Arbeitslosigkeit weltweit Uno kritisiert strikte Sparpakete der Regierungen

Protest gegen Sparprogramm in Madrid am 29.4.12: Haushaltsdefizit nur wenig gesunken
Foto: Daniel Ochoa de Olza/ APGenf - Mit radikalen Reformen und Sparpaketen kämpfen Regierungen in vielen Ländern gegen die Folgen der Wirtschaftskrise an. Doch oft haben die Maßnahmen zum Schuldenabbau nach Ansicht von Experten verheerende Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Sparpakete und Arbeitsmarktreformen hätten "zerstörerische Auswirkungen" auf die Beschäftigung gehabt, erklärte die Internationale Arbeitsorganisation (ILO). Und auch die Sparziele seien trotz aller Kürzungen verfehlt worden.
Die Staaten müssten anerkennen, dass Politik zur Jobförderung einen positiven Effekt auf die Wirtschaft ausübe: "Die Stimme der Finanzwirtschaft sollte nicht den politischen Entscheidungsprozess bestimmen", heißt es in dem am Montag in Genf veröffentlichten Arbeitsmarktbericht der Uno-Organisation.
Die ILO warnte die Regierungen vor Unruhen, wenn sie die Sparprogramme nicht mit Maßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen kombinierten. Auch die Erholung der weltweiten Konjunktur hat die Lage nach Ansicht der ILO nicht entschärft. Seit vergangenem Jahr nehme die Arbeitslosigkeit weltweit wieder zu, hieß es. In den Industrieländern würden frühestens ab 2016 wieder Beschäftigungszahlen wie vor der Krise 2008 erreicht. Ursprünglich hatte die ILO bis 2014 eine Besserung vorausgesagt.
"Die Beschäftigungssituation verschlechtert sich in Europa, und in vielen anderen Ländern verbessert sie sich nicht mehr. Das heißt, die weltweite Beschäftigungskrise hat eine neue, strukturelle Phase erreicht", schreibt Studienautor Raymond Torres. Ein weltweites Problem sei die Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit.
Rund 200 Millionen Menschen sind ohne Job
Dem Bericht zufolge gingen seit Beginn der Finanzkrise 2008 rund 50 Millionen Arbeitsplätze weltweit verloren. Laut ILO waren Ende 2011 weltweit 196 Millionen Menschen arbeitslos, bis Ende 2012 rechnen die Experten mit 202 Millionen Jobsuchenden. Im Jahr 2013 werden der Schätzung zufolge noch einmal fünf Millionen Arbeitslose hinzukommen.
In den entwickelten Ländern haben demnach 40 Prozent der Arbeitslosen im Alter zwischen 25 und 49 Jahren bereits seit mehr als einem Jahr keinen Job mehr. Vor allem unter den jungen Erwachsenen habe sich die Zahl der Arbeitslosen stark erhöht, was zu einem steigenden Risiko sozialer Unruhen etwa in Afrika und dem Nahen Osten führe.
Studienautor Torres appellierte an die Regierungen, ihren Kurs zu überdenken. "Die Strategie des Sparens und Regulierens sollte zu mehr Wachstum führen, was jedoch nicht geschieht", sagte er. Die Sparstrategie sei "kontraproduktiv". Torres kritisierte, die EU-Staaten hätten "wenig durchdachte" Sparprogramme aufgelegt. Als Beispiel nannte er Spanien, wo das Haushaltsdefizit trotz drastischer Einsparungen zwischen 2010 und 2011 nur von gut neun Prozent auf 8,5 Prozent gesunken sei.
"Der schmale Fokus vieler Staaten der Euro-Zone auf Sparprogramme vertieft die Jobkrise und könnte sogar zu einer neuen Rezession in Europa führen", warnte Torres. Seit 2010 steigen laut ILO in mehr als zwei Dritteln der europäischen Länder die Arbeitslosenzahlen an.
EU-Kommissar spricht sich für Wachstumspaket aus
Der Bericht könnte die Debatte über die Strategie in der Euro-Krise anheizen. Kanzlerin Angela Merkel bekommt bei ihrem strikten Sparkurs zunehmend Gegenwind. So will etwa der französische Präsidentschaftskandidat François Hollande im Falle eines Wahlsiegs ein Konjunkturprogramm für Europa durchboxen.
Auch EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier unterstützt Forderungen, den europäischen Fiskalpakt durch ein Wachstumspaket zu ergänzen. "Es ist möglich, die gute Führung öffentlicher Haushalte mit Wachstum zu versöhnen. Das ist die Herausforderung dieses Augenblicks", sagte Barnier der "Welt". "Ich plädiere deswegen dafür, dass wir zusätzlich zu den Verträgen für Haushaltsdisziplin eine europäische Wachstumsinitiative vorbereiten."
Experten loben deutsche Arbeitsmarktpolitik
Eine positive Ausnahme in der Analyse der ILO ist Deutschland. Die Bundesrepublik kommt in dem Bericht gut weg, berichtete der SPIEGEL vorab. Dank starker Exporte vor allem außerhalb der Euro-Zone blieben sowohl das Wirtschafts- als auch das Beschäftigungswachstum stark. Außerdem deuteten die bisherigen Ergebnisse der diesjährigen Tarifverhandlungen darauf hin, dass die Löhne 2012 und 2013 real steigen könnten.
Als größte Herausforderungen in Deutschland nennt die ILO die Anpassung der Reallöhne an die Produktivitätsentwicklung sowie Verbesserungen bei den Rahmenbedingungen für sogenannte atypische Beschäftigungsverhältnisse. Damit werden befristete Verträge, Leiharbeit, Teilzeitstellen mit bis zu 20 Stunden pro Woche sowie gering bezahlte und kurzfristige Jobs bezeichnet.
Während Deutschland gute Noten bekam, kritisierte die ILO die Stagnation auf dem Arbeitsmarkt in Industrieländern wie den USA und Japan. Lob gab es für Lateinamerika, wo die Arbeitslosigkeit dem Bericht zufolge zurückgegangen ist und sich mancherorts auch die Arbeitsbedingungen verbessert haben. In dieser Region sei die Gefahr sozialer Unruhen auf einem durchschnittlichen Niveau angekommen, während sie weltweit zugenommen habe.