Angst vor Erbschaftsteuer Reiche Schweizer wollen ihre Vermögen retten

Der Ort Zug im Kanton Zug: Ein Steuerparadies für Reiche und Unternehmen
Foto: CorbisIn Schweizer Amtsstuben spielten sich in den vergangenen Wochen dramatische Szenen ab: Tausende Menschen stürmten die Notariate im ganzen Land, um sich vor einer drohenden "Enteignung" zu retten. Sie beschimpften Beamte und drohten ihnen mit Schadensersatzklagen, weil die Amtsstuben wegen Arbeitsüberlastung nicht mehr alle Anträge rechtzeitig erledigen können. Um wenigstens einen Bruchteil der Fälle zu bearbeiten, haben einige Ämter einen Ferienstopp erlassen.
Die reichen Schweizer haben Angst: Wer es bis zum 1. Januar 2012 nicht schafft, sein Eigentum per Schenkung oder Erbvorbezug an seine Nachkommen zu übertragen, muss hinnehmen, dass danach womöglich 20 Prozent Erbschaftsteuer fällig werden. So will es zumindest eine Volksinitiative aus linken und christlichen Kreisen.
Deswegen versuchen immer mehr Vermögende ihr Geld vor dem Fiskus zu retten. Laut einem Bericht des Schweizer Fernsehens wurden allein im Kanton Zürich Liegenschaften im Wert von mindestens zehn Milliarden Franken an Nachkommen verschenkt.
Ob die Panik begründet ist, weiß heute niemand. Die Volksinitiative jedenfalls steht noch ganz am Anfang. Die notwendigen hunderttausend Unterschriften sind noch gar nicht gesammelt. Bis es zu einer Abstimmung kommt, dürfte es Jahre dauern. Und eine Gesetzesänderung würde kaum vor 2015 in Kraft treten.
Eine Mehrheit kann einer Minderheit Geld abknöpfen
Was die Vermögenden beunruhigt, ist allerdings eine Klausel in der Initiative: Sollte das Volk der Erbschaftsteuer zustimmen, würde diese rückwirkend ab Anfang 2012 gelten. Die Klausel ist ein geschickter Schachzug: So bleibt den Betroffenen kaum Zeit, ein mögliches Gesetz schon vor Inkrafttreten zu umgehen.
Noch etwas macht den Reichen Angst: Weil zwei Drittel der Steuererträge in die Kasse der obligatorischen Rentenversicherung fließen sollen, hat die Initiative relativ gute Erfolgsaussichten - zumal Erbschaften unter zwei Millionen Franken weiterhin steuerfrei bleiben sollen. Laut aktuellen Daten wären nur 80.000 Personen oder 1,7 Prozent der Steuerpflichtigen betroffen. Die große Mehrheit kann also einer kleinen Minderheit Geld abknöpfen.
Bisher wurden Versuche, die Vermögenden stärker zu belasten, in vielen Fällen abgeschmettert. In der bürgerlichen Alpenrepublik stimmt das Volk, wenn es gefragt wird, traditionell eher im Interesse der Gutbetuchten. "Wenn es uns gutgeht, geht es auch euch gut", argumentieren die Reichen und ihre politischen Lobbyisten seit jeher in bester Gutsherrenmanier.
Dabei kam den bürgerlichen Parteien stets die föderalistische Steuerpolitik zugute. Die Schweiz erhebt auf mehreren Ebenen Steuern: Jeder Kanton, jede Stadt verfolgt eine eigene Steuerpolitik.
Das Resultat ist ein heftiger Steuerwettbewerb auf engstem Raum. Jedes Mal, wenn ein Kanton oder eine Gemeinde in der Vergangenheit die Steuern senkte, um Reiche anzulocken, mussten die Nachbarn nachziehen. Parallel zu den schwindenden Einkommensteuersätzen wurde die Erbschaftsteuer fast in allen Kantonen abgeschafft oder auf ein Minimum reduziert. Laut dem Wirtschaftsforschungsinstitut BAK Basel zählen die Kantone Nidwalden, Obwalden, Schwyz und Zug zu den attraktivsten Steuerstandorten der Welt - nur geschlagen von Hongkong und Singapur.
Der Schweiz droht die Feudalisierung der Gesellschaft
Auf den ersten Blick ging die Rechnung auf. Politische Stabilität, zentrale Lage, wunderschöne Landschaften und kreative Banken kombiniert mit einer Niedrigsteuerpolitik lockten Vermögende aus der ganzen Welt an: Die Schweiz hat heute bezogen auf die Einwohnerzahl die höchste Anhäufung an Milliardären und auch eine der höchsten Millionärsdichten weltweit.
Doch längst nicht alle profitieren vom Zuzug des Geldadels. Die Superreichen und Reichen treiben die Lebenshaltungskosten in die Höhe - insbesondere die Mieten und Immobilienpreise. Im Kanton Zug etwa werden seit Jahren Mittelschichtfamilien durch reiche Neuzuger und Handelsfirmen verdrängt - ein Prozess, der mittlerweile fast die gesamte Schweiz erfasst hat.
Hinzu kommt eine schleichende Feudalisierung, die sich in einer immer ungleicher werdenen Verteilung des Reichtums ausdrückt. Der frühere Chef des Statistischen Amtes des Kantons Zürich und heutiges Mitglied des Initiativkomitees, Hans Kissling, hat darüber schon vor drei Jahren ein Buch geschrieben: "Reichtum ohne Leistung". Darin rechnet er vor, dass in Zürich das reichste Prozent der Steuerpflichtigen genauso viel besitzt wie die ärmeren 95 Prozent.
"Die uneingeschränkte Weitervererbung des Großvermögens ist der eigentliche Motor der Feudalisierung", sagt der 68-jährige Volkswirt Kissling, der als Vordenker der Volksinitiative gilt. "Sollte eine Erbschaftsteuer eine nachhaltige Wirkung auf die Vermögens- und Einkommensverteilung haben, so müsste der Steuersatz mindestens 50 Prozent betragen."
Das würde die vermögenden Schweizer wohl vollends in Rage bringen. Schon vor einem Jahr drohten zahlreiche prominente Reiche, das Land zu verlassen, falls ein landesweiter Mindeststeuersatz ab 250.000 Franken und eine Vermögensteuer ab zwei Millionen Franken eingeführt werden sollten. Der Liftbauer Alfred Schindler meinte damals: "Das ist Enteignung und nicht tragbar. Die Schweiz würde sozialistisch."