keine Chancen hat.

»Das Ergebnis der Aktion«, kündigte RWE-Vorstand Rudolf Schwan denn auch schlitzohrig an, werde der Konzern »auch für die politische Diskussion« nutzen.

[Grafiktext]

Solarzellenproduktion in Europa 1994

[GrafiktextEnde]

* Versuchsfeld in Almeria.* In der Mojave Wüste.* Bei Siemens-Solar in München.

Zur Ausgabe
Artikel 37 / 121
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten