Angst vor Kettenreaktion Europa fürchtet den Griechenland-Infarkt

Haben die Griechen die Krise noch im Griff? Heftig wie nie zuvor diskutiert Europa über eine Umschuldung des Fast-Pleitestaats. Der radikale Schritt würde dem Land einen Neustart ermöglichen, doch für den Rest des Kontinents birgt er enorme Risiken.
Akropolis: Erst Griechenland, dann Irland und Portugal?

Akropolis: Erst Griechenland, dann Irland und Portugal?

Foto: JOHN KOLESIDIS/ REUTERS

Hamburg - Er wollte eigentlich ein Signal der Stärke aussenden und die Finanzmärkte beruhigen. Am Montag erklärte der Chef der griechischen Zentralbank, Giorgos Provopoulos, eine Umstrukturierung der 340 Milliarden Euro Staatsschulden seines Heimatlandes sei "weder notwendig noch wünschenswert".

Von lautem Gelächter in den Handelsräumen der Welt ist nichts überliefert. Allerdings sind die Märkte offensichtlich nicht einmal ansatzweise von den Worten des Zentralbankers überzeugt. Zu Wochenbeginn schossen die Renditen für zehnjährige griechische Staatsanleihen auf den Rekordwert von bis zu 15 Prozent, für kurzfristige Papiere sogar auf sagenhafte 20 Prozent. Steigende Renditen sind bei Anleihen, was fallende Kurse bei Aktien sind.

Damit wird es immer unwahrscheinlicher, dass der ursprüngliche Plan der Europäer aufgeht. Das im vergangenen Frühjahr zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds verabschiedete Hilfspaket für Griechenland ist auf drei Jahre angelegt. Im Frühjahr 2013 läuft das 110-Milliarden-Euro-Programm aus. Bis dahin sollte die Regierung in Athen so eisern wie möglich sparen, aus dem Gröbsten raus sein und sich wieder an den Märkten finanzieren.

Wachstum oder Umschuldung

Zwar spart die Regierung sehr viel - erst kürzlich kündigte Regierungschef Giorgos Papandreou ein zusätzliches 23-Milliarden-Euro-Sparpaket und das Verscherbeln von 50 Milliarden Euro staatlichen Tafelsilbers an. Doch die Wirtschaft des Landes hat das Umschwenken von jahrzehntelanger Prasserei zu akuter finanzieller Enthaltsamkeit noch immer nicht verkraftet. Sie befindet sich in einem Abwärtsstrudel, der auch in diesem Jahr zu einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) führen dürfte.

Sinkende Wirtschaftsleistung und steigende Schulden sind ein fatales Gemisch, das zur Explosion der Schuldenquote führt. Bis 2013 könnte Griechenland Miese in Höhe von 160 Prozent des BIP haben. Eine solche Kreditbelastung wird man nur mit rasantem Wachstum los - oder mit einer Umschuldung.

Weil Griechenland auf absehbare Zeit kein tragfähiges Geschäftsmodell für den Turnaround hat, ließe sich in Abwandlung des Satzes von Zentralbankchef Provopoulos schlussfolgern: Wünschenswert ist eine Umschuldung nicht, aber wohl notwendig.

Ein solcher Schritt führt nicht zwangsläufig dazu, dass Gläubiger auf Teile ihrer Forderungen verzichten. Denkbar ist auch, dass sie ihr Geld später zurückbekommen oder Zinszahlungen gestreckt werden. Eine Möglichkeit wäre etwa, dass die Inhaber von 2012 fälligen griechischen Staatspapieren ihre Einlagen erst 2015 oder noch später zurückbekommen. Eine Alternative bestünde darin, dass die Gläubiger von Papieren mit längeren Laufzeiten für einige Jahre auf Zinsen verzichten oder sich mit geringeren Zahlungen begnügen.

Wenn schon, denn schon

Beide Lösungen hätten eines gemeinsam: Wer Griechenland Geld geliehen hat, bekommt es in vollem Umfang zurück. Eben nur später oder mit weniger Rendite. Dies wäre ein charmanter Weg, an dessen Ende Griechenland aber nicht wirklich von seinen hohen Schulden befreit wäre.

Ganz anders sieht es bei einer radikalen Lösung aus - so wie sie nun erneut mit einem Schuldenschnitt diskutiert wird. Bei dieser im Finanzjargon etwas verniedlichend "Haircut" (Haarschnitt) genannten Maßnahme verzichten die Gläubiger auf einen Teil des verliehenen Geldes. Weil Griechenland nichts von einem Semi-Befreiungsschlag hat, müsste es wahrscheinlich zu einem beträchtlichen Verzicht kommen - vielleicht sogar in Höhe von 50 Prozent.

Eine solche Umschuldung hätte für das Land den Vorteil, dass Regierung und Bevölkerung nach Überwindung einer existentiellen Krise wirklich neu anfangen könnten, ohne von der Schuldenlast der Vergangenheit erdrückt zu werden. Die Regierung wäre auch nicht mehr gezwungen, so hart zu sparen, die Konjunktur könnte sich schneller erholen.

Außerdem würden Banken und Versicherungen an der Lösung des Problems beteiligt. Immerhin haben sie Griechenland früher das Geld geliehen, das heute Ärger macht, also die Risiken falsch eingeschätzt. Viele Eigentümer der Anleihen haben zuletzt sogar noch von den extrem hohen Zinsen auf die Staatspapiere profitiert.

Gigantische Abschreibungen

Würden die Institute nun Geld verlieren, könnte dies sogar ein heilsamer Schritt sein. Die Branche würde wohl in Zukunft Investments vorsichtiger bewerten - und sich wieder mehr an der Erstsemester-Erkenntnis "Hohe Rendite = Hohes Risiko" orientieren. Außerdem könnte ein rascher Schuldenschnitt dafür sorgen, dass sich die Banken nicht noch peu à peu von ihren Staatsanleihen trennen und dann im Fall der Fälle in ein paar Jahren ohne Verluste davonkommen.

Würden die Banken auf Forderungen verzichten, müssten sie die Staatsanleihen in ihren Büchern entsprechend abschreiben. Einige Branchenvertreter dürften dies bereits getan haben. Zumindest teilweise.

Allerdings fangen beim Thema Abschreibung auch die Probleme an. Gläubiger des griechischen Staates sind Banken und Privatpersonen überall auf der Welt. Diese würden bei einem "Haircut" von 50 Prozent massiv Geld verlieren. Denn in dieser Höhe dürfte kaum eine Bank den Wert der Papiere in den vergangenen zwölf Monaten angepasst haben.

Am schlimmsten würde es die griechischen Banken treffen, die einen beträchtlichen Teil der Schulden der eigenen Regierung finanzieren. Wahrscheinlich würden im Fall einer Umschuldung weite Teile des griechischen Finanzsektors implodieren - zumal die Regierung kein Geld für eine Rettung hätte.

Unkalkulierbare Kettenreaktion

Allerdings blieben die Auswirkungen nicht auf Griechenland beschränkt. Laut Schätzungen halten Ausländer 60 Prozent der griechischen Staatsschulden. Die Auswirkungen eines Schuldenschnitts wären deshalb fast überall auf der Welt sichtbar - vor allem in Europa. Allein die Forderungen deutscher Kreditinstitute an den griechischen Staat beliefen sich Ende 2010 auf 18 Milliarden Euro. Ein 50-prozentiger Verzicht würde also zu einem Verlust von neun Milliarden Euro führen.

Dies ist bereits eine beträchtliche Summe, die aber wahrscheinlich noch irgendwie verkraftbar wäre. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass ein Schuldenschnitt in Griechenland ohne Auswirkungen auf andere Euro-Wackelkandidaten bliebe. Denn das Tabu Schuldenschnitt wäre gebrochen - trotz Dauer-Dementis. Wahrscheinlich würden Investoren auch an der fiskalischen Überlebensfähigkeit von Irland und Portugal zweifeln. Und sich sogar potentielle Wackelkandidaten wie Spanien und Italien vorknöpfen. Dann könnte es tatsächlich einen Flächenbrand in Europa geben.

Deutsche Banken haben allein den Regierungen in Madrid und Rom rund 60 Milliarden Euro geliehen - und den Kreditinstituten in beiden Ländern mehr als 110 Milliarden. Käme es zu Umschuldungen und einem Kollaps der nationalen Finanzsysteme, wären die Folgen unabsehbar. Und möglicherweise unfinanzierbar. Auf jeden Fall müsste der deutsche Steuerzahler erneut mit Milliardenkrediten für die eigenen Geldhäuser einspringen.

Angesichts der möglichen Kettenreaktion ist es unwahrscheinlich, dass Griechenland tatsächlich den radikalen Schuldenschnitt wagt. Eher ist ein freiwilliger Verzicht der Anleger denkbar.

Dieser könnte in etwa so aussehen: Die Regierung bietet den Gläubigern an, ihre Papiere zum jetzigen Marktkurs zurückzukaufen. Diese müssten zwar auf einen Teil ihrer Ansprüche verzichten, wären die Schmuddel-Papiere aber los und bräuchten keine Angst mehr vor einer Staatspleite und damit einem möglichen Totalverlust haben.

Der griechischen Regierung würde im Gegenzug eine "Umschuldung light" gelingen: Indirekt würden ihr finanzielle Verbindlichkeiten in beachtlichem Umfang erlassen.

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