
Wirtschaft am Boden: Griechische Depression
Absturz der griechischen Wirtschaft Erst Depression, dann Explosion
Das Marienfest ist in der griechisch-orthodoxen Welt der Höhepunkt des Sommers. In einer der vielen Kirchen erbitten die Gläubigen die Gnade der Mutter Gottes, nicht selten auf den Knien rutschend. Das Gleiche empfiehlt die Zeitung "Ta Nea" der griechischen Regierung: Sie müsse auf ein Wunder der "Gnadenreichen" hoffen, damit das Land aus seiner schweren Krise erlöst werde. Ohne dieses Wunder drohe dem Mittelmeerstaat ein "heißer Herbst".
Dabei hat sich die Regierung in Athen so sehr bemüht. Mit drakonischen Sparmaßnahmen senkte sie das Haushaltsdefizit um schier unglaubliche 39,7 Prozent - nachdem ihre Vorgänger jahrelang Steuern verschwendet und Statistiken gefälscht hatten. Insgesamt wurden die Staatsausgaben um zehn Prozent zurückgefahren, 4,5 Prozentpunkte mehr als von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) vorgegeben.
Das Problem: Der Sparkurs beeinflusst mittlerweile das gesamte Wirtschaftsleben. Die Kaufkraft sinkt, der Konsum bricht ein, die Zahl der Insolvenzen und der Arbeitslosen steigt. Im zweiten Quartal schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt um 1,5 Prozent. Die Steuereinnahmen, die für die Konsolidierung des Staatshaushalts dringend nötig wären, brechen weg. In der griechischen Gesellschaft gärt ein Gemisch aus Angst, Perspektivlosigkeit und Wut.
Die Erwerbslosenquote liegt bei bis zu 70 Prozent
Nikos Meletis ist akkurat gekleidet, sein Mittelklassewagen sauber gepflegt. Er hat einmal gut verdient im Schiffsbau von Perama, gegenüber der Insel Salamis. "Noch lebe ich von meinen Rücklagen", sagt der 54-jährige Schweißer. Er steht vor den vertäuten Schiffen, auf denen sich nichts regt. Bis zu 300 Tageslöhne im Jahr hat er früher nach Hause gebracht. In diesem Jahr hat er gerade einmal 25 Tageslöhne zusammen. Dafür gibt es 25 Versicherungsmarken. 100 braucht er, damit er sich und seine Familie krankenversichern kann, seine Frau hat Krebs. "Womit soll ich das Krankenhaus bezahlen?", fragt Meletis. Arbeitslosengeld gibt es für höchstens ein Jahr, in Höhe von maximal 460 Euro im Monat. Und das nur, wenn er für die zurückliegenden 15 Monate mindestens 150 Marken vorweisen kann.
Kaum einem Arbeiter in der Schiffbauerzone von Perama gelingt das noch. In der Stadt liegt die Erwerbslosenquote bei 60 bis 70 Prozent. Das hat eine Studie der Universität von Piräus ergeben. Zwar geben 77 Prozent der griechischen Reeder an, mit der Qualität der Arbeit in Perama zufrieden zu sein. Doch fast 50 Prozent schicken ihre Schiffe für Reparaturen in die Türkei, nach Korea und China. In Griechenland seien die Kosten zu hoch, es gebe zu viel Bürokratie und zu viele Streiks - ständige Arbeitskämpfe verzögern immer wieder die Auslieferung.
Perama ist ein Extremfall, gewiss. Aber der Niedergang der Werften steht exemplarisch für die geringe Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft. Kaum eine Branche kann bei der Produktivität mit der internationalen Konkurrenz mithalten. Für das Gesamtjahr erwarten Experten einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um vier Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland hofft die Regierung auf ein Plus von bis zu drei Prozent.
Überall brechen die Umsätze weg
Das Sparpaket von Ministerpräsident Georgios Papandreou hat das Wirtschaftsleben regelrecht erschüttert. Im Öffentlichen Dienst wurden die Löhne und Gehälter um bis zu 20 Prozent gekürzt, zu harten Einschnitten kam es auch bei den Renten, außerdem wurden zahlreiche Steuern erhöht. Die Folge: Die Menschen haben immer weniger Geld zur Verfügung, überall brechen die Umsätze weg. Für ein Land, in dem 70 Prozent der Wirtschaftsleistung auf den privaten Konsum entfallen, ist das eine Katastrophe.
Das Ausmaß des Niedergangs lässt sich bei einem kurzen Spaziergang durch Athens Geschäftsstraßen erkennen. In jedem vierten Schaufenster auf der Stadiou-Straße hängt das rote Schild "Enoikiazetai" - zu vermieten. 17 Prozent der Athener Geschäfte müssen Insolvenz anmelden, hat der griechische Einzelhandelsverband ESEE errechnet.
Und in der Provinz ist es nicht besser. Chalkidona war noch vor wenigen Jahren ein Knotenpunkt für den Lastwagenverkehr rund um Thessaloniki. Zwei Hauptstraßen durchziehen das triste Nest, gesäumt von Grillstuben und Ladengeschäften für die Trucker. Maria Lialiambidou hat ihr Haus direkt an der Durchfahrtstrasse. Für die Konditorei im Erdgeschoss bekam sie früher 350 Euro Miete, das hat ihre Witwenrente von 320 Euro deutlich aufgebessert. Doch nun kann Kostas, der Konditor, den alle immer "Pfennigfuchser" nannten, die Miete nicht mehr zahlen. "Enoikiazetai" heißt es jetzt auch hier auf einem riesigen Banner.
Aber niemand möchte den Laden mieten. Auch an der Fleischerei ist keiner interessiert, die ein paar Meter weiter leer steht. "Grillstube Sakis" blinkt es leuchtend auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Sakis hält noch durch, ab und an ist ein Tisch bei ihm besetzt. "Eigentlich gibt es hier keine Arbeit mehr für mich", sagt seine albanische Hilfskraft, die sich in Griechenland Eleni nennt. "Viele meiner Landsleute gehen zurück nach Albanien, da ist es auch nicht schlimmer als hier. Mal sehen, wann ich fahren muss."
"Es brodelt wie in einem Dampfkessel"
Das ganze Land steckt in einer Depression. Überall scheint es nur abwärtszugehen, die Spirale dreht sich unaufhörlich weiter, ein Ausweg ist nicht in Sicht. Das Schlimmste jedoch ist: Kaum einer hat noch Hoffnung, dass es eines Tages besser wird.
Besonders deutlich macht das die Arbeitslosenquote. 2009 lag sie bei 9,5 Prozent, in diesem Jahr dürfte sie auf 12,1 Prozent klettern, für 2011 erwarten Ökonomen einen Wert von 14,3 Prozent. Doch das sind nur die offiziellen Zahlen, vorgelegt hat sie der Generalsekretär der OECD, Angel Gurría. Der griechische Gewerkschaftsdachverband GSEE hält die Angaben für viel zu optimistisch. Die Arbeitnehmervertreter gehen von 20 Prozent für 2011 aus. Das würde der Erwerbslosenquote von 1960 entsprechen, als Hunderttausende Griechen auswandern mussten. Gleichzeitig sei die Kaufkraft auf das Niveau von 1984 zurückgefallen, heißt es beim GSEE.
Menelaos Givalos ist Professor für politische Wissenschaften an der Universität Athen. Im Fernsehen stimmt er die Zuschauer bereits darauf ein, dass die richtig schlimmen Zeiten noch bevorstehen. Ab September, prognostiziert er, werde es eine große Entlassungswelle geben - mit "extremen sozialen Folgen".
"Alles wird teurer, ich verdiene kaum noch etwas, und dann soll ich mehr Steuern zahlen, um das Land zu retten? Wie soll denn das gehen?", fragt Schiffsbauer Meletis. Seine Kumpel in der kleinen Kantine an der Pier in Perama werden lauter. Sie alle sind arbeitslos, verzweifelt, aufgebracht. Wütend auf die Politiker, die das Land in den Dreck gefahren haben. Hier gibt es keine Sympathien für irgendeine Partei, auch nicht mehr für die Gewerkschaften. "Die organisieren die Streiks doch nur aus Eigeninteresse", brüllt Panajiotis Peretridis, "mich interessiert nur noch mein Tagelohn, meine Partei ist der Brotlaib. Ich will meinem Land ja helfen, gib mir Arbeit, und ich zahle Steuern! Aber hier wird unsere Ehre als erstklassige Facharbeiter, als Familienväter, als Griechen in den Schmutz gezogen!"
"Wenn du meiner Familie das Brot wegnimmst, dann mache ich dich fertig, das müssen die Regierenden wissen", sagt Meletis. "Und nennt uns dann nicht Anarchisten! Wir sind Familienväter und verzweifelt. Hier brodelt es wie in einem Dampfkessel. Und der wird irgendwann explodieren."