Kritik der EU-Kommission Phantomstreit um Deutschlands Exporte

Die EU-Kommission kritisiert Deutschlands Exporte? Völlig falsch. Auch in ihrem neuesten Bericht wirft Brüssel den Deutschen nicht vor, sie würden zu viele Waren ausführen. Die laute Empörung bei Bürgern und Politikern hierzulande geht völlig am Thema vorbei.
Pkw in Bremerhaven: Deutschland hat weltweit größten Exportüberschuss

Pkw in Bremerhaven: Deutschland hat weltweit größten Exportüberschuss

Foto: © Fabian Bimmer / Reuters/ REUTERS

Hamburg - Auf den ersten Blick klingt der Bericht alarmierend. In einem am Mittwoch veröffentlichten Papier stuft die EU-Kommission den anhaltend hohen deutschen Exportüberschuss als wirtschaftliches Ungleichgewicht ein. "Deutschland muss Maßnahmen aufzeigen und umsetzen, um die Binnennachfrage zu stärken", mahnt Brüssel. Die Notwendigkeit zum Handeln, sei "angesichts der Größe der deutschen Wirtschaft besonders wichtig".

EU-Kommissar Olli Rehn, so scheint es, hat Deutschland jetzt offiziell zum Störenfried ernannt. Die deutsche Wirtschaft hatte 2013 mit einem Plus von knapp 200 Milliarden Euro den höchsten Exportüberschuss der Welt erzielt. Brandmarkt Rehn sie jetzt also als Wirtschaftsmacht, deren ungezügelter Exportboom ganz Europa aus dem Gleichgewicht bringt?

Tatsächlich ist der Bericht aus Brüssel weit undramatischer. Denn in ihm fehlt ein entscheidendes Wort. Die EU-Kommission attestiert der Bundesrepublik zwar ein wirtschaftliches Ungleichgewicht, aber kein exzessives. Dieses sieht die Kommission nur bei Ländern mit hohen Schulden und geringem Export, zum Beispiel bei Italien oder Kroatien.

Das heißt: Brüssel richtet zwar eine klare Forderung an Deutschland, doch der politische Druck hält sich in engen Grenzen. Selbst wenn Merkel die Forderung aus Brüssel komplett ignoriert: Alles, was sie zu fürchten hat, sind weitere kritische Worte. Ein Strafverfahren oder gar ein Bußgeld gegen Deutschland dagegen sind unmöglich. Die verhänge man nur gegen Länder mit exzessivem Ungleichgewicht, sagt eine Sprecherin der Kommission.

Aufregung um ein nichtssagendes Papier

In der Bundesregierung gibt man sich entsprechend entspannt. Auch ein vermeintlich brisantes internes Papier aus dem Bundeswirtschaftsministerium, das kurz vor Veröffentlichung des Brüsseler Berichts an die Presse durchgestochen wurde, sorgte bei einem Treffen zwischen Wirtschaftsministerium, Finanzministerium und Kanzleramt am Mittwochmorgen nur für Achselzucken.

In dem zweiseitigen Memo, das auch SPIEGEL ONLINE vorliegt, steht zwar geschrieben: "Exzessive und dauerhafte Ungleichgewichte sind schädlich für die Stabilität der Euro-Zone." Doch ist das mitnichten, wie in manchen Zeitungen kolportiert und nun vom Wirtschaftsflügel der Union lautstark beanstandet, erstmals ein Eingeständnis, dass Teile der Bundesregierung die deutschen Exporte doch als schädlicher einstufen als sie bisher öffentlich zugegeben haben.

Denn erstens hat die EU-Kommission ja nun festgestellt, dass das Ungleichgewicht in Deutschland gerade nicht exzessiv ist - womit sich der Satz in dem Memo gar nicht auf Deutschland bezieht. Und zweitens vertritt die Bundesregierung diese Position ohnehin schon seit Jahren. Das deutsche Nein zu extremen Ungleichgewichten war ja überhaupt die Voraussetzung dafür, dass die EU festschreiben konnte, das Handelsdefizit oder den Handelsüberschuss eines Staats auf mittelfristig sechs Prozent der Jahreswirtschaftsleistung zu begrenzen.

Das Wichtige dringt kaum durch

Im Streit zwischen Berlin und Brüssel sind die Positionen trotzdem verhärtet. Die Kanzlerin stellt sich als Hüterin der deutschen Interessen in der EU dar und fährt mit Blick auf den Europa-Wahlkampf gut damit. EU-Vertreter dagegen sorgen sich vor allem um die Außenwirkung. Es sehe einfach verdammt schlecht aus, dass sich ausgerechnet die Deutschen nicht an die geltende EU-Verordnung halten, beteueren sie wieder und wieder.

Das wirklich Wichtige aber dringt regelmäßig nicht durch. Die EU-Kommission will den Deutschen nicht ihre starke Exportwirtschaft zerstören. Sie fordert nicht, dass die Deutschen weniger in andere EU-Länder exportieren. Sie will, dass Deutschland mehr aus anderen EU-Ländern importiert.

Nur das - und nicht mehr - hat die EU-Kommission in ihrem Bericht vom Mittwoch erneut betont. Sie liegt damit übrigens auf Linie der Bundesregierung. Die fände es nämlich auch schön, wenn die Deutschen mehr konsumieren. Schließlich würde das der heimischen Wirtschaft einen Schub geben. Die höhere Nachfrage würde dann auch die Importe ankurbeln. Im Prinzip wollen Berlin und Brüssel also das Gleiche. Die Bundesregierung tut sich nur schwer, das Gewünschte umzusetzen.

"Ein höherer Binnenkonsum lässt sich nicht per Knopfdruck auslösen", sagt Daniel Gros, Direktor am Centre for European Policy Studies. Merkel könne ja nicht einfach befehlen: "Liebe Deutsche, kauft mehr ein." Sie könne nur politische Maßnahmen ergreifen, die erfahrungsgemäß dazu führen, dass die Bürger mehr kaufen.

Deutsche Importe können Ungleichgewicht nur leicht verringern

Die Regierung hat in diesem Punkt schon einiges getan, zum Beispiel durch die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns. Auch die Investitionen der öffentlichen Hand will die Regierung steigern. Sie will fünf Milliarden Euro mehr in die Verkehrsinfrastruktur stecken und die Länder um sechs Milliarden Euro entlasten, damit diese ihrerseits mehr Geld in Kinderbetreuung, Schulen und Hochschulen stecken können.

All das steigert die Binnennachfrage und damit die Importe. Wie stark sie durch die Maßnahmen jedoch genau wachsen, lässt sich bestenfalls grob schätzen. Und wie viel mehr Waren Privatleute kaufen, hängt noch von einer Reihe weiterer Faktoren ab, auf die die Regierung nur wenig Einfluss hat.

Hinzu kommt: Selbst wenn die Deutschen mehr Waren einführen, wird das die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in Europa nur bedingt verringern. Nur zehn Prozent der deutschen Importe kommen überhaupt aus den kriselnden Peripheriestaaten, schreibt Gros in einer Analyse . 40 Prozent dagegen führt Deutschland aus den ohnehin stabilen nördlichen EU-Ländern ein.

In der EU-Kommission und in der Bundesregierung weiß man das alles. Trotzdem ist die Aufregung mal wieder groß. Von einem "Rüffel aus Brüssel" ist die Rede, der CDU-Wirtschaftsrat warnt reflexartig vor einer "Schwächung der deutschen Wirtschaftskraft". EU-Kommissar Rehn kann noch so oft betonen, dass niemand die deutschen Exporte kritisiert. Die Debatte verläuft immer nach demselben Muster - am Thema vorbei.

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