Belastetes Stromnetz Groß-Störfall Sonnenfinsternis

Totale Sonnenfinsternis (Archivbild): Extrembelastung für das Stromnetz
Foto: Ian Hitchcock/ Getty ImagesAls erste deutsche Stadt trifft es Aachen. Am Freitagmorgen um 9.30 Uhr wird der Himmel trüb werden, ganz so, als würde eine Schlechtwetterfront aufziehen. In Wahrheit schiebt sich der Mond vor die Sonne.
In Aachen soll es Freitag leicht bewölkt sein, das Naturspektakel der 80-prozentigen Sonnenfinsternis wird dem Betrachter deshalb nicht besonders auffallen. Für die Stromversorger in ganz Deutschland dagegen ist dieser Freitagvormittag der Ernstfall.
Denn die deutsche Versorgung hängt inzwischen zu einem beachtlichen Teil an der Sonne. Bei wolkenlosem Himmel liefert die Solarenergie teils so viel Strom wie 25 Atomkraftwerke. Und an vielen Orten Deutschlands soll der Himmel am Freitag wolkenfrei sein. Zum Beispiel in Bayern, wo besonders viele Solaranlagen stehen.
Hunderttausende Solaranlagen dürften deshalb zu Beginn der Sonnefinsternis ihre Stromproduktion fast völlig einstellen und gegen Ende des Naturschauspiels ruckartig wieder hochfahren. Die Stromproduktion könnte dadurch in wenigen Stunden erst um bis zu 10.000 Megawatt fallen und später um bis zu 20.000 Megawatt wieder nach oben schießen.
Peter Hoffmann, Leiter der Netzführung beim Netzbetreiber Tennet, nennt das "einen gewaltigen Schlag ins System". Eine Situation, "die noch nie dagewesen ist". Er sagt, man erwarte den Freitag "mit großem Respekt". Ein Jahr lang haben sich die Versorger auf den 20. März vorbereitet. Aber ob ihre Vorbereitungen wirklich reichen, wird sich erst am Freitag zwischen 9.30 Uhr und 12 Uhr zeigen.
Tennet und andere Netzbetreiber halten für Freitag 8000 Megawatt sogenannter Regelleistung vor. Das bedeutet, dass bei einem plötzlichen Abfall der Stromproduktion aus Solaranlagen eine große Menge zusätzlicher Strom von konventionellen Kraftwerken und Pumpspeicheranlagen abgerufen werden kann - und zwar binnen Minuten, per Mausklick.
Die Kraftwerksbetreiber haben sich dazu verpflichtet, ihre Werke, die sie normalerweise am Vormittag vom Netz nehmen, wenn die Sonne scheint, den ganzen Tag mit Minimalleistung laufen zu lassen, um sie dann bei Bedarf rasch hochzufahren. Zusätzlich steht Energie aus Kraftwerken in Norwegen und Polen bereit.
Es geht um Sekunden
Am Ende wird es aber nicht nur darum gehen, dass genug Kapazität da ist, um die Schwankungen in der Stromproduktion auszugleichen. Es wird auch darum gehen, wie präzise die Kraftwerke dies tun. Es wird Momente geben, in den kritischen Stunden am Freitagvormittag, wo sich die Netz- und Kraftwerksbetreiber nicht länger als ein paar Sekunden lang einen Fehler erlauben dürfen.
Heikel wird es vor allem, wenn die Solaranlagen wieder anfangen, Strom zu produzieren. Denn dann steigt im Stromnetz auch die sogenannte Frequenz, die zum Beispiel die Drehzahl von Uhren, Generatoren und Bändern bestimmt. Ist die Frequenz zu hoch, drehen sich Generatoren und Fabrikbänder schneller. Dadurch könnten dann zum Beispiel Turbinen zerstört werden. Normalerweise liegt die Frequenz bei gut 50 Hertz. Wird der Schwellenwert von 50,2 Hertz überschritten, werden Stromquellen automatisch abgeschaltet, um sie wieder zu senken.
Dadurch aber kommt es zu weiteren Frequenz- und Spannungsschwankungen in den Netzen, was dazu führen kann, dass weitere Kraftwerke sich abschalten. Schlimmstenfalls droht in einigen Regionen ein Stromausfall von einigen Minuten oder sogar Stunden. Oder gar der flächendeckende Blackout. Das wäre dann ein sogenannter Groß-Störfall.
Hoffmann rät vorsorglich, am Freitagvormittag möglichst keinen Fahrstuhl oder Skilift zu benutzen. Man könnte sonst schlimmstenfalls steckenbleiben. Das Bundesamt für Katastrophenschutz in Bonn geht noch weiter. Die Behörde rät der Bevölkerung sogar zur "Notbevorratung". Und dazu, ein batteriebetriebenes Radio und eine Taschenlampe bereit zu halten.
Zum Stillstand der Produktion in Fabriken oder zu Blackouts in OP-Sälen der Kliniken wird es dagegen nicht kommen. Dort ist ohnehin eine "unterbrechungsfreie Stromversorgung" USV vorgeschrieben. Hauseigene Notstromaggregate würden bei einem Blackout einspringen.
Zusammengefasst: Die Sonnenfinsternis wird am Freitag massive Schwankungen im deutschen Stromnetz verursachen. Die Netzbetreiber haben sich mit einem umfassenden Notfallplan darauf vorbereitet - und sind dennoch nervös, ob dieser wirklich reicht.