Henrik Müller

Wirtschaft, Börsen, Politik 2018 Heiße Zeiten

Wirtschaft, Börsen, Politik: Was steht uns 2018 bevor? Die globale Konjunktur läuft auf Hochtouren. Doch die Risiken steigen, und sie gehen vor allem von der Politik aus.
Stahlkocher

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Foto: Morris MacMatzen/ Getty Images

Die Vorhersagen sind ausgesprochen optimistisch. 2018, so prophezeien es die allermeisten Prognosen, wird ein gutes Jahr für die Wirtschaft. Zweifel sind erlaubt. Aber dazu gleich mehr.

Auf den ersten Blick sind die ökonomischen Rahmendaten so gut wie lange nicht. Rund um den Globus wachsen praktisch alle großen Volkswirtschaften (nur das Brexit-gefährdete Großbritannien schwächelt. Erstmals seit Ausbruch der Finanzkrise vor zehn Jahren erfreut sich die Welt eines synchronen Aufschwungs. Die Beschäftigung steigt. Die Laune bei Bürgern und Unternehmen hellt sich auf, Konsum und Investitionen ziehen an.

Die Zeiten der Dauerkrise scheinen endgültig vorbei zu sein. In der Eurozone hat die Dynamik inzwischen auch Länder erfasst, die noch vor Kurzem als hoffnungslose Fälle galten. Ähnlich das Bild auf globaler Ebene, wo vormalige Krisenländer wie Brasilien und Russland wieder auf Wachstumskurs sind.

Aber, wie gesagt, Zweifel sind erlaubt. Risiken gibt es diverse. Sie sind schwer zu beziffern, und sie tauchen an Stellen auf, die die üblichen Konjunkturprognosen nicht unbedingt im Blick haben.

Die Wirtschaft und ihre Idealmaße

Man kann sich die Wirtschaft vorstellen als Bild, das aus drei Kreisen besteht. Diese Kreise überlappen sich an einigen Stellen. Aber innerhalb des jeweiligen Kreises geschehen auch Dinge, die ihrer ganz eigenen Dynamik folgen.

Beginnen wir mit dem ersten Kreis: der realen Wirtschaft. Das ist der Teil der Ökonomie, den wir tatsächlich erleben. In diesem Kreis werden Dienstleistungen erbracht und Güter produziert. Es wird gearbeitet, gegessen, getrunken - gelebt.

Dieser realwirtschaftliche Kreis steht im Fokus der Konjunkturprognosen. Der Maßstab ist dabei ein gedachtes Ideal: Demnach befindet sich eine Volkswirtschaft in einem ausgewogenen Zustand, wenn die Produktionskapazitäten gerade so weit ausgelastet sind, dass nicht in großem Stil Überstunden gemacht oder Aufträge abgelehnt werden müssen. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig, übermäßige Preissteigerungen gibt es nicht.

In diesem Idealzustand bewegt sich die Gesellschaft mit ihrer ökonomischen Wohlfühlgeschwindigkeit voran. Und die kann von Land zu Land höchst unterschiedlich sein, je nachdem wie schnell die Bevölkerung zu- oder abnimmt. Wo die Kopfzahl rasch wächst, wie etwa in Indien - das 2018 voraussichtlich unter allen großen Volkswirtschaften das größte Plus beim Sozialprodukt verzeichnen wird -, muss auch die Wirtschaft rasch wachsen. Wo die Bevölkerung schrumpft, wie in Japan, ist bereits ein Wirtschaftswachstum von knapp über 1 Prozent reichlich schnell.

Viele Prognosen gehen davon aus, dass 2018 viele Volkswirtschaften oberhalb der Wohlfühlgeschwindigkeit unterwegs sein werden. Das heißt: Die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen wächst schneller als die Produktionsmöglichkeiten. Verspannungen treten auf: unbesetzte Stellen, steigende Preise (achten Sie insbesondere auf Mieten).

In Deutschland ist das bereits seit einigen Jahren sichtbar. Unter den westlichen Ländern ragt die Bundesrepublik in dieser Hinsicht heraus. Die "Produktionslücke" wird immer größer; nach OECD-Kalkulationen wird sie 2018 bei 3,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen.

In einer solchen Phase nehmen typischerweise Verteilungskämpfe zu, wie sich etwa an der Auseinandersetzung in der Metallindustrie zeigt. Eine überfällige Entwicklung angesichts des gigantischen außenwirtschaftlichen Überschusses der deutschen Wirtschaft, aber eben auch ein Unsicherheitsfaktor.

Realwirtschaftliche Risiken sind jedoch in modernen Volkswirtschaften zumeist beherrschbar. Anders als früher wirken heute große Dienstleistungssektoren und Sozialstaaten stabilisierend. Im zweiten Kreis der Wirtschaft können Ungleichwichte schwerere Verwerfungen nach sich ziehen.

Droht 2018 ein Crash?

Wenn die Realwirtschaft der erste Kreis der Wirtschaft ist, dann sind die Finanzmärkte der zweite Kreis. Natürlich, beide Kreise überlappen sich teilweise. Aber die Finanzmärkte führen auch ein intensives Eigenleben, das sich weit von der realen Wirtschaft entfernen kann - wie sich etwa an der Bitcoin-Blase zeigt - und das sehr wohl Rückwirkungen auf den Wohlstand der Nationen hat.

Auch für Kapitalmärkte gibt es Maßstäbe, an denen sich Risiken abschätzen lassen. Einer dieser Maßstäbe sind die Bewertungen von Wertpapieren und Immobilien. So lassen sich Aktienkurse an den Unternehmensgewinnen messen. Liegt das Verhältnis zwischen den Kursen und den Gewinnen der Firmen weit über dem historischen Durchschnitt, steigt das Crashpotenzial.

Genau das ist derzeit der Fall: Die Börsen haben einen langen Aufwärtstrend hinter sich. Nach Berechnungen des US-Ökonomen (und Nobelpreisträgers) Robert Shiller sind amerikanische Aktien derzeit teurer als vor dem Ausbruch der Finanzkrise von 2007. Ähnliches gilt für Anleihen, für Immobilien und für viele andere Anlageklassen. Gemessen, was an Erträgen zu erwarten ist, sind die Kapitalmärkte extrem hoch bewertet. In den großen deutschen Städten beispielsweise kosten Wohnimmobilien heute zwei Drittel mehr als 2010, hat die Bundesbank ermittelt.

Es ist nicht so, dass seit der Finanzkrise von 2007 im finanzwirtschaftlichen Kreis der Weltwirtschaft Solidität eingekehrt wäre. Das zeigt sich auch an der Verschuldung.

Im Schnitt der OECD-Länder sind die Schulden gemessen an der Wirtschaftsleistung extrem hoch: Staaten, Unternehmen und private Haushalte schieben gigantische Verbindlichkeiten vor sich her. Von einem gesamtwirtschaftlichen Schuldenabbau kann keine Rede sein. Selbst in Deutschland, das sich gern als Stabilitätsweltmeister sieht, wächst die private Verschuldung inzwischen schneller als die Wirtschaft.

Auch in China sind es vor allem die Unternehmen, die extrem hoch verschuldet sind. Ob der staatlich verordnete Risikoabbau ohne große Verwerfungen gelingt, ist eine der großen offenen Fragen für 2018.

Eigentlich ist es ganz simpel: Auf Dauer können Schulden nicht schneller steigen als die Einkommen. Sonst kommt es irgendwann zum Crash. Dann übertragen sich Schockwellen aus dem finanzwirtschaftlichen Kreis auf den realwirtschaftlichen - aus einer Finanz- wird eine Wirtschaftskrise.

Wird es 2018 zum Crash kommen? Möglich. Als großer Risikofaktor gilt der Ausstieg der großen Notenbanken aus dem Krisenmodus, vor allem der amerikanischen Fed und der Europäischen Zentralbank (EZB). Bislang haben sie mit extrem niedrigen Zinsen den Finanzboom gepäppelt, in der Hoffnung, damit auch der Realwirtschaft auf die Beine zu helfen. Nun hebt die Fed allmählich die Zinsen an und baut ihre Wertpapierbestände ab, die sie während der Krise aufgekauft hatte; die EZB fährt immerhin ab Januar ihre Wertpapierkäufe zurück.

Doch die beiden großen Zentralbanken gehen sachte und berechenbar vor. Aufruhr im finanzwirtschaftlichen Kreis wollen sie auf jeden Fall verhindern. Die größten Unwägbarkeiten drohen deshalb aus dem dritten Kreis.

Italien, Trump, Merkel - und andere Unwägbarkeiten

Erschütterungen drohen 2018 insbesondere aus der Politik. Für den Moment scheint diese Sphäre zwar unkritisch. Solange in den beiden anderen Kreisen keine akuten Probleme auftreten, mögen politische Lähmungserscheinungen zunächst nicht weiter ins Gewicht fallen. Aber das Störpotenzial ist enorm.

Zum Beispiel Italien. In einem der am höchsten verschuldeten Staaten der Welt stehen im März Wahlen an. Der mögliche Gewinner, die Fünf-Sterne-Bewegung, hat mit der Idee eines Euro-Austritts gespielt, ebenso die rechtspopulistische Lega Nord. Zwar haben beide Kräfte ihre Positionen inzwischen abgemildert. Aber das Unsicherheitsmoment bleibt. Kein Wunder, dass in den letzten Wochen des Jahres die Risikoaufschläge auf italienische Staatsanleihen sprunghaft gestiegen sind: Sollte in Rom eine Anti-Euro-Regierung ins Amt kommen, dürfte die Krise der Währungsunion zurückkehren, und zwar mit ungleich größerer Wucht als beim letzten Ausbruch 2010 bis 2012.

Zum Beispiel Deutschland. Bis vor Kurzem galt die Bundesrepublik als ruhender Pol im Zentrum Europas. Nun zieht sich die Regierungsbildung quälend lange hin. Angesichts der exzellenten Wirtschaftslage mag das eine Zeitlang gut gehen. Sollten aber die schwarzroten Sondierungen scheitern und womöglich anschließende Neuwahlen erneut keine klare Mehrheit hervorbringen, würde dies nur den Zynismus befördern - im Innern, weil der Mangel an langfristiger Orientierung schon jetzt messbare Folgen hat, und in Europa, weil die Eurozone höchst unsicheren Zeiten entgegendriftet ohne ein handlungsfähiges Deutschland.

Zum Beispiel Amerika. In den USA stehen im Herbst die Halbzeit-Wahlen zum Kongress an. Bislang haben die Republikaner in beiden Kammern die Mehrheit. Schon jetzt regiert der republikanische Präsident damit nicht gerade übermäßig effektiv. 2018 droht Donald Trump nun zumindest im Repräsentantenhaus ein Verlust der Mehrheit - während seine Partei von Rechts durch seinen ehemaligen Chefstrategen, den rechtsextremen Stephen Bannon, unter Druck gesetzt wird. Es ist nicht abwegig anzunehmen, dass der drohende Verlust der Parlamentsmehrheit den Präsidenten zu erratischen - und folgenreichen - Aktionen verleiten wird. Die Palette potenzieller Ziele Trump'schen Zorns ist breit - von protektionistischen Maßnahmen gegenüber engen Handelspartnern (wie Mexiko, China oder Deutschland) bis hin zu unbedachten Aktionen gegen Nordkoreas atomgetriebenen Diktator Kim Jong Un.

Auch in wichtigen Schwellenländern stehen politische Weichenstellungen an. Im März wird Wladimir Putin wohl erneut zum russischen Präsidenten gewählt. Allerdings hat der als Kandidat ausgeschlossene Oppositionspolitiker Alexej Nawalni bereits lautstarke Proteste angekündigt. Die Fußball-WM im Sommer, wenn alle Welt auf Russland schaut, könnte ihm eine globale Bühne bieten.

Auch Brasilien und Mexiko wählen 2018 neue Präsidenten. Möglich, dass Lateinamerika eine Rückkehr des Populismus erlebt; zuletzt hatten dort technokratische Regierungen an Einfluss gewonnen.

Die Aufzählung ließe sich verlängern: Brexit, Katalonien, Naher Osten, Südchinesisches Meer…: All diese Entwicklungen haben das Zeug, Verwerfungen auszulösen in den beiden anderen Kreisen - in der Finanz- und in der Realwirtschaft.

Die Auslöser mögen von Land zu Land unterschiedlich sein. Aber es gibt einen großen gemeinsamen Nenner: Wie zuvor die Märkte, so ist nun auch die Politik aus dem Gleichgewicht geraten.

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Turbo-Demokratismus als Störfaktor

Stabile westliche Staaten stützten sich traditionell auf eine breite Mitte: Eine große Mehrheit der Bürger lebte unter ähnlichen Umständen und teilte ähnliche Werte. Wer Wahlen gewinnen wollte, musste die Mitte gewinnen. Entsprechend gab es zwar immer wieder Regierungswechsel, aber keine grundlegenden Kurswechsel. Und die großen westlichen Länder, voran die USA, mühten sich, diese Stabilität zu exportieren.

Diese Zeiten sind vorbei. Eine neue Ära des Turbo-Demokratismus hat begonnen.

Der Grund ist nicht nur die Globalisierung, die zu Verschiebungen in der Real- und zu Verwerfungen in der Finanzwirtschaft geführt hat. Mindestens genauso relevant ist der Strukturwandel, den die Veränderungen der Mediensysteme hervorgerufen haben.

Noch vor wenigen Jahren herrschten stabile politische Oligopole: Die öffentliche Meinung wurde bestimmt von wenigen Volksparteien, Gewerkschaften, Verbänden und einer begrenzten Zahl von meinungsbildenden Blättern und Sendern. Gemeinsam formten sie die öffentliche Meinung und bestimmten die politische Agenda. Themen, die von diesem Geflecht ignoriert wurden, fanden in der Öffentlichkeit nicht statt.

Inzwischen jedoch sind politische Märkte bestreitbar geworden und deshalb hochgradig wettbewerbsintensiv. Die Zutrittsbarrieren sind niedrig. Es braucht keine komplexen Organisationen mehr. Via Facebook und Twitter lassen sich binnen Kurzem Protestbewegungen zusammentrommeln - oder, wie in Großbritannien, ein EU-Austrittsreferendum kapern.

Die traditionellen Eliten sind angreifbar geworden. In unfreien Systemen mag das befreiende Wirkung haben. In etablierten Demokratien jedoch droht eine Destabilisierung des politischen Systems.

In der letzten Finanzkrise war der dritte Kreis noch ein stabilisierendes Moment. Für die Zukunft ist das keineswegs gesagt.

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