Trotz Wirtschaftsschwäche und Digitalisierung Deutsche haben kaum Angst vor Jobverlust

Produktion des E-Modells i8 im BMW-Werk in Leipzig: Der technologische Strukturwandel ruft unter Arbeitnehmern zumeist weder Euphorie noch Hysterie hervor
Foto: Sebastian Willnow / DPADie Menschen in Deutschland haben wenig Angst, aufgrund der aktuellen Konjunkturdelle den Arbeitsplatz zu verlieren - sehen aber neben Chancen auch die Risiken, die der technologische Strukturwandel für Arbeitnehmer bedeutet. Eine große Mehrheit fordert daher mehr Geld aus der Arbeitslosenversicherung für die Weiterbildung gefährdeter Beschäftigter. Das zeigt eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für den SPIEGEL.
Bis Mitte der Nullerjahre galt auf dem deutschen Arbeitsmarkt eine klare Regel: Schwächelt die Konjunktur, gehen massiv Jobs verloren. Dazu musste die Wirtschaft noch nicht einmal schrumpfen - die Arbeitslosigkeit stieg oft sogar in Jahren des Wachstums, wenn dieses zu gering ausfiel. Die Sorge um die Konjunktur war damals eng gekoppelt an die Angst vor Jobverlust.
Von dieser Angst ist im Herbst 2019 kaum etwas zu spüren - obwohl die deutsche Wirtschaft deutlich schwächelt. Ökonomen rechnen damit, dass sie im dritten Quartal zum zweiten Mal im Folge geschrumpft ist. Mehr als 80 Prozent der Bundesbürger hat dennoch kaum Furcht, den Arbeitsplatz zu verlieren, 56,3 Prozent antworten sogar mit einem entschiedenen "Nein, auf keinen Fall". Lediglich 11,6 Prozent der Befragten äußerten Sorge um den Job.
Dabei ist den Bürgern die Konjunkturmisere deutlich bewusst, wie der SPIEGEL-Wirtschaftsmonitor belegt: Drei von fünf erwarten, dass sich die wirtschaftliche Lage in den kommenden zwölf Monaten verschlechtern wird, weniger als jeder Zwanzigste geht hingegen von einer Verbesserung aus - an dieser trüben Stimmungslage hat sich auch im Oktober nichts geändert.
Nur hat sich die Sorge um die Konjunktur inzwischen völlig entkoppelt von der um den eigenen Arbeitsplatz. Das macht folgende Grafik deutlich. Sie zeigt, dass die Angst vor einem Jobverlust seit Juni 2018 nicht einmal minimal gestiegen ist - damals lief die Konjunktur noch rund und eine solch ausgeprägte Delle nicht absehbar. Dennoch ist jetzt sogar ein etwas höherer Anteil davon überzeugt, "auf keinen Fall" binnen einem Jahr arbeitslos zu werden.
Deutlich mehr Sorgen als die Konjunkturschwäche bereitet den Bundesbürgern hingegen der technologische Strukturwandel in der Wirtschaft:
Die Digitalisierung erfasst die Arbeitswelt rasant und wird das weiter tun. Viele Arbeitsplätze werden verschwinden, viele neu entstehen - und noch mehr werden sich grundlegend verändern und neue Anforderungen an jene stellen, die sie bekleiden.
Die wachsende E-Mobilität wird vor allem für die Hunderttausenden Arbeitnehmer in der deutschen Automobilindustrie große Veränderungen bedeuten. Einerseits bietet sie Wachstumschancen. Andererseits benötigt etwa die Produktion von Elektromotoren deutlich weniger Beschäftigte als die von Verbrennungsmotoren, von der zahlreiche Unternehmen in Deutschland mitsamt ihren spezialisierten Fachkräften derzeit noch leben.
(Lesen Sie hier die SPIEGEL-Titelgeschichte über die Zukunft der deutschen Autobranche.)
Die Bundesbürger erwarten insgesamt, dass sich die Chancen und die Risiken dieses technologischen Wandels für Arbeitnehmer in etwa die Waage halten. 36 Prozent der Befragten sehen das explizit so - und etwa gleich große Teile glauben, dass die Risiken (33,2 Prozent) beziehungsweise die Chancen (29,5 Prozent) überwiegen.
Diese ausgeglichene Erwartung lässt sich in fast allen Bevölkerungsteilen beobachten - mit wenigen Ausnahmen. So überwiegt etwa bei Arbeitern als einziger Berufsgruppe deutlich die Ansicht, der technologische Wandel berge mehr Risiken als Chancen. Insgesamt sehen das 56 Prozent von ihnen so, vier von zehn sogar "eindeutig".
Zudem unterscheidet sich die Bewertung junger Bundesbürger von denen der älteren. In den Altersgruppen unter 40 Jahren überwiegt der Anteil derer, die im technologischen Wandel eher die Chancen sehen - bei den Altersgruppen über 40 Jahren derer, die eher die Risiken sehen.
Bereits im vergangenen Jahr hatte der Bundestag beschlossen, die Zuschüsse für die Qualifizierung von Arbeitnehmern deutlich zu erhöhen - je nach Betriebsgröße werden nun bis zu 75 Prozent des Lohns und bis zu 100 Prozent der Kursgebühren übernommen. Gezahlt werden diese Zuschüsse aus der Arbeitslosenversicherung - quasi als präventive Maßnahme auch als Reaktion auf den durch die Digitalisierung absehbaren Weiterbildungsbedarf.
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will diese Zuschüsse nun speziell für vom technologischen Wandel besonders betroffene Arbeitnehmer noch einmal erhöhen. Eine deutliche Mehrheit der Befragten unterstützt diese Idee: Exakt zwei Drittel finden es sinnvoll, mehr Geld aus der Arbeitslosenkasse dafür auszugeben, nur 16,7 Prozent sind dagegen.