
Der Shutdown und die Folgen Die Wirtschaft könnte durchaus härtere Maßnahmen vertragen


Von wegen runtergefahren: Die Bänder der Autohersteller laufen
Foto: Hendrik Schmidt / dpa-ZentralbildDie Deutschen können Autos bauen, die stark sind wie Megacomputer, Präzisionsfräsmaschinen basteln, Impfstoffe erfinden, Viren und Mutanten erkennen – und auch gut Fußball spielen. Nur wenn es um die eigentlich nicht ganz so überkomplexe monatliche Berichterstattung geht, wie viele Menschen jetzt im Land arbeitslos sind – und ob das mehr oder weniger geworden sind – scheint uns die Exzellenz auszugehen.
Das war schon immer ein deutsches Kuriosum. Nirgendwo wird so akribisch-wirr jeden Monat referiert, was es alles vom Arbeitsmarkt an Vormonats- und Vorjahresvergleichen zu melden gibt, mit und ohne Saisonbereinigung, mit oder ohne Kalendereffekte. Mit dem Ergebnis, dass vor lauter Zahlen oft nicht mehr erkennbar ist, was jetzt ist. Oder die Wirklichkeit falsch ankommt. So wie vergangene Woche, als die Bundesagentur die Daten für Januar meldete – und im Zahlenwirrwarr irgendwie hängen blieb, dass der Lockdown den Arbeitsmarkt belastet; und die Arbeitslosigkeit deutlich steigt. Oder nicht.
Dabei wäre es inmitten der Pandemie gerade so wichtig wie nie, nicht danebenzuliegen – wo es in diesen Tagen herauszufinden gilt, ob nun ein schärferer Lockdown verantwortbar wäre, so wie es Virologen und Epidemiologen als nötig nahelegen; oder nicht, wie es Vertreter der Industrie sagen, weil sonst angeblich der Untergang der Wirtschaft droht.
Kleiner Nachhilfekurs für angehende Arbeitsmarktstatistikversteher.
Nimmt man zum Maßstab, was nach Bekanntwerden der Arbeitsmarktdaten für Januar zu lesen war, scheint der Befund irgendwie klar. »Fast 200.000 mehr Arbeitslose«, titelte der »Tagesspiegel« auf Basis einer Agenturmeldung – um im Text gleich noch eins draufzulegen: »Langsam, aber sicher werden die Effekte der Corona-Maßnahmen sichtbar« –, und die könnten sich noch zu (nicht näher dargelegten) »schwer reparierbaren Langzeitschäden auswachsen«. In der Statistik seien erstmals »auch die Auswirkungen des im Dezember verhängten, Corona-bedingten Lockdowns« erkennbar.
Andere fügten dazu, dass der Januaranstieg irgendwie saisonüblich sei. Was auch der Chef der Bundesagentur tatsächlich so gesagt hatte – mit dem dezenten Verweis, dass die Lage auch eigentlich ganz »robust« sei. Was denn jetzt?
Wie man die Ausschläge austrickst
Genau hier, im Einfluss der Saison, liegt die Wirrnis – und ihre Auflösung. Wenn die gezählte Zahl der Arbeitslosen in einem Monat höher ist als im Vormonat, kann das daran liegen, dass in diesem bestimmten Monat des Jahres eben immer mehr (oder immer weniger) gearbeitet wird. Im Januar arbeiten tatsächlich rein witterungsbedingt jedes Jahr weniger Leute als noch im Dezember; im Frühjahr mehr als während der Sommerferien. Kein Drama. Wer am Bau im Januar nicht arbeiten kann, tut das in aller Regel dann im Februar oder März wieder.
So ist das mit dem Wetter halt. Und so war das auch diesen Januar – weshalb die Zahl der Arbeitslosen um besagte knapp 200.000 höher war als im Dezember. Das sagt an sich dann aber noch nichts darüber, ob nun ein Lockdown gewirkt hat oder nicht – eigentlich könnte man sich sogar sparen, so etwas überhaupt zu melden. Das ist in etwa so, als würde man Schlagzeilen dazu machen, dass es im Juli mal wieder wärmer war als, sagen wir, im April. Oder tagsüber heller als des Nachts.
Jetzt scheint es eine ganz schlaue Idee zu sein, solche Standardausschläge auszutricksen und einfach den Januar mit dem Januar des Vorjahrs zu vergleichen – also die jeweils gleiche Saison, um so den Saisoneffekt auszuschalten (so wie seit Wochen die täglichen Infektionszahlen mit denen desselben Tags der Vorwoche verglichen werden, um auszuschalten, dass die Ergebnisse mit den Wochentagen schwanken). Was im aktuellen Fall sogar fast eine halbe Million Arbeitslose mehr ergibt. Also doch klarer Lockdown-Effekt? Oder?
Das Problem ist, dass auch Vorjahresvergleiche ihre Tücke haben können: Wenn, sagen wir, zu Beginn eines Jahres auf einmal viele Arbeitslose dazu gekommen sind, liegt die Zahl der Arbeitslosen in simpler Arithmetik von da an Monat für Monat natürlich höher als im Vorjahr – Anstieg im Vorjahresvergleich –, egal, ob von Monat zu Monat dann (noch) mehr Arbeitslose dazukommen oder die Zahl im weiteren Verlauf stagniert (so lange, bis der Basiseffekt weg ist).
Auch das verzerrt derzeit tatsächlich die Bilanz: Gestiegen ist die Arbeitslosigkeit vergangenen März, als der Pandemieschock binnen wenigen Wochen die Wirtschaftstätigkeit einbrechen ließ, im April plötzlich knapp sechs Millionen Menschen in Kurzarbeit waren – und ein paar Hunderttausend arbeitslos wurden. Seither liegt die Arbeitslosigkeit (natürlich) deutlich höher als jeweils ein Jahr zuvor, also in den Vergleichsmonaten von 2019, als es noch keine Pandemie gab. Obwohl es von Monat zu Monat seit dem Sommer gar keinen Anstieg mehr gab. Im Gegenteil (siehe Grafik).
Was gegen solche statistischen Saison- wie Vorjahrestücken hilft, ist dabei eigentlich ganz einfach: Wenn etwas über viele Jahre immer wieder rein saisonal schwankt, lässt es sich als Erfahrungswert auch ermitteln – und statistisch herausrechnen, ohne dass irgendein Arbeitsloser übers Jahr aus der Statistik wegfällt. In saisonal schwachen Monaten wird dazu gerechnet, in starken abgezogen. Jahressaldo: null. So wird das fast überall auf der Welt gemacht; in den USA, Großbritannien, Frankreich und anderswo werden monatlich per se nur die saisonbereinigten Daten gemeldet. So macht es auch die deutsche Bundesagentur für Arbeit – allerdings lässt sie diese Information dann vor lauter Vollständigkeitswahn im besagten Zahlengewirr untergehen.
Die Saisonklärung hat es politisch in sich: In Wirklichkeit gab es im Januar weniger Arbeitslose zusätzlich als im Schnitt der Vorjahre, also weniger als saisonal üblich – was heißt, dass die wirtschaftlich entscheidende Zahl der Arbeitslosen im Land nach Ausschluss dieser rein saisonal üblichen Phänomene sogar gesunken ist. Deutlich. Nimmt man diejenigen aus der Zählung, die etwa am Bau sowieso bei besserer Witterung wieder arbeiten, gab es per Saldo im Januar sogar 41.000 Arbeitslose weniger; was aufs Jahr eine halbe Million machen würde. Die Wirtschaft dürfte in dieser Größenordnung also mehr Leute eingestellt haben – was auch die Zahl der Erwerbstätigen schon im Dezember vermuten ließ (saisonbereinigt plus 10.000 gegenüber November); ebenso wie der Anstieg der Zahl offener Stellen.
Die Wirtschaft fährt hoch, nicht runter
Zur Erinnerung: Dezember und Januar – das waren just die Monate, in denen das Land in einen »verschärften« Lockdown heruntergefahren wurde. Angeblich. Klar hat das Friseure und Einzelhändler getroffen – und ist für viele ein Drama. Nur scheint der Großteil der Wirtschaft mitten im Lockdown eher zu wachsen – und den Effekt auszugleichen. Mit dem Ergebnis, dass inmitten von Pandemie und Lockdown landesweit sogar noch mehr Leute eingestellt wurden, nicht weniger. Hochfahren, nicht runterfahren.
Seit September ist die Arbeitslosigkeit in Deutschland saisonbereinigt sogar um mehr als 150.000 gesunken. Das ist großartig für die Betroffenen, könnte aber eben auch erklären, warum die Zahl der Infektionen nicht so schnell zurückging – und die Todeszahlen so hoch bleiben. Kontaktminimierung haben sich Virologen sicher anders vorgestellt.
Politisch macht die Botschaft eines im vermeintlichen Lockdown aufdrehenden Arbeitsmarkts einen entscheidenden Unterschied – verglichen mit den Schlagzeilen von angeblich 200.000 zusätzlichen Arbeitslosen durch eben diesen Lockdown. Und verglichen mit den Warnungen von Industrieverbandsbossen, dass die Wirtschaft einen noch schärferen Lockdown gar nicht mehr aushalten kann. Wogegen auch alle möglichen konjunkturellen Indikatoren sprechen.
Dann wäre es womöglich doch jetzt eine verantwortbare Position, den Lockdown für ein paar wenige Wochen zu verlängern und sogar zu verschärfen – und auch die Wirtschaft stärker herunterzufahren, dafür zu sorgen, dass für ein paar Wochen nur noch ein kleinerer Teil der Leute zur Arbeit geht und fahren muss. Statt nur Kinos, Kneipen und Shoppingläden zu schließen. Mit Sonderhilfen für alle Umsatzausfälle. Um viel schneller die Infektionen gegen null tendieren zu lassen, bevor doch noch die eine oder andere Mutation die nächste Welle auslöst – und zum nächsten Panik-Lockdown führt.
Die Daten vom Arbeitsmarkt zumindest sprechen nicht dagegen. Wenn man sie richtig liest.