Aufgaben des neuen Arbeitsministers Höhere Löhne, weniger Minijobs

Noch boomt der deutsche Arbeitsmarkt, doch das könnte sich bald ändern. Schon heute trüben Langzeitarbeitslose, Billigjobs und Fachkräftemangel die offizielle Jobstatistik. Was die neue Regierung jetzt anpacken muss.
Agentur für Arbeit in Wiesbaden: Im Winter dürfte es ungemütlich werden

Agentur für Arbeit in Wiesbaden: Im Winter dürfte es ungemütlich werden

Foto: A3399 Arne Dedert/ picture alliance / dpa

Hamburg - Das schönste Amt neben Kanzlerin dürfte in den kommenden Wochen das der Arbeitsministerin oder des Arbeitsministers werden. Wie fast immer im Herbst wird die Zahl der Arbeitslosen voraussichtlich auch in diesem Jahr deutlich sinken. Und es gibt wohl kaum etwas Erfreulicheres für Politiker, als im neuen Job erst einmal nur Positives zu verkünden. Gute Chancen also, dass sich Ursula von der Leyen wieder um den Posten bewirbt.

Spätestens im Winter dürfte es dann aber ungemütlich werden. Denn wenn es kälter wird, Baustellen brachliegen, dann melden sich naturgemäß wieder mehr Menschen arbeitslos. Und es wird schneller offenkundig, wo es am deutschen Arbeitsmarkt hakt. Denn bei aller Freude über das kleine Jobwunder: In Deutschland gibt es immer noch fast drei Millionen Arbeitslose, davon mehr als ein Drittel Langzeitarbeitslose. Und selbst wenn jemand einen Job gefunden hat, wird dieser oft mies bezahlt. Gleichzeitig fehlt es in immer mehr Branchen an Fachkräften.

Für den neuen Arbeitsminister gibt es mehr zu tun, als die offiziellen Zahlen vermuten lassen.

Baustelle Nummer eins: Langzeitarbeitslosigkeit

Foto: Oliver Berg/ picture alliance / dpa

Die Lage: Nach der radikalen Hartz-IV-Reform 2005 ging es erstmals nach vielen Jahrzehnten spürbar herunter mit der sogenannten Sockel- und Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland. Der Sockel, der mit jeder Wirtschaftskrise gewachsen war, sank durch das oft geschmähte Prinzip des "Förderns und Forderns" erstmals wieder. Seit gut vier Jahren geht der Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit allerdings kaum mehr voran: Waren zum Antritt der schwarz-gelben Koalition rund 1,12 Millionen Menschen ein Jahr oder länger ohne festen Job, waren es im September 2012 immer noch 1,01 Millionen. Seitdem steigt der Anteil sogar wieder.

Das Risiko: Die Chance, aus längerer Arbeitslosigkeit in einen Job zu kommen, wird kleiner. Für die Gruppe der Betroffenen hat das fatale Folgen: Wer lange untätig zu Hause sitzt, wird für potentielle Arbeitgeber unattraktiver. Und wer lange ohne Arbeit ist, ist auch anfälliger für gesundheitliche Probleme.

Entwicklung der Arbeitslosigkeit

Entwicklung der Arbeitslosigkeit

Foto: SPIEGEL ONLINE

Der Ausweg: Viel Geld könnte in diesem Fall wirklich viel helfen, vor allem wenn es um die Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen geht. Mehr als die Hälfte der Betroffenen hat keine abgeschlossene Berufsausbildung, entsprechend viel muss aufgeholt werden. Damit die Beratung intensiver und passgenauer wird, müssten auch die Fallmanager in den Jobcentern mehr Zeit und Sachkenntnis haben. Das heißt: Mehr Personal ist notwendig.

Ausgerechnet bei einem Instrument, das in der Vergangenheit zahlreiche Langzeitarbeitslose erfolgreich in den ersten Arbeitsmarkt zurückgebracht hat, wurde unter Schwarz-Gelb kräftig gespart: bei der Förderung von Existenzgründern. Hier könnte und sollte umgesteuert werden.

Bei den Zuverdienstregeln für Hartz-IV-Empfänger könnten schon kleine Stellschrauben dafür sorgen, dass Arbeit interessanter wird. Etwa dann, wenn niedrige Einkommen stärker auf das Arbeitslosengeld angerechnet würden, höhere Beträge dagegen schwächer. Für die neue Regierung ließe sich diese Regelung schnell umsetzen, der Effekt wäre wahrscheinlich groß.

Baustelle Nummer zwei: Billigjobs

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Die Lage: Gewerkschaften nennen sie prekär, Forscher atypisch: Jobs, die befristet sind oder nur geringfügig entlohnt werden, ebenso wie Jobs in Teilzeit oder bei Zeitarbeitsfirmen. Alle diese Beschäftigungsarten haben in den vergangenen Jahren einen enormen Boom erlebt. Aktuell steckt etwa jeder fünfte Beschäftigte in einem solchen Job, oft wird er mies bezahlt. Jeder Vierte verdient unter 9,54 Euro brutto die Stunde. Nicht selten müssen die Löhne mit Hartz IV aufgestockt werden.

Das Risiko: Wer einmal einen Job im Niedriglohnsektor hat, kommt schwer wieder raus. Die Aufstiegschancen in Deutschland sind gering. Speziell Minjobs, die für einige ein netter Nebenverdienst sind, werden für andere - insbesondere Frauen - schnell zur Falle: Sie verdienen keinen eigenen Lebensunterhalt und erwerben, wenn überhaupt, nur minimale Rentenansprüche und sind damit oft komplett auf ihre Partner angewiesen. Einige Firmen nutzen die schwache Stellung von Minijobbern auch gerne aus und verweigern ihren Mitarbeitern Sonderleistungen wie bezahlten Urlaub oder Weihnachtsgeld.

Die Gefahr ist groß, dass sich ein Niedriglohnsektor mit all seinen Langfristeffekten, wie etwa Altersarmut, verfestigt. Denn die Billigjobs reichen so gut wie nie aus, um sich eine Rente oberhalb des Existenzminimums zu erarbeiten.

Normal- und atypische Arbeitsverhältnisse

Normal- und atypische Arbeitsverhältnisse

Foto: SPIEGEL ONLINE

Der Ausweg: Die neue Bundesregierung sollte intensiv untersuchen, ob Minijobs oder Zeitarbeit tatsächlich als Sprungbrett dienen oder eher als Abstellgleis - und gegebenenfalls gegensteuern. Bislang fehlen genaue Erkenntnisse darüber, ob die Mehrheit der Minijobber aus Not oder wegen "gestiegener Konsumlust" arbeitet. Denkbar wäre es daher zum Beispiel, die Verdienste für die mehr als sieben Millionen Minijobber schon ab einem niedrigeren Betrag abgabenpflichtig zu machen. Derzeit liegt die sozial- und abgabenfreie Grenze bei 450 Euro.

Bei der Zeitarbeit, die in der Vergangenheit stark dereguliert wurde, könnten engere Grenzen förderlich sein, um Missbrauch einzudämmen.

Bleibt das Problem der Dumping-Löhne, die in vielen Branchen - auch bei Minijobs - oft gezahlt werden. Befürworter eines Mindestlohns plädieren dafür, einen solchen gegen Auswüchse einzusetzen. Die Einführung einer allgemeinen, gesetzlichen Lohnuntergrenze sollte unideologisch geprüft werden.

Baustelle Nummer drei: Engpässe auf dem Arbeitsmarkt

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Die Lage: In manchen Gegenden Deutschlands ist der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften schon heute deutlich sichtbar. Das gilt besonders für einige Regionen in Ostdeutschland und in Teilen für Süddeutschland. Vor allem in der Metallwirtschaft oder im Gesundheits- und Sozialwesen mangelt es an Leuten. Einer Prognose der Bundesagentur für Arbeit zufolge fehlen bis 2025 rund 3,5 Millionen Fachkräfte.

Das Risiko: Wenn Stellen in großem Stil unbesetzt bleiben, dürfte es für viele Unternehmen schwierig werden, die Produktion auszuweiten, wenn nicht sogar aufrechtzuerhalten. Es droht ein Rückfall im Wettbewerb mit anderen Firmen im In- und Ausland.

Der Ausweg: Es kommt vor allem darauf an, jene Bürger für den Arbeitsmarkt zu gewinnen, die bislang gar nicht oder nur wenig arbeiten. Das gilt etwa für Langzeitarbeitslose oder auch für viele Frauen, die zu Hause sind, generell aber gerne einen Job hätten. Auch gibt es viele Frauen und Männer in Teilzeit, die sich wünschen, mehr zu arbeiten. Doch noch fehlt es an flexiblen Arbeitszeitmodellen oder - wenn Kinder da sind - an guten Betreuungsmöglichkeiten.

Seit der Euro-Krise erlebt Deutschland einen Zuwandererboom. Viele der neuen Einwohner sind gut oder sehr gut ausgebildet. Hier gilt es, die Zuströme besser zu koordinieren. Etwa für weniger bekannte oder attraktive, aber strukturstarke Regionen in Süddeutschland zu werben.

Und nicht zuletzt gehört das Betreuungsgeld abgeschafft. Es hält Frauen vom Berufsleben fern. Und schon die Grundidee für das Betreuungsgeld ist abwegig: nämlich Geld dafür zu bekommen, dass man eine andere Subvention nicht in Anspruch nimmt.

Fazit: Die neue Regierung hat es in der Hand: Will sie den Vorsprung Deutschlands auf dem Arbeitsmarkt vorantreiben oder riskiert sie den Rückfall durch Nichtstun? Denn sicher ist: Sollte sie das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit, der Billigjobs und des Fachkräftemangels nicht stärker angehen, verliert das Land langfristig an Innovationskraft, Produktivität und an Gewicht.

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