Motive von AfD-Wählern Alternative für Ohnmächtige
Wer wählt die Alternative für Deutschland? Die kurze Antwort: ganz schön viele Menschen. Nur viereinhalb Jahre nach ihrer Gründung dürfte die AfD laut aktuellen Umfragen im September problemlos in den Bundestag einziehen. Sind diese Wähler vor allem Arbeitslose oder Geringverdiener? Dann läge die SPD mit dem von Spitzenkandidat Martin Schulz ausgerufenen Gerechtigkeitswahlkampf wohl richtig.
Die Realität ist komplexer. Das zeigt eine am Mittwoch vorgestellte Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, der Universität Paderborn und des Meinungsforschungsinstituts policy matters. Nach einer repräsentativen Befragung von knapp 5000 Personen sind die Forscher sicher: AfD-Wähler und -Sympathisanten befinden sich "überwiegend nicht in einer finanziell prekären Situation". Tatsächlich liegt ihr Nettoeinkommen nur 18 Euro unter dem Durchschnitt, auch die Verteilung über verschiedene Gehaltsklassen ist ähnlich wie in der gesamten Wählerschaft.
Ganz überraschend ist das nicht. Schließlich sprach die Partei unter dem Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke zunächst eher bürgerliche Besserverdiener an, die angesichts der Eurokrise um ihr Erspartes fürchteten. Die AfD habe es geschafft, diese Schichten zu halten und gleichzeitig neue Anhänger hinzuzugewinnen, sagte der Soziologe Richard Hilmer bei der Vorstellung der Studie. Was die Gruppen eint: "Sie beklagen weit häufiger als andere, in unserer Gesellschaft keine Rolle zu spielen."
Anders gesagt: Die AfD ist eine Partei für Menschen, die sich ohnmächtig fühlen. Dabei geht es den Autoren zufolge weniger um "reale Entbehrungen, sondern vor allem um eine Kombination aus wahrgenommenem Abstieg in der Vergangenheit und Abstiegsängsten - auch in der Arbeitswelt - in Bezug auf die Zukunft".
Arbeitslosigkeit alleine ist demnach keine Erklärung für den Erfolg der Rechtspopulisten. "Personen, die arbeitslos sind oder jemals arbeitslos waren, wählen NICHT häufiger AfD", heißt es ausdrücklich in der Studie. Der wesentliche Treiber sei vielmehr persönliche Unzufriedenheit, die unabhängig vom realen Einkommen ist. So teilten 72 Prozent der AfD-Wähler die Aussage: "Für Leute wie mich tut die Politik weniger als für andere Gruppen in der Bevölkerung." Insgesamt stimmte dagegen nur knapp jeder Zweite zu.
Repräsentiert die AfD also die Wut von Durchschnittsdeutschen? Dieser Befund wäre für die Gewerkschaften heikel. Schließlich lehnen sie die AfD als gewerkschafts- und europafeindlich ab, wie DGB-Chef Reiner Hoffmann bei der Vorstellung der Studie betonte. Unter AfD-Wählern finden sich allerdings überdurchschnittlich viele Gewerkschaftsmitglieder. Laut einer kürzlichen erschienen DIW-Studie liegt der Anteil mit 24 Prozent weit über dem von Union, SPD oder Grünen und wird nur noch von der Linken übertroffen.
Die neue Studie weist laut Böckler-Stiftung "erstmals nach, dass es keinen Zusammenhang gibt zwischen der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft und der Wahrscheinlichkeit, AfD zu wählen". Vielmehr seien unter den AfD-Wählern überdurchschnittlich viele Arbeiter - die wiederum sind häufiger Mitglied einer Gewerkschaft. Innerhalb von Gruppen mit gleicher Ausgangslage bei Faktoren wie Gehalt, Bildungsabschluss oder Alter mache es dagegen "bei der Wahrscheinlichkeit, AfD zu wählen, keinen Unterschied, ob jemand Gewerkschaftsmitglied ist oder nicht".
Doch können die Gewerkschaften sich damit zufriedengeben oder müssten ihre Mitglieder nicht vielmehr besonders selten für die AfD stimmen? Schließlich gehört es zum Selbstverständnis von Arbeitnehmervertretern, genau jene Ohnmacht zu überwinden, die offenbar viele AfD-Wähler empfinden.
Der Studie zufolge gibt es diesen Effekt tatsächlich - wenn Menschen sich aktiv in einer Gewerkschaft engagieren. Solche "Gestaltungserfahrungen" verringerten ebenso wie andere ehrenamtliche Tätigkeiten die Anfälligkeit für Rechtspopulismus.
Entschieden wird woanders
Viele Arbeitnehmer aber machen im Alltag andere Erfahrungen. Sie fühlen sich weitgehend ausgeliefert, was ihre Sympathien für die AfD deutlich steigert. Wer etwa findet, dass über sein Leben "irgendwo draußen in der Welt entschieden" werde, hat eine um zwölf Prozent erhöhte Wahrscheinlichkeit, mit der AfD zu sympathisieren. Die Wahrscheinlichkeit einer klaren Wahlentscheidung für die Partei ist um sieben Prozent erhöht. Ähnliche Effekte gibt es bei Erfahrungen wie der zunehmenden digitalen Überwachung am Arbeitsplatz oder dem Festsitzen in unsicheren Billigjobs.
"Dieser Kontrollverlust ist ein starker Treiber der AfD", sagt die an der Studie beteiligte Soziologin Bettina Kohlrausch. Besonders wichtig ist die Frage von Beteiligungsmöglichkeiten bei der Arbeit demnach bei Befragten mit geringem Einkommen und niedrigem Bildungsabschluss, die ihr Leben als fremdbestimmt empfinden. Hier steigt die Wahrscheinlichkeit, AfD zu wählen, signifikant, wenn der eigene Job keinem Tarifvertrag unterliegt. Ein Ergebnis, das Hoffmann dankbar aufgriff. Die Politik müsse mehr solche "Haltepunkte" bieten, forderte der DGB-Chef.
Ein bisschen klang das freilich nach Zweckoptimismus. Denn AfD-Wähler, auch das zeigt die Studie, sind besonders oft der Meinung, dass es so etwas wie einen einheitlichen "Volkswillen" gibt, der durchgesetzt werden muss. Wer so denkt, dürfte von mühsamen Kompromissen wie einem Tarifvertrag nur schwer zu beeindrucken sein.