Florian Diekmann

Erhöhung auf 9,35 Euro Der Mindesthohn

Der Mindestlohn soll bis 2020 um 5,8 Prozent steigen - das klingt ordentlich, reicht aber nicht zum Leben aus. Es gibt dringende Gründe, den Satz deutlich stärker zu erhöhen.
Beschäftigter in der Gastronomie

Beschäftigter in der Gastronomie

Foto: Sebastian Gollnow/ dpa

Die Mindestlohnkommission hat für eine kleine Überraschung gesorgt. Sie hat sich nicht darauf beschränkt, für Anfang 2019 eine Erhöhung auf 9,19 Euro zu empfehlen - wie es seit Monaten erwartet wurde. Sie hat gleichzeitig eine weitere Anhebung auf 9,35 Euro ab 2020 vorgeschlagen - was kaum jemand erwartet hat.

Damit hat die Kommission aber auch schon so ziemlich alle Spielräume ausgereizt, die ihr das enge Korsett ermöglicht, das sie sich selbst gegeben hat. So steigt der Mindestlohn nach wie vor nur in dem Maße, in dem auch die Tarifgehälter steigen - und zwar nachträglich. Die Empfänger werden diese Erhöhung nun lediglich mit etwas weniger Verzögerung spüren als bislang, da der Mindestlohn jeweils zwei Jahre lang unverändert galt.

Dabei gibt es viele gute Gründe dafür, den Mindestlohn deutlich stärker anzuheben.

Nur zur Erinnerung: Bereits die Ausgangshöhe von 8,50 Euro war relativ niedrig bemessen. Kein Wunder. Sie wurde 2013 bei den Koalitionsverhandlungen einer Regierung politisch festgelegt, in der es der schwächere Partner - die SPD - bereits als großen Erfolg empfand, überhaupt einen Mindestlohn durchgesetzt zu haben. Und in der der stärkere Partner - die Union - eigentlich gar keinen Mindestlohn wollte, und wenn schon, dann wenigstens einen möglichst wenig spürbaren.

Der damals befürchtete Schaden - Jobverluste und Firmenpleiten - ist indes nicht eingetreten, wie man heute weiß. Die grundsätzliche Skepsis gegen einen Mindestlohn ist deshalb auch bei den Gegnern von damals erheblich kleiner geworden. Eine einmalige außerordentliche Erhöhung würde also erst einmal die übertriebene Vorsicht bei der Einführung korrigieren.

Wie niedrig das Niveau des deutschen Mindestlohns ist, zeigt allein der Vergleich mit Nachbarn wie Belgien, Frankreich oder den Niederlanden: Selbst die 9,35 Euro, auf die er hierzulande erst Anfang 2020 steigen wird, liegen immer noch unter dem Betrag, der bereits heute in allen westlichen EU-Ländern gilt, mit Ausnahme Großbritanniens.

Auch weitere Erfahrungen und Entwicklungen der vergangenen fünf Jahre sprechen für eine spürbare Erhöhung.

So hat sich gezeigt: Der Mindestlohn hilft effektiv gegen Ungleichheit. Von 2012 bis 2015 - dem ersten Jahr mit Mindestlohn - sind die Reallöhne in den untersten Einkommensgruppen deutlich stärker gestiegen als in den mittleren, nachdem sie zuvor zwei Jahrzehnte lang stark gefallen waren. Zwar kann der Mindestlohn nicht verhindern, dass die Gutverdiener ihren Einkommensabstand zur Mitte stetig vergrößern - aber er verhindert zumindest, dass auf der anderen Seite die Geringverdiener immer weiter von der Mitte abgehängt werden.

Zudem treffen die stark gestiegenen Mieten der vergangenen Jahre insbesondere Geringverdiener. Ihre dadurch überdurchschnittlich gewachsenen Lebenshaltungskosten rechtfertigen eine ebenso überdurchschnittliche Lohnerhöhung. Derzeit reicht selbst ein Vollzeitjob zum Mindestlohn in 19 der 20 größten deutschen Städte nicht zum Leben.

Die Betroffenen müssen sich regelrecht verhöhnt fühlen. Um das dortige Existenzminimum zu erreichen, müssen sie mit Hartz IV aufstocken - eine Leistung, die offiziell "Grundsicherung für Arbeitssuchende" heißt. Menschen, die 40 Stunden in der Woche arbeiten, gehören schon per Definition nicht in dieses System.

Auch sonst wäre der Mindestlohn ein Schlüssel für viele Probleme in der aktuellen Debatte über Hartz IV. So sind - nur ein Beispiel - die Regelsätze auf einer fehlerhaften statistischen Grundlage berechnet und damit schlicht zu niedrig. Gegen die eigentlich unabdingbare Erhöhung bringen Ökonomen oft das sogenannte Lohnabstandsgebot vor, das früher sogar Gesetzesrang hatte. Es besagt vereinfacht, dass man mit einem Vollzeitjob besser gestellt sein muss als mit Sozialleistungen - auch, um einen Anreiz zur Arbeitsaufnahme zu setzen.

Nun ist der Verweis auf das Lohnabstandsgebot moralisch durchaus gerechtfertigt. Allerdings nicht als Begründung für einen mutwillig zu niedrig berechneten Hartz-IV-Regelsatz. Der Abstand zur Grundsicherung kann auch durch spürbar steigende Einkommen im Niedriglohnsektor erreicht werden. Ein deutlich höherer Mindestlohn wäre ein Schritt in diese Richtung.

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