So arbeitet Deutschland Wie viel Macht haben Gewerkschaften noch?

Nur noch für jeden zweiten Arbeitnehmer gilt ein Tarifvertrag - entweder ein Flächenvertrag oder einer der (in der Grafik nicht berücksichtigten) Haustarifverträge. Das ist allerdings erst seit Kurzem so. Jahrzehntelang war es die Norm, dass die Regelungen, die Gewerkschaft und Arbeitgeberverband aushandelten, für eine deutliche Mehrheit der Arbeitnehmer galt - meist einheitlich für ganze Branchen. Doch die sogenannte Tarifbindung nimmt seit vielen Jahren kontinuierlich ab.
Grund dafür dürfte sein, dass viele Arbeitsplätze inzwischen in Branchen entstehen, in denen Gewerkschaften traditionell schwach sind: Handel, Gastronomie, Gesundheit, Pflege und weitere Dienstleistungen. Inzwischen liegt die Tarifbindung in Deutschland deutlich unter dem Durchschnitt in der EU. Eigentlich ist sie nur noch in den wirtschaftsliberal geprägten Ländern Mittel- und Osteuropas, Irland und Großbritannien niedriger.

Und dennoch profitieren immer noch viele Arbeitnehmer in Deutschland von Tarifverträgen, obwohl sie streng genommen gar nicht für sie gelten - eigentlich handelt eine Gewerkschaft Regelungen nur für ihre Mitglieder aus. Dass sie auch für Nichtmitglieder angewendet werden, hat viel damit zu tun, dass Arbeitgeber kein Interesse daran haben, den Gewerkschaften einen Massenzulauf zu bescheren. Entsprechend gering ist der Anteil der Arbeitnehmer, die überhaupt noch Mitglied in einer Gewerkschaft sind, und das schon seit Längerem. Der sogenannte Organisationsgrad ist von rund 27 Prozent im Jahr 1994 bis Mitte der Nullerjahre auf rund 20 Prozent gesunken, blieb dann lange relativ stabil, sackte aber zuletzt erneut deutlich auf rund 17 Prozent ab.
Während Gewerkschaften vor allem die Belange von Arbeitnehmern über Betriebsgrenzen hinweg vertreten - also für ganze Branchen oder Berufsgruppen, sind Betriebsräte für die Arbeitnehmer in einem konkreten Betrieb zuständig. Ihre Rechte sind im Betriebsverfassungsgesetz garantiert. Allerdings wird schon seit Langem nur noch eine Minderheit der Arbeitnehmer von Betriebsräten vertreten. Waren es im Jahr 2000 immerhin noch 50 Prozent in Westdeutschland und 41 Prozent in Ostdeutschland, ist der Anteil bis zum Jahr 2016 auf 43 Prozent im Westen und 34 Prozent im Osten gesunken. Grundsätzlich gilt: Je größer ein Betrieb, desto wahrscheinlicher ist es, dass es einen Betriebsrat gibt. In vielen kleinen und Kleinstbetrieben fällt er weg. Bezogen auf alle Betriebe in Deutschland, gibt es nur in etwa jedem zehnten einen Betriebsrat.
Was Streiks betrifft, sind die Deutschen ausgesprochen konfliktscheu - was auch erklären könnte, wieso die Arbeitskämpfe der Piloten, Lokführer und Kita-Erzieherinnen im Jahr 2015 die Schlagzeilen beherrschten: Nur was ungewöhnlich ist, empfinden wir als Nachricht. Tatsächlich summierten sich die wegen Streiks ausgefallenen Arbeitstage in diesem Jahr auch auf einen für Deutschland ungewöhnlich hohen Wert von 31 - pro tausend Arbeitnehmern.
Der Schnitt der vergangenen Jahrzehnte liegt eher um die fünf Streiktage pro tausend Arbeitnehmer - was nichts anderes heißt, als dass der durchschnittliche Arbeitnehmer in Deutschland alle 200 Jahre einmal einen Tag wegen eines Streiks nicht gearbeitet hat. Nimmt man ein durchschnittliches Erwerbsleben von 40 Jahren an, erlebt statistisch also nur jeder fünfte Arbeitnehmer überhaupt einmal einen wegen Streiks ausgefallenen Arbeitstag. Dazu muss er übrigens gar nicht selbst streiken - wenn etwa die Piloten streiken, kann ja auch das restliche Bordpersonal nicht arbeiten.
Übrigens: Wie viel die Deutschen im internationalen Vergleich streiken, ist nicht so einfach zu beantworten. Es gibt zwar Statistiken dazu - die werden aber derart unterschiedlich berechnet, dass sie sich nicht seriös vergleichen lassen. Daher verzichten wir an dieser Stelle darauf.